5 leNINS BeSeN, 1988 Bronze-Abguss eines reisigbesens Sammlung hamburger Kunsthalle 5
Für den öffentlichen Raum findet Rudolf Herz radikale und oft unbequeme Lösungen, die der tradierten Denkmalskunst wie der Sinnarmut des ritualisierten öffentlichen Gedenkens entgegenstehen. In Erwartung der Ernte (1996, Abb. 11), realisiert für die Straßenmeisterei Engen-Welschingen, wachsen Obstbäume schrägstehenden stählernen Leitern zu, die gebräuchlichen Obstleitern nachgebildet sind. Es ist für Herz wie eine Versuchsanordnung, die um „die meist selbstverständliche Annahme, die Vorwegnahme einer vermeintlich gewissen und auch planbaren Zukunft kreist.“ Und zugleich stellt er die Frage nach dem Gelingen des Kunstwerks. „Hängt sein Gelingen nicht auch davon ab, dass sein Urheber Glück hat, dass etwas geschieht, was außerhalb seines Zutuns liegt?“ 17 Für andere Aufträge im öffentlichen Raum entwickelt Herz seit Herostratos Schriftmonumente. An der Universität Konstanz realisiert er 2000 INDIEN UND NICHT AMERIKA als in Versalien ringförmig angelegte Skulptur. Sie „ist ein plastisches Denkbild über das Glück des Irrenden. Ein Denkbild über das oftmals abenteuerliche Verhältnis von menschlichem Denken und Handeln, über das produktive Scheitern der Pläne und Ideen von Forschern, Entdeckern und Künstlern. INDIEN UND NICHT AMERIKA versteht sich als künstlerischer Denkanstoß, als Plädoyer für abweichende Meinungen und die Umwälzung fest gefügter Denkgebäude.“ 18 Zwischen Intention und Resultat, Absicht und Ziel, Wissen und Kalkül stehen Zufall und mögliche Willkür der Wahl und eben nie ein Gleichheitszeichen. Für den Bundesgerichtshof Karlsruhe schuf Herz die Skulptur Lex injusta non est lex (2003). Durch die kreisförmige Anordnung ist eine konträre Lesart ins Bewusstsein gerückt. „Erscheint in einem Fall Gerechtigkeit als Voraussetzung für das Gesetz – weshalb ein ungerechtes Gesetz kein Gesetz ist –, so lautet im andern Fall die Lesart: ein ungerechtes Gesetz gibt es nicht, denn jedes Gesetz ist per se gerecht.“ 19 Vor dem Landratsamt Rastatt errichtet Rudolf Herz 2007 eine Installation, die aus acht unterschiedlich hohen Elementen in der Art von Fahnenstangen besteht. Als „Fahnen“ sind in kursiver Serifenschrift versal die Personalpronomen ICH, DU, ER, SIE, ES, WIR, IHR, SIE angebracht. ALLE verweist auf Sprache als Verhalten und Mentalität, Instrument der Kommunikation und Konditionierung zwi- 6 rulolf <strong>herz</strong> B i l d , S c h r i f t u n d o r n a m e n t : K u n s t i n d e r Ö f f e n t l i c h k e i t schenmenschlicher Verhältnisse. „ALLE löst die Wörter aus dem alltäglichen Sprachfluss heraus und ermöglicht, spielerisch über Sprache und ihre sozialen und kommunikativen Dimensionen nachzudenken. Die hundertmal unbewusst gebrauchten Pronomen bekommen eine neue Qualität und öffnen sich für subjektive Assoziationen und Deutungen des Publikums.“ 20 In TATLINS DOG (Abb. 2) entstehen zwischen August und September 2008 auf dem Donausteg in Ingolstadt 31 Anagramme aus Polyurethan-Styropor Buchstaben, die Rudolf Herz aus dem Namen der Stadt gebildet hat. Eine poetische Intervention mit rätselhaften Begriffsfolgen wie „ISLAND GOTT“, „ TOS GINA LTD“, „ALS TOT DING“, „GOLD IST TANT“, „DINGOLS TAT“, „DI SANGLOTT“. Herz sieht in dieser Arbeit einen Impuls der Imagination, durch das Gegebene die Vorstellungkraft zu weiten, mithin einen neuen Blick auf Ingolstadt und darüber hinaus zu wagen „Dieses Potential steht als Zeichen für die Veränderungsfähigkeit und die Wandlungsfähigkeiten der Stadt.“ 21 Mit Ornament (Abb. 7) verwirklicht Herz im Jahr 2007 Seherfahrung und Selbstbesinnung in der Wandgestaltung der U-Bahnstation „Oberwiesenfeld“ in München. Was sich als postmoderne schwarzweiße Paneelstruktur darbietet, entsteht aus der anamorphotischen Zerdehnung einer geometrischen Struktur, der ein Labyrinth zugrunde liegt. Den hindurcheilenden wie den wartenden Reisenden bietet sich die Gestaltung zugleich als Bild und imaginierter Fluchtraum. Ornament bietet die fließende Synthese zwischen Standpunkt und Bewegung durch Wahrnehmungsirritation. Das Labyrinth ist durch Anfang=Eingang und Ende=Ausgang – sachlich gesehen – die größtmögliche Distanz zwischen zwei Punkten und kann als Traumbild und Seelenreise gelesen werden, orientierend wie desorientierend im Geflecht der Großstadt. Walter Grasskamp sieht in der U-Bahnstation einen philosophischen Ort, „eine regelmäßige, wenn auch kurzfristige Zwischenstation des Lebensweges, über den man sich ja gerade in unfreiwilligen Pausen gern Rechenschaft ablegt.“ 22 d i e S h o a , d i e e r i n n e r u n g u n d d i e „ M o r a l d e s o r t e s “ In München befestigten Rudolf Herz und Thomas Lehnerer am Morgen des 13. März 1990 ein Schild an der Feldherrnhalle, jenem Ort also, der in der Mythologie der Nationalsozialisten zum Ort des „Blutmarsches des 9. 2 3