Schweissnahtberechnung im geregelten und ungeregelten Bereich Leseprobe
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Neumann · Neuhoff<br />
FACHBUCHREIHE SCHWEISSTECHNIK<br />
Schweißnahtberechnung<br />
<strong>im</strong> <strong>geregelten</strong> <strong>und</strong><br />
un<strong>geregelten</strong> <strong>Bereich</strong><br />
Gr<strong>und</strong>lagen mit Berechnungsbeispielen
Neumann · Neuhoff<br />
Schweißnahtberechnung<br />
<strong>im</strong> <strong>geregelten</strong> <strong>und</strong><br />
un<strong>geregelten</strong> <strong>Bereich</strong><br />
Gr<strong>und</strong>lagen mit Berechnungsbeispielen
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek<br />
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind <strong>im</strong> Internet über<br />
http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />
Fachbuchreihe Schweißtechnik<br />
Band 132<br />
ISBN 3-87155-171-6<br />
Alle Rechte vorbehalten<br />
© Verlag für Schweißen <strong>und</strong> verwandte Verfahren DVS-Verlag GmbH, Düsseldorf · 2003<br />
Herstellung: Service-Druck Kleinherne GmbH, Neuss<br />
Titelgestaltung: M + V Werbeagentur, Willich
Vorwort<br />
Es ist schon eigenartig, daß mehrere, gleiche Schweißnähte (zum Beispiel Stumpfnähte von gleichen<br />
Abmessungen, von gleicher Qualität in bezug auf äußere <strong>und</strong> innere Unregelmäßigkeiten, mit<br />
gleichen Schweißprozessen <strong>und</strong> Schweißparametern, an gleichen Werkstoffen sowie von gleicher<br />
Tragfähigkeit bei statischer <strong>und</strong> schwingender Beanspruchung), in verschiedenen Anwendungsbereichen<br />
eingesetzt, ganz unterschiedlich be<strong>im</strong> Entwurf der Schweißkonstruktionen berechnet<br />
werden. Der schweißtechnische Fachmann hat in der Praxis oft kleinere Entwürfe von geschweißten<br />
Konstruktionen für seine Aufträge selbst zu erstellen. Nicht <strong>im</strong>mer steht gleich ein ausgebildeter<br />
Schweißkonstrukteur oder gar ein Schweißfachingenieur zur Verfügung. Und auch nicht <strong>im</strong>mer<br />
muß den Entwurf der Schweißkonstruktion eine anerkannte Stelle bestätigen.<br />
Die Vorschriften für den Entwurf, aber auch der Berechnung von Schweißkonstruktionen, behandeln<br />
die Bemessung selbstverständlich nur kurz <strong>und</strong> meist ohne Erläuterung. Es fehlen auch in den Vorschriften<br />
oft Beispiele, die der Praktiker für eine leichte <strong>und</strong> schnelle Handhabung benötigt. Dieses<br />
Fachbuch gibt als erstes maßgebliche Hinweise für welche Anwendungsbereiche von Schweißkonstruktionen<br />
aus Stählen der <strong>geregelten</strong> <strong>Bereich</strong>e (zum Beispiel Stahlbau <strong>und</strong> Druckgerätebau) die<br />
jeweiligen Regelwerke obligatorisch sind. Weiterhin gibt es Empfehlungen für die Berechnung der<br />
geschweißten Konstruktionen in den noch nicht <strong>geregelten</strong> <strong>Bereich</strong>en (beispielsweise Maschinenbau<br />
<strong>und</strong> Straßenfahrzeugbau).<br />
Anhand vieler markanter Beispiele erhält der Anfänger die nötige Hilfe, einfache Berechnungen von<br />
Schweißkonstruktionen durchzuführen. Fragen der Festigkeit <strong>und</strong> der Berechnung in der Schweißtechnik<br />
sind <strong>im</strong> Schrifttum hinreichend behandelt <strong>und</strong> in umfangreichen Spezialwerken für konstruktiv<br />
tätige Ingenieure enthalten, jedoch für den Praktiker <strong>im</strong> Betrieb nicht <strong>im</strong>mer zugänglich <strong>und</strong><br />
verständlich. Eine Einführung in die Festigkeitslehre, als Anhang ergänzt, erleichtert die Handhabung<br />
des dem Praktiker nicht <strong>im</strong>mer geläufigen Stoffes. Diese Einführung ist nur sehr kurz gehalten.<br />
Sie enthält Hinweise auf Beanspruchungen wie Kräfte, Momente, Spannungen sowie eine allgemeine<br />
Übersicht der Werkstoffkennwerte (Stähle) für statische <strong>und</strong> dynamische Beanspruchungen.<br />
Die für die Berechnung maßgeblichen Werkstoffkennwerte der jeweiligen Anwendungsbereiche<br />
sind in den Kapiteln 3, 4 <strong>und</strong> 5 enthalten. In dem kleinen, gesonderten Kapitel 2 sind Formeln der<br />
Ermittlung von Nennspannungen in Schweißnähten zusammengestellt.<br />
Im Anhang wird Gr<strong>und</strong>sätzliches aus der Festigkeitslehre, die ein umfassendes Lehrgebiet darstellt,<br />
wiederholt, nur einige Gr<strong>und</strong>begriffe werden erklärt, einige einfache Festigkeitsarten besprochen.<br />
Die Kenntnis des Stoffes gibt dem Leser, der sich bisher nicht oder sehr wenig mit Festigkeitsfragen<br />
beschäftigt hat, die Möglichkeit, leicht den nachstehenden Ausführungen über die Berechnung von<br />
Schweißnähten zu folgen. Vielleicht kann diese kurze einfache Betrachtung der Festigkeitsprobleme<br />
dem versierten Leser als kleine Wiederholung <strong>und</strong> Erleichterung dienen. Leser, die den Belangen<br />
der allgemeinen Festigkeit sich mehr widmen wollen, werden auf das zahlreich, leicht zu beschaffende<br />
Schrifttum verwiesen.<br />
Die Kapitel 3, 4 <strong>und</strong> 5 behandeln für den Stahlbau, den Druckgerätebau <strong>und</strong> den Maschinenbau die<br />
obligatorischen Regelwerke, die maßgeblichen Werkstoffkennwerte für die Bemessung der Schweißverbindungen<br />
<strong>und</strong> die Festlegungen zu den Qualitätsstufen der Schweißverbindungen wie die Bewertungsgruppen<br />
<strong>und</strong> die Berechnungsgr<strong>und</strong>lagen für statische <strong>und</strong> dynamische Beanspruchung
mit Erläuterungen. Das jeweilige Kernstück dieser Kapitel sind die Berechnungsbeispiele. Sie sind<br />
für den jeweiligen Anwendungsbereich typisch ausgewählt worden. Es werden einfache Schweißverbindungen<br />
<strong>und</strong> geschweißte Baugruppen behandelt.<br />
Für den Schienenfahrzeugbau wurde in diesem Fachbuch auf Berechnungsbeispiele vorerst verzichtet.<br />
Mit dem Entwurf <strong>und</strong> der Herstellung von geschweißten Schienenfahrzeugen befaßt sich<br />
DIN 6700 „Schweißen von Schienenfahrzeugen <strong>und</strong> -fahrzeugteilen“ mit 6 Teilen. In dieser Norm<br />
sind ausführliche Angaben zu Qualitätsanforderungen der Schweißverbindungen festgelegt. Neue<br />
Berechnungsgr<strong>und</strong>lagen sind dort noch nicht enthalten. In einer Einführung der Richtlinie 951 „Gütesicherung<br />
von Schweißarbeiten an Schienenfahrzeugen <strong>und</strong> deren Komponenten“ der DB AG,<br />
gültig seit 1. März 1999, ist in Abschnitt 2 (2) ausgeführt: „... Für die Bemessung gelten die einschlägigen<br />
Regelwerke, u. a. die DS 952, Anhang II <strong>und</strong> III (Ausgabe 01.01.1977), E DIN EN 12663,<br />
DIN 15018, die Merkblätter DVS 1608, DVS 1612 sowie DVS 2923 <strong>und</strong> die Vorgaben <strong>im</strong> Lastenheft.<br />
...“.<br />
Diese Schweißnaht-Berechnungsfibel ist für den Praktiker geschrieben. Vielleicht schaut auch ein<br />
in der Entwurfsarbeit stehender Ingenieur gern hinein, um seine Kenntnisse aufzufrischen. Hier findet<br />
der Anwender die Festlegungen nach den noch geltenden nationalen Regelwerken, Hinweise auf<br />
kommende europäische Normen <strong>und</strong> bereits geltende Richtlinien. Fachleuten in der Schweißtechnik,<br />
aber auch vielleicht Studenten, die das Berechnen von Schweißverbindungen erlernen wollen,<br />
bietet dieses Fachbuch dazu die Möglichkeit.<br />
Chemnitz <strong>und</strong> Neuss, <strong>im</strong> Oktober 1999<br />
Alexis Neumann <strong>und</strong> Rüdiger Neuhoff<br />
Kurz vor Fertigstellung seines Manuskriptanteils für dieses Fachbuch verstarb <strong>im</strong> November 1999<br />
Prof. Dr.-Ing. habil. Dr.-Ing. e.h. Alexis Neumann. 45 Jahre lang hat er mit vielen Fachbeiträgen <strong>und</strong><br />
Buchveröffentlichungen die wissenschaftliche Literaturarbeit bereichert, besonders auf dem Gebiet<br />
der Schweißtechnik.<br />
Ich danke Herrn Prof. Neumann für die Mitarbeit an diesem Fachbuch <strong>und</strong> blicke auf eine anregende<br />
sowie fruchtbare Zusammenarbeit zurück. Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, die Arbeiten <strong>im</strong> Sinne<br />
von Prof. Neumann zu Ende geführt zu haben.<br />
Neuss, <strong>im</strong> Juni 2003<br />
Rüdiger Neuhoff
1 Einführung <strong>und</strong> Übersichten [von A. Neumann]<br />
1.1 Kurzübersicht der Belastungsarten<br />
Das vorliegende Fachbuch, eine Schweißnaht-Berechnungsfibel, behandelt in erster Linie die Bemessung<br />
von Schweißnähten von beanspruchten Konstruktionen. Dabei ist festzustellen, daß jede<br />
Konstruktion unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen hat.<br />
Jede Konstruktion hat eine Funktion zu erfüllen. Die Funktionen jeder Konstruktion können von<br />
dem Schema zur Erfüllung technischer Bedürfnisse abgeleitet werden, zum Beispiel:<br />
– Stoffherstellung,<br />
– Stoffbearbeitung <strong>und</strong> Stoffverarbeitung,<br />
– Automatisierung von Prozessen,<br />
– Information,<br />
– Transport,<br />
– Energieumwandlung.<br />
Für Konstruktionen aus Stählen lassen sich nachstehende markante Funktionen ableiten:<br />
– Kräfte übertragen als Tragwerk; dabei genügend Sicherheit gegen Versagen in bezug auf Bruch,<br />
Verformung (elastisch, plastisch), Verschleiß, Korrosion,<br />
– Stoffe speichern, zum Beispiel als Behälter,<br />
– Stoffe transportieren, beispielsweise als Rohrleitungen.<br />
Eine vorrangige Funktion einer Konstruktion ist das Übertragen von Kräften aller Art als Tragwerk.<br />
Dieses Fachbuch befaßt sich daher speziell mit geschweißten stählernen Tragwerken. Zur Einführung<br />
werden deshalb einige allgemeingültige Hinweise über die Tragfähigkeit gegeben.<br />
Der Entwerfende einer Konstruktion hat stets zwei entgegengesetzt wirkende Kriterien zu beachten:<br />
1. die max<strong>im</strong>ale Erfüllung der Funktion, in diesem Fall der Tragfähigkeit mit ausreichender Sicherheit,<br />
das bedeutet bei der Bemessung die Wahl von möglichst großen Querschnitten mit Werkstoffen<br />
möglichst hoher Festigkeit,<br />
2. die Gewährleistung einer großen Wirtschaftlichkeit, das bedeutet die Wahl möglichst kleiner<br />
Querschnitte, aber mit ausreichenden Sicherheiten, <strong>und</strong> die Wahl möglichst wirtschaftlicher<br />
Werkstoffe.<br />
Diese sich eigentlich widersprechenden Gr<strong>und</strong>kriterien be<strong>im</strong> Entwurf einer Konstruktion erfordern,<br />
daß der Entwerfende die eingesetzten Werkstoffe mit den für die Bemessung maßgeblichen Kennwerten<br />
(beziehungsweise Kennwertfunktionen) sowie die einzelnen Einflüsse der Gestaltung, der<br />
Fertigung <strong>und</strong> der Qualität auf diese Werkstoffkennwerte kennt.<br />
Die Bemessung der einzelnen Querschnitte der Bauteile von Tragwerken erfolgt nach den jeweils<br />
vorliegenden Teilfunktionen. So sind in der Regel nachstehende Nachweise maßgebend:<br />
1
– Festigkeitsnachweis (einschließlich Ermüdungssicherheitsnachweis <strong>und</strong> Sprödbruchsicherheitsnachweis),<br />
– Stabilitätsnachweis,<br />
– Standsicherheitsnachweis,<br />
– Nachweis der elastischen Verformungen (einschließlich Nachweis von Schwingungen <strong>und</strong><br />
Dämpfungen).<br />
Die Bemessung von Tragwerken aller Art in bezug auf das Übertragen von Kräften erfolgt in den<br />
meisten Fällen in Festigkeitsnachweisen. Für die Best<strong>im</strong>mung der Querschnitte von beanspruchten<br />
Konstruktionen sind mehrere Werkstoffkennwerte (Festigkeitskennwerte) maßgebend. Diese Werkstoffkennwerte<br />
sind von der Beanspruchungsart abhängig <strong>und</strong> weisen ein verschiedenartiges Verhalten<br />
auf. Allgemeingültig kann man die Festigkeitsnachweise in 3 Elemente einteilen:<br />
– Kraft- <strong>und</strong> Verformungsgrößen <strong>im</strong> Tragwerk (Beanspruchungen),<br />
– Werkstoffkenngrößen (Widerstandsgrößen),<br />
– Sicherheit (rechnerische Sicherheit gegen Versagen).<br />
Das Bemessen von stählernen Tragwerken mit den genannten Werkstoffkennwerten best<strong>im</strong>mt deren<br />
wirtschaftlichen Einsatz. Die genaue Kenntnis über das Verhalten dieser Werkstoffkennwerte<br />
(Widerstandsgrößen) best<strong>im</strong>mt auch die Art der Gestaltung der Konstruktion.<br />
Die Belastung eines Tragwerks ist der Ausgangspunkt eines Festigkeitsnachweises. Unterschieden<br />
werden die einzelnen Schnittgrößen am Tragwerk:<br />
– Kräfte (zum Beispiel N, V z oder V y ),<br />
– Momente (zum Beispiel M y , M z ).<br />
Spannungen ergeben sich, wenn man diese Schnittkräfte auf die maßgebenden Querschnitte des<br />
Tragwerks bezieht <strong>und</strong> die entsprechende Verteilung berücksichtigt. Man unterscheidet:<br />
– Normalspannung σ,<br />
– Schubspannung τ.<br />
Die Beanspruchung der einzelnen Querschnitte der Bauteile von Tragwerken mit den oben genannten<br />
Spannungen kann in Abhängigkeit von Zeit <strong>und</strong> Größe unterschiedlich erfolgen, zum Beispiel:<br />
– statisch (Kurzzeit oder Langzeit),<br />
– dynamisch (schwingend oder schlagartig).<br />
In Abhängigkeit von den Belastungsarten (bezogen auf Kräfte) beziehungsweise den Beanspruchungsarten<br />
(bezogen auf Spannungen) kann man auch die zugehörigen Werkstoffkennwerte (beziehungsweise<br />
Kennwertfunktionen) der Stähle zusammenfassend darstellen. In dieser Einführung<br />
werden keine absoluten Werte für die einzelnen Stähle genannt. Im Anhang A2 ist eine allgemeingültige<br />
kürze Übersicht der Werkstoffkennwerte (Stähle) für die Bemessung von Konstruktionen bei<br />
statischer <strong>und</strong> dynamischer Beanspruchung zusammengestellt. In den einzelnen Kapiteln 3, 4 <strong>und</strong><br />
5 sind ausführliche Angaben zu den maßgeblichen Werkstoffkennwerten gemacht.<br />
Die Kennwerte beziehungsweise Kennwertfunktionen sind außer von den Belastungsarten für die<br />
verschiedenartigen Stähle von einer Reihe weiterer Einflüsse abhängig. Besonderen Einfluß haben<br />
dabei:<br />
– die Temperatur während der Belastung,<br />
– das Medium, in dem die Funktion „Tragfähigkeit“ erfüllt werden soll.<br />
Maßgebend für diese Werkstoffkennwerte sind die verschiedenen Formen des Versagens der Tragwerke.<br />
Hier sind von großer Bedeutung die Probleme des Fließens <strong>und</strong> besonders die verschiedenen<br />
Arten von Brüchen der Werkstoffe in Abhängigkeit von den Belastungsarten.<br />
2
1.2 Allgemeingültige Berechnungskonzepte <strong>und</strong> Berechnungsansätze<br />
Berechnungskonzepte<br />
Für die Festigkeitsnachweise haben sich in den letzten Jahren mehrere Konzepte für die Berechnung<br />
(Bemessung) unabhängig voneinander in der Praxis durchgesetzt:<br />
– Nennspannungsnachweis,<br />
– Strukturspannungsnachweis,<br />
– Kerbspannungsnachweis,<br />
– bruchmechanischer Sicherheitsnachweis.<br />
Zur kurzen Einführung sind in Bild 1-1 die Spannungsarten, <strong>und</strong> zwar die Nennspannung (σ n ), die<br />
Strukturspannung (σ s max ) <strong>und</strong> die Kerbspannung (σ k max ), am Beispiel einer geschweißten Kehlnaht<br />
dargestellt.<br />
Bild 1-1.<br />
Spannungsarten (Normal-, Struktur- <strong>und</strong> Kerbspannungen) am Beispiel einer Kehlnaht.<br />
3
Die Normalspannungen in der Schweißnaht <strong>und</strong> <strong>im</strong> beeinflußten Querschnitt werden nach vereinbarten<br />
Regeln ermittelt. Örtliche Kerbwirkungen der Schweißverbindungen selbst werden rechnerisch<br />
nicht berücksichtigt. Dies erfolgt in den Abminderungen der zulässigen Spannungen für die<br />
jeweilige Schweißverbindung unter Berücksichtigung der Beanspruchungsart <strong>und</strong> der in Qualitätsstufen<br />
zugelassenen Imperfektionen (Unregelmäßigkeiten).<br />
Die Strukturspannungen werden an der anrißgefährdeten Stelle bei idealer Schweißnahtgeometrie<br />
best<strong>im</strong>mt (hot spot stress). Diese Spannungen berücksichtigen realistisch großräumige Kerbwirkungen,<br />
besonders dort, wo die konstruktiven Kerben von den Kerben der Schweißverbindung<br />
nicht getrennt werden können. Strukturspannungen können ermittelt werden durch Berechnungen<br />
mit „Finiten Elementen“, durch das direkte Messen mit Dehnungsmeßstreifen <strong>und</strong> durch das<br />
Best<strong>im</strong>men mit parametrischen Formeln.<br />
Die Kerbspannungen sind ermittelte Spannungen <strong>im</strong> Kerbgr<strong>und</strong>. Es wird von einer effektiven<br />
Ersatzkerbe oder einem rechnerischen Kerbfaktor ausgegangen <strong>und</strong> eine relative Bewertung der<br />
geometrischen Größen vorgenommen. Eindeutige Definitionen der Kerbformen sind wegen der<br />
Unregelmäßigkeiten der fertigungsbedingten Kerben oft nicht möglich. Zum Nachweis wird für<br />
geschweißte Stahlkonstruktionen in der FEM-Rechnung („Finite Elemente“-Methode) mit einem<br />
Radius von 1 mm modelliert. Für die Beurteilung von Schweißverbindungen, besonders mit Fehlern<br />
in bezug auf Zäh-, Spröd- <strong>und</strong> Ermüdungsbruch, hat das Konzept der Bruchmechanik in letzter<br />
Zeit große Bedeutung gewonnen.<br />
Im Vordergr<strong>und</strong> aller Regelwerke, Standards <strong>und</strong> der allermeisten Anwendungen der Bemessung von<br />
geschweißten Tragwerken in der Praxis steht das Nennspannungskonzept. Das Nennspannungskonzept<br />
wird deshalb in den nachstehenden Abschnitten zur Berechnung der Tragwerke zugr<strong>und</strong>e gelegt.<br />
Die Berechnung von ungeschweißten <strong>und</strong> geschweißten Bauteilen nach den jeweiligen Konzepten,<br />
besonders dem Kerbspannungskonzept, sowie dem bruchmechanischen Sicherheitsnachweis ist in<br />
der Literatur ausführlich erörtert. Besonders von Radaj wurden viele Beispiele behandelt. Für diese<br />
Konzepte ist die exakte Berechnung der Spannungsverteilungen aus den Lastspannungen an allen<br />
maßgeblichen Konstruktionsteilen, einschließlich dazugehöriger Schweißverbindungen, mit der<br />
Methode der „Finiten Elemente“ notwendig.<br />
Natürlich wird der Aufwand des gesamten Entwurfes von einzelnen Baugruppen erheblich größer.<br />
Diese exaktere D<strong>im</strong>ensionierung führt aber zu besser ausgelasteten Konstruktionen <strong>und</strong> zu wesentlichen<br />
Werkstoffeinsparungen. Für größere Serien wird dieser Weg sicher der günstigere sein.<br />
Nachstehend wird der ganz einfache Weg der Berechnung mit dem Nennspannungskonzept <strong>und</strong> mit<br />
vereinfachten Belastungsannahmen erläutert, um auch bei kleineren Stückzahlen <strong>und</strong> auch in kleineren<br />
<strong>und</strong> mittleren Betrieben sicher zu d<strong>im</strong>ensionieren.<br />
Berechnungsansätze<br />
• Übersicht<br />
Ein ideeller Verlauf von Spannungsgrößen in der Zeit ist in Bild 1-2 dargestellt.<br />
Die statische Beanspruchung (auch vorwiegend ruhende) wird <strong>im</strong> Verlauf der Zeit als fast unverändernd<br />
wirkend angenommen.<br />
Wechselt in der Zeit die Spannung an einer Stelle der Konstruktion Größe <strong>und</strong>/oder Richtung, so<br />
wird diese Beanspruchung als dynamisch bezeichnet. Die einzelnen Beanspruchungsarten sind in<br />
Bild 1-2 für eine jeweils gleichmäßige Beanspruchung veranschaulicht. Man unterscheidet den<br />
Schwell- <strong>und</strong> den Wechselbereich. In Abhängigkeit der Lastspielzahlen werden Kurzzeitfestigkeit,<br />
Zeitfestigkeit <strong>und</strong> Dauerfestigkeit unterschieden. Bei einer nicht gleichmäßigen dynamischen<br />
Beanspruchung gilt der Begriff der Betriebsfestigkeit.<br />
4
Bild 1-2.<br />
Beanspruchungsarten: statisch – dynamisch.<br />
Bild 1-3.<br />
Beispiele des Schwingfestigkeitsverhaltens.<br />
5
Bild 1-3 veranschaulicht diese Begriffe der Schwingfestigkeit (Ermüdungsfestigkeit).<br />
Bild 1-4.<br />
Spannungsverteilung am Beispiel innerer Kerben.<br />
In Bild 1-4 ist vereinfacht nochmals die Spannungsverteilung durch Kerben <strong>und</strong> in Bild 1-5 bei<br />
Stumpf- <strong>und</strong> Kehlnähten dargestellt. Nachstehend werden Bemessungen von Schweißverbindungen<br />
mit dem Berechnungskonzept der Nennspannungen erläutert. Die Wirkung der max<strong>im</strong>alen Spannungen<br />
auf die Tragfähigkeit bei statischer oder dynamischer Beanspruchung wird in den Berechnungsansätzen<br />
erfaßt (siehe hierzu Anhang A2).<br />
• Berechnungsansätze für statische Beanspruchung<br />
Zulässige Spannungen<br />
Der Nachweis nach dem Nennspannungskonzept mit zulässigen Spannungen wird bekanntlich allgemein<br />
durchgeführt:<br />
vorhandene Nennspannung ≤ zulässige Spannung<br />
vorh σ N ≤ zul σ<br />
Der Sicherheitsfaktor (S) wird einheitlich nach den Sicherheitsanforderungen, den Unsicherheiten<br />
in der Ermittlung der Beanspruchungen <strong>und</strong> nach den Streuungen der Werkstoffkennwerte festgelegt.<br />
Be<strong>im</strong> Nennspannungsnachweis sind in den zulässigen Spannungen (zul σ) auch noch die Wirkung<br />
konstruktiver Kerben <strong>und</strong> fertigungstechnische Imperfektionen (Unregelmäßigkeiten) durch<br />
Abminderung der Werkstoffkennwerte berücksichtigt.<br />
6
Bild 1-5.<br />
Spannungsverteilungen in Stumpf- <strong>und</strong> Kehlnähten.<br />
Das Bemessen nach dem Nennspannungskonzept mit zulässigen Spannungen, das zur Zeit am weitesten<br />
verbreitete Berechnungsverfahren, hat naturgemäß mehrere Nachteile in bezug auf die<br />
Genauigkeit der Bewertungsergebnisse. Es findet seine Grenzen be<strong>im</strong> Bewerten neuer Details <strong>und</strong><br />
bei Bauteilen, in denen großräumige Kerbwirkung <strong>im</strong> <strong>Bereich</strong> der Schweißverbindung <strong>und</strong> Kerbwirkung<br />
der Schweißverbindung selbst nicht mehr getrennt werden können.<br />
Teilsicherheiten<br />
In den neuen Darstellungen nach ISO werden die Elemente eines Festigkeitsnachweises klar voneinander<br />
getrennt. Es wird unterschieden zwischen:<br />
– Einwirkungen: Ursachen von Kraft- <strong>und</strong> Verformungsgrößen <strong>im</strong> Tragwerk (F).<br />
– Widerstandsgrößen: Widerstand bei elastischen oder plastischen Grenzzuständen (M).<br />
– Sicherheitselementen: Teilsicherheitsbeiwerte für Einwirkungen γ F <strong>und</strong> für Widerstandsgrößen<br />
γ M sowie ein Kombinationsbeiwert ψ für die Einwirkungen.<br />
7
Be<strong>im</strong> Festigkeitsnachweis der Teile werden die Einwirkungen auf die übliche Weise ermittelt. Die<br />
so ermittelten charakteristischen Werte F k werden dann mit dem Teilsicherheitsbeiwert für die Einwirkungen<br />
γ F <strong>und</strong> gegebenenfalls mit dem Kombinationsbeiwert ψ multipliziert. Hieraus entsteht<br />
der Bemessungswert der Einwirkungen F d . Dieser ist mit dem Bemessungswert der jeweiligen<br />
Widerstandsgröße M d zu vergleichen, der durch Teilung des „charakteristischen“ Widerstandskennwertes<br />
M k durch den Teilsicherheitsbeiwert γ M ermittelt wird. Im einfachsten Fall ist dieser „charakteristische“<br />
Widerstand der Werkstoffkennwert. Das bedeutet:<br />
Bemessungswert der Einwirkungen ≤ Bemessungswert der Widerstandsgröße<br />
• Berechnungsansätze für dynamische Beanspruchung<br />
Wie in Anhang A2 erwähnt, sind mehrere Berechnungsansätze für die Bemessung von Bauteilen<br />
<strong>und</strong> von Schweißverbindungen in der Praxis üblich. In den nachstehend behandelten Regelwerken<br />
<strong>und</strong> Empfehlungen sind zwei Berechnungsansätze von Bedeutung: der R-Berechnungsansatz <strong>und</strong><br />
der ∆σ-Berechnungsansatz.<br />
R-Berechnungsansatz<br />
(R-Spannungsverhältnis, siehe Bild 1-2)<br />
Maßgeblicher Ermüdungsnachweis: max σ N ≤ zul σ D<br />
Die zulässige Nennspannung ist hier abhängig vom Spannungsverhältnis R, von der Lastspielzahl<br />
N <strong>und</strong> von den Abminderungen der Werkstoffkennwerte durch Kerben (auch Schweißnahtarten).<br />
∆σ-Berechnungsansatz<br />
∆σ = σ max – σ min = σ o – σ u (Spannungen, siehe Bild 1-2)<br />
Maßgeblicher Ermüdungsnachweis: ∆σ N ≤ zul ∆σ<br />
Die zulässige Spannung ist hier abhängig vom ∆σ-Wert der Belastung, von der Lastspielzahl N <strong>und</strong><br />
von den Abminderungen der Werkstoffkennwerte durch Kerben (auch Schweißnahtarten). Das<br />
unterschiedliche Verhalten von Schweißnähten, zum Beispiel in bezug auf Art, Belastung <strong>und</strong> Unregelmäßigkeiten,<br />
wird bei diesem ∆σ-Berechnungsansatz in der Regel berücksichtigt mit einer<br />
Schwingfestigkeitszahl (FAT), ein Schwingfestigkeitswert bei N = 2 Mio., bei R = σ max /σ min = 0, bei<br />
Überlebenswahrscheinlichkeit p ü = 97,5 % <strong>und</strong> einer Teilsicherheit γ M = 1,0.<br />
• Schlußbetrachtung<br />
In den einzelnen Kapiteln 3, 4 <strong>und</strong> 5 werden die jeweils verbindlichen beziehungsweise empfohlenen<br />
Berechnungsansätze nochmals mit den dort maßgeblichen Bezeichnungen <strong>und</strong> den jeweiligen<br />
dazugehörigen Werkstoffkennwerten ausführlich erörtert.<br />
8
2 Ermittlung von Nennspannungen in Schweißverbindungen<br />
an Stählen [von A. Neumann]<br />
Im Kapitel 1 sind kurz die üblichen allgemein gültigen Berechnungskonzepte für Schweißverbindungen<br />
erörtert worden. In fast allen Regelwerken steht zur Zeit noch das Berechnungskonzept mit<br />
Nennspannungen <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong>. Die Ermittlung der Nennspannungen für Schweißverbindungen<br />
beruht in den Regelwerken auf gleichen Annahmen. Nur wenige geringe Abweichungen kann man<br />
in den Regelwerken feststellen.<br />
Nachstehend sind diese einheitlichen Berechnungsansätze für Schweißnahtquerschnitten <strong>und</strong><br />
Schweißnaht-Nennspannungen zusammengestellt. In den Kapiteln 3 bis 5 wird zur Bemessung von<br />
Schweißverbindungen in den Anwendungsbereichen auf diese Ermittlung von Nennspannungen<br />
Bezug genommen.<br />
2.1 Stumpf- <strong>und</strong> DHV-Nähte<br />
Stumpfnähte <strong>und</strong> DHV-Nähte unter Zugbeanspruchung<br />
(Belastung senkrecht zur Naht durch Zugkraft F in [N])<br />
• Stumpfnaht (ohne Endkraterbleche, gleiche Blechdicken, Bild 2-1)<br />
(bei abweichenden Best<strong>im</strong>mungen für Stumpfnähte ohne Endkraterbleche sind die jeweiligen Normen<br />
zu beachten)<br />
Schweißnahtlänge: l w = 1 – 2s [mm]<br />
Schweißnahtdicke: a = s [mm]<br />
Schweißnahtfläche: A w = l w ⋅ a [mm 2 ]<br />
Bild 2-1.<br />
9
• Stumpfnaht (mit Endkraterblechen, gleiche Blechdicken, Bild 2-2)<br />
Schweißnahtlänge: l w [mm]<br />
Schweißnahtdicke: a = s [mm]<br />
Schweißnahtfläche: A w = l w ⋅ a [mm 2 ]<br />
Bild 2-2.<br />
• Stumpfnaht (ohne Endkraterbleche, ungleiche Blechdicken, Bild 2-3)<br />
(bei abweichenden Best<strong>im</strong>mungen für Stumpfnähte ohne Endkraterbleche sind die jeweiligen Normen<br />
zu beachten)<br />
Schweißnahtlänge: l w = 1 – 2s 1 [mm]<br />
Schweißnahtdicke: a = s 1 [mm]<br />
Schweißnahtfläche: A w = l w ⋅ a [mm 2 ]<br />
Bild 2-3.<br />
• DHV-Naht <strong>und</strong> HV-Naht (ohne Endkraterbleche, Bild 2-4)<br />
Schweißnahtlänge: l w = 1 1 – 2s 1 [mm]<br />
Schweißnahtdicke: a = s 1 [mm]<br />
Schweißnahtfläche: A w = l w ⋅ a [mm 2 ]<br />
10