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223 − AHV-positiv - Quartierverein Riesbach

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<strong>AHV</strong>-<strong>positiv</strong>Im Ruhestand10DOROTHEE SCHMIDVor ein paar Wochen bin ich aus demaktiven Berufsleben verabschiedet worden.Auf die penetrant gestellten Fragen,was ich mit der nun vielen freien Zeitvorhätte, welche Projekte, Ausbildungen,Ehrenämter, Reisen, Kreuzfahrtenanstünden, hatte ich keine vernünftigeAntwort bereit, nur die eine: Mal sehen,wie sich das so anfühlt – vielleicht falleich in ein Loch und hoffe, dass es sich mitder Zeit mit Freudigem und Vernünftigemfüllt.Seit kurzer Zeit befinde ich mich also imRuhestand. Ruhe ist etwas Wunderbares!Die dazu gehörende Musse muss allerdingsgelernt sein, über Jahrzehnte praktizierteAlltagsmuster lassen sich nicht soschnell auswechseln:Ich sollte an die Bahnhofstrasse, eilebeflügelten Schrittes die Treppe hinunter,aus dem Haus, sehe den Vierer kommen;wenn ich renne, erwische ich ihnnoch. Halt! Ich habe Zeit, kann den folgendenBus oder den Zweier nehmen undsogar noch an der Haltestelle ein palästinensischesOlivenöl kaufen. Vorbei dieZeiten, als ich frühmorgens den Zug amStadelhofen erreichen musste, den Viererverpasste und mit dem folgendenZweier und einem nervenaufreibendenSpurt den einfahrenden Zug gerade nocheinholte.Abends schnell einkaufen im Coop – welcheSchlange ist länger, wo versprechendie weniger gefüllten Körbe schnelleresVorankommen, welche ist die flinksteKassiererin? Halt! Nur mit der Ruhe! Ichkann entspannt Leute und Einkäufebeäugen, eventuell Nächstenliebe waltenund einem gestressten Berufsmenschenden Vortritt lassen, denn ich habe Zeit.Ich stehe später auf als gedacht: Wasmuss ich alles erledigen? Plötzlicherscheint mir die Wohnung dreckig wienoch nie, Staub in allen Ecken, verkalkteBrünneli, Schlieren auf den Fensterscheiben.Nichts wie los, alles muss entstaubt,entkalkt, poliert werden. Halt!Was soll das, ich habe alle Zeit der Welt,den Haushalt nach langer, eigentlichdoch mässiger Vernachlässigung wiederin tadellosen Zustand zu bringen.Musse muss gelernt sein. Aber Ruheist etwas WunderbaresSchlafen, bis man von selbst aufwacht,ein langes Frühstück mit intensiver Zeitungslektüre– ich wage mich sogar ankomplizierte Wirtschaftsbeiträge undlese den Sportteil noch intensiver. Dazudas Morgenjournal von DRS 1 hören unddie Ratschläge von «Espresso» zuGemüte führen. Danach eventuell wiederins Bett, bei Regen mit Bettflasche, undden neusten Arjouni-Krimi zu Endelesen, mit dem Privatdetektiv Kayankayaeinig gehen, dass ein beschaulichesLeben, vor allem nach mörderischenSchiesserein und KO-Schlägereien,unbedingt anzustreben ist.Ich beschliesse, im neuen Lebensabschnittmein bisheriges Leben inOrdnung zu bringen und aufzuräumen,und ich beginne im Kleinen. Ich durchforstedas Badezimmerkästchen, entfernedie abgelaufenen Medikamente undentsorge sie in der Höschgass-Apotheke.Vor dem Kleiderkasten entscheide ichmich, einiges in die Klappe beim GZ zuwerfen und bei Mode-Keller die neueHerbstkollektion durchzusehen. Die leerenGestelle für Wein fülle ich mit Nachschubaus der Nachbarschaft beiKummers und für den abgeschabten Teppichwerde ich bei Furrer Ersatz suchen.Die grossen Brocken, die prall gefülltenBüchergestelle, das üppig dokumentierteArbeitsleben, Zeugen intensiver Berufstätigkeitund entsprechend noch tabu,können warten.So füllen sich die Tage und ich frage michtatsächlich, wann ich eigentlich noch vorkurzem Zeit für meine Berufsarbeitgehabt habe. Und mich beschleicht beimWort «Ruhestand» zunehmend einungutes Gefühl: Wo stehe ich, bleibe ichstehen?Wie lange noch geniesse ich diesebeschaulichen Morgenstunden, die vordemAusnahme und darum so kostbarwaren? Wann verleidet mir das Pützeln inder Wohnung, wann das Verfügen überdie eigene Zeit, wenn Krimi lesen, Kinobesuch,FreundInnen treffen nicht mehrLuxus sind? Wenn die «Wonnen derGewöhnlichkeit» sich in Langeweilekehren?Quartiermagazin Kreis 8 <strong>223</strong>/2012

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