13.07.2015 Aufrufe

223 − AHV-positiv - Quartierverein Riesbach

223 − AHV-positiv - Quartierverein Riesbach

223 − AHV-positiv - Quartierverein Riesbach

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>AHV</strong>-<strong>positiv</strong>ausgeschieden…ausgebranntNach einem langen Arbeitstag bemerkteich plötzliche Schmerzen im Augenbereich.Ich sollte diese Schmerzen vonnun an noch fünf weitere Jahre haben.Innerlich kochte ich vor Wut: Wieder soein Tag, an dem ich mich mit Details auseinandergesetzthatte, die eigentlichnicht in meinen Aufgabenbereich gehörten,anstelle der Konzentration auf meineKernaufgaben. Darauf folgten einBesuch beim Augenarzt der keinenBefund ergab, eine neu korrigierte Brille,ein neuer Bildschirm und drei WochenPause. Dann arbeitete ich noch genaueine Woche. Am Freitag, pünktlich um 17Uhr, ging ich ins Wochenende. Das Konzeptfür eine Präsentation vor dem Kadereines städtischen Departements (dasspäter noch viele Schlagzeilen liefernwürde) war nicht gemacht. Doch sokonnte und wollte ich mit meiner Kundschaftnicht mehr weiter arbeiten. Zuvielwurde auf mich abgewälzt, zu oft meineZeit vergeudet: So viel Ärger jeden Tag.Selbständigkeit hin oder her, alles mussteich nicht auf mich nehmen. Anstelleder Präsentation beabsichtigte ich eineAussprache mit meiner Auftraggeberin.Ich wollte «Kunden, nicht Könige».Die Aussprache wurde mir nicht gewährt,doch ich «durfte» den Auftrag zurückgeben.Das war mir recht, denn es ging mirgar nicht gut: Tagsüber wanderte ichStunden ohne Essen und Trinken, nachtswar kaum Schlaf. Ich kochte weiter vorWut über all das, was mir geschehen war.Die Menschen in meiner Umgebung verstummtenvor diesem Zustand. Ich warkein angenehmer Mensch mehr, ich wareine Andere als bisher.Die Hausärztin schrieb mich krank. Sienannte ein Wort, das mir damals nochnicht geläufig war: Burnout. Oder schwereErschöpfung. Oder Erschöpfungsdepression.Oder agitierte Depression.Oder (...).Die Taggeld Versicherung zahlte, stellteaber auch Forderungen. So musste ichmich auf Verlangen der Versicherung beider IV melden. Die IV schickte mich zumGutachter. Der Gutachter schreib ineinem langen Bericht, «Genesung theoretischmöglich, aber nur auf langeSicht». Ich fragte ihn nach Integrationsmöglichkeitenbei der IV. Meine Situationsei zu komplex, sagte der Arzt, ichmüsse mich selbst integrieren – er werdeeine 100-%-Rente beantragen. Zur IVbekam ich von meiner privaten Versicherungmonatlich einen fixen Betrag. Ichmusste also nicht aufs Sozialamt gehenund brauchte keine Beihilfe. Finanziellbin ich dank meiner Selbständigkeit«unabhängig» geblieben.Wege zur Selbst-IntegrationMetaphorisch gesprochen war mein«berufliches Haus» nur zur Hälfte ausgebrannt.Die andere Hälfte beinhaltetGelerntes, das ich in meinen aktivenBerufsjahren nicht zur Anwendunggebracht hatte. Glück im Unglück. Damitist es mir gelungen, einen kleinenBereich zu öffnen, in dem ich weiterselbständig arbeiten kann. Es gibt auchAufträge, die ich gerne annehme. Viel istes nicht. Doch auf diese Weise bin ichnoch an die Arbeitswelt angeschlossenund erhalte Lohn und Anerkennung.Auch Freiwilligenarbeit gibt mirAnschluss an die Gesellschaft, ermöglichtmir Einblicke in neue Gebiete undneue Kontakte. Sie lässt mich weiter lernenund gibt Sinn und Anerkennung. Icherhalte kein Geld dafür, unterliege aberauch keinem Zwang. Viele meinerBekannten mit IV-Rente leisten ebenfallsFreiwilligenarbeit oder konntensich einen kleinen neuen Berufsbereicherarbeiten.Es ist nicht so verschieden, ob wir IV-Rentner werden, ob wir vor der Pensionierungstehen oder ob uns ein schweresSchicksal trifft. Immer stehen wir voreinem spürbaren neuen Lebensabschnitt.Es beginnt ein Prozess, der uns herausfordert,und auch die Menschen in unsererNähe sind aufgefordert, mit oderohne uns, einen neuen Weg zu gehen.Der Prozess beginnt mit einem Verlust.Vielleicht sind wir gut vorbereitet undder Verlust wird als Übergang zu Neuemerlebt. Werden wir aber unvorbereitetaus der Bahn geworfen, so müssen wirFolgendes wissen: Der Weg ist steinig. Esgibt keine Abkürzung. Wir haben nochkeine Erfahrung. Oft sind wir allein –wirklich allein. Ich nenne es «hintereiner gläsernen Wand sein»: Es war, alstrenne mich eine Glasscheibe von denMitmenschen. Sie möchten mir helfen,doch sie verstehen mich nicht. Sie sagen,sie verstehen mich und indem sie essagen, begreife ich, dass sie mich nichtverstehen. Heute weiss ich, sie habenAngst, ohne es zu wissen. Auch ihnenfehlt die Erfahrung. Auch sie sind hilflos.Viele möchten den Weg mit mir nichtgehen und wenden sich ab. Auf den Verlustder Arbeitsfähigkeit folgen Verlusteim sozialen Umfeld.Fortsetzung auf Seite 2913Quartiermagazin Kreis 8 <strong>223</strong>/2012

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!