ZNN 7+8/2004, S. 38-41 - Zahnärztekammer Niedersachsen
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EINE GESPENSTISCHE FINANZIERUNGSDEBATTE?<br />
I Vorbemerkungen zum Auseinanderklaffen von Finanzdiskussion<br />
und Strukturdebatte im Gesundheitswesen<br />
Wichtige Zielvorgaben in der gegenwärtigen Debatte um<br />
Gesundheitsreformen lauten - auch unter den Prämissen<br />
der AGENDA 2010 – : Senkung der Lohnnebenkosten, Absenken<br />
des GKV Beitragssatzes in <strong>2004</strong> auf unter 14 % und<br />
laut ministerieller Zielprojektion in 2006 auf 12,15%. Im<br />
Sommer <strong>2004</strong> lag der gemittelte Satz bei 14,27%. Eine Absenkung<br />
auf 12,15 bedeutet: Generierung von über 20 Milliarden<br />
Euro auf welche Art auch immer. Innerhalb dieser<br />
Zielprojektionen müssen gemäß gesetzgeberischem Auftrag<br />
die Schulden der Kassen, die mit Lieferantenkrediten u. ä.<br />
Mechanismen eher bei 8-10 denn bei 6 Milliarden Euro liegen,<br />
in vier Jahren abgebaut sein. Wer jetzt Beiträge senkt,<br />
kann meines Erachtens nur „türken“. Übrigens: Insgesamt<br />
heißt die Vorgabe für den Sozialbereich: Absenkung der<br />
Lohnnebenkosten auf unter 40%. Zusätzlich schlagen die<br />
zuständigen Landesminister(-innen) jetzt auch noch eine<br />
Bürgerversicherung für die Pflege vor.<br />
II Gedanken - Fragen - Thesen - Anregungen<br />
Innerhalb dieser Prämissen sind aus meiner Sicht wesentliche<br />
Fragen und Aufgaben noch unbeantwortet und warten<br />
konzeptionell auf ganzheitliche Betrachtungsansätze, die<br />
nicht focussiert werden dürfen entweder auf den Ausgabensektor<br />
oder auf die Einnahmeseite (Beiträge oder Steuermittel).<br />
Letztere Focussierung bewirkte und bewirkt regelmäßig, daß<br />
man sich nicht mit den Tücken und Kosten des realen Versorgungsalltages<br />
befaßt, sondern überwiegend mit der Frage,<br />
wie bekomme ich neues oder anderes Geld in das System.<br />
Das hatten wir alles schon. Das hat allenfalls temporär zu<br />
leichten Beitragsabsenkungen geführt, danach ist das neue/<br />
andere Geld wieder in den altbekannten Versickerungsschächten<br />
verschwunden oder konnte nicht eingetrieben<br />
werden. Anders gesagt: Neben den Vorschlägen zur Einnahmeseiten<br />
brauchen wir dringend und parallel substantielle<br />
Reformen im Ausgabenbereich. In diesen eigentlich extrem<br />
korrespondierenden Aufgabenfeldern gibt es Defizite und<br />
manch´ Ungereimtes noch - zum Beispiel:<br />
• Mit ständig geringer werdenden Beitragssätzen soll unter<br />
gebetsmühlenartiger Verwendung des Bildes „Effizienzreserven<br />
im System“ mit ständig abzusenkenden Beiträgen<br />
ein Mehr an Qualität bei steigender Fallhäufigkeit (Altersentwicklung)<br />
plus medizinisch-technischen Fortschritt erreicht<br />
werden und bezahlbar bleiben – Ziel also weiterhin<br />
gemäß SGB V: Alles medizinisch notwendige nach dem<br />
Stand der Forschung – natürlich unter Berücksichtigung<br />
des Wirtschaftlichkeitsgebotes. Dazu solidarisch-paritätische<br />
Finanzierung! Für letzteren Mosaikstein wird argu-<br />
ZAHNÄRZTLICHE<br />
NACHRICHTEN<br />
NIEDERSACHSEN 9/04<br />
mentativ – abgesehen von Zuzahlungen, Ausgrenzungen<br />
von Leistungen - die Hereinnahme von Pachten, Mieten<br />
u.ä. in das Beitragsaufkommen interessant werden. Anders:<br />
Die Zielprojektionen im Zusammenhang mit solidarischparitätisch<br />
sind realiter nie durchgehalten worden und<br />
können bei knapperen Finanzen schon gar nicht durchgehalten<br />
werden. Sie produzieren aber Erwartungshaltungen.<br />
• Entsprechend den oben genannten Prämissen läuft das<br />
Einfangen von Beitragszahlern durch die Kassen ausschließlich<br />
in Richtung: Wer hat den niedrigsten Beitragssatz?<br />
Wer senkt demnächst noch weiter ab? Anders: Wer<br />
bietet alles mit weniger Beiträgen? Ad infinitum gedacht<br />
läuft dies in Richtung: Wer bietet alles für „garnix“? Diese<br />
Art von Wettbewerb unter den Kassen war nie einer und<br />
kann auch so nie ein innovativer Wettbewerb um mehr<br />
Qualität mit dann höheren Beiträgen und mehr Transparenz<br />
werden.<br />
• Hinzu kommt noch, dass echter Wettbewerb durch Korsettstangen<br />
wie : „Einheitlich und gemeinsam“, Risikostrukturausgleich<br />
(RSA) mit Koppelung neuerdings an die<br />
DMP und demnächst „Morbi RSA“ eigentlich völlig ausgeschaltet<br />
wird, die Versorgung immer mehr durchreguliert<br />
wird und so natürlich – wie gehabt - immer höhere Verwaltungskosten<br />
entstehen müssen. Die immer enger werdenden<br />
Verflechtungen aller Kassen durch den RSA werden<br />
weitere Spannungen zwischen sog. Geberkassen und<br />
Nehmerkassen gegen die zwangsweisen Nivellierungen<br />
entstehen lassen. Alles nicht zum Wohl des Patienten,<br />
allenfalls zum Erhalt gewachsener verkrustender Organisationsstrukturen.<br />
Die neuen internen, bundesländerübergreifenden<br />
Fusionen - etwa innerhalb der AOK – bringen<br />
zudem neue monopolartige Strukturen auf den Markt.<br />
Anders: Trotz der scheinbaren Vielfalt an Kassen haben<br />
wir im Grunde eine Einheitskasse, innerhalb derer der<br />
Patient zwar von Kasse zu Kasse wechseln darf, die sich<br />
bei näherem Hinschauen durch fast identischen Kassenleistungen<br />
auszeichnen – allerdings mit unterschiedlicher<br />
Beitragshöhe. Ein Wechsel vollzieht sich so zu 90% nicht<br />
wegen Qualität, sondern wg. eines niedrigeren Beitragssatzes.<br />
Diese Art von „mündigem Bürger“ sollten wir alle<br />
nicht wollen, weil der am Ende (von uns gewollt?) so gestrickt<br />
ist, dass er mit niedrigstem Beitragssatz „alles“ haben<br />
will im Krankheitsfall und seine compliance gemäß § 1,<br />
SGB V, eher nicht trainiert - zu Lasten der Solidargemeinschaft.<br />
Wenn hier nicht z.B. neben „boni“ auch „mali“ eingesetzt<br />
werden, wird sich nichts ändern. In solche Strukturen<br />
jetzt auch noch die PKV einzubeziehen, wäre -<br />
jenseits aller zusätzlichen juristischen Argumente - m.E.<br />
fahrlässig gegenüber unsere Gesundheitsversorgung und<br />
dem härter werdenden Wettbewerb auch in diesem gesellschaftlichen<br />
Segment.