FINE Das Weinmagazin - 03-2015
Fine Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema: SCHWEIZ
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D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />
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Verehrte Leserin, lieber Leser,<br />
»Der Apfel ist gefallen!« Ja wie?<br />
Wo? Ich hatte wieder nichts ge sehen.<br />
Schon zum dritten Mal war ich mit<br />
meinem Vater in die Nachmittagsvorstellung<br />
von Schillers Schweizer Nationaldrama in unser kleines<br />
Stadttheater gegangen, um mit angehaltenem Atem zu beobachten,<br />
wie Wilhelm Tell auf zynisches Geheiß des habsburgischen Blutvogts<br />
Gessler mit seiner Armbrust die rotbackige Frucht vom Scheitel seines<br />
Söhnchens Walther schießt. Aber immer wenn der entscheidende<br />
Moment nahte, gab es auf der anderen Seite der Szene eine kurze Aufwallung,<br />
die mich zwei Sekunden vom starren Blick auf Walthers Kopf<br />
ablenkte – und schon: »Der Apfel ist gefallen!« Im Freudenschrei der<br />
erleichtert begeisterten Eidgenossen, denen das Leben des kleinen Tell<br />
geschenkt war durch den – wie ich wieder nur vermuten konnte – Präzisionsschuss<br />
des wackeren Wilhelm musste ich meine Enttäuschung<br />
verbergen, den Augenblick der Wahrheit abermals verpasst zu haben;<br />
wie ich heute weiß: für immer.<br />
Schon damals, in fernen Kindertagen, dämmerte mir eine Gewissheit:<br />
<strong>Das</strong>s fast allem eidgenössischen Tun ein Geheimnis innewohnt,<br />
das zu bewahren offenbar Teil des Rütli-Schwurs war und ist – bis heute.<br />
Um das berühmt-berüchtigte Bankgeheimnis hat es immerhin erregte<br />
öffentliche Debatten gegeben, in und »ennet« der Schweiz. Noch<br />
aufregender und spannender erscheint mir die Geheimnis krämerei,<br />
mit der die Schweizer ihre herrlichen Weine umgeben, so sehr, dass<br />
sie im Ausland kaum erhältlich sind. Dem endlich auf den Grund zu<br />
gehen, haben wir zwei Kollegen um ausführliche Recherchen gebeten:<br />
Peter Keller, Weinredaktor der Neuen Zürcher Zeitung, nähert sich<br />
der eid genössischen Weinszene als intimer Kenner von innen, Rainer<br />
Schäfer, unser Hamburger Reb-Enthusiast, voller Neugier und mit<br />
vielen Fragen von außen. Ob sie den Rätseln der Winzer und Weine<br />
aus dem Waadtland, der Bündner Herrschaft, aus Thurgau, dem Tessin<br />
und anderen Alpen- und Seeregionen der Schweiz auf die Spur gekommen<br />
sind, sie gar geknackt haben – das wollen wir getrost Ihrem Urteil<br />
überlassen. Vielleicht ist aber alles ganz unspektakulär, und die Weinliebhaber<br />
zwischen Basel und Genf trinken ihre raren Spitzenrebsäfte<br />
deshalb lieber selber, weil sie sie keinem Fremden überlassen wollen:<br />
Sie schmecken ihnen vielleicht schlicht besser, als alle Weine, die sie<br />
importieren könnten?<br />
Indessen hat natürlich jeder große Wein seine eigenen wundervoll<br />
verborgenen Seiten, und jeder Weinfreund darf sich als Pfadfinder auf<br />
der Suche nach den Gründen für dessen Vollkommenheit fühlen. Wenn<br />
Armin Diel die wechselvolle Geschichte der ruhmreichen Domaine de<br />
Lambrays nachzeichnet, wird klar, wie und warum der Clos de Lambrays<br />
ein Kleinod der Bourgogne wurde. Wenn Dirk Notheis einen Hochgesang<br />
anstimmt, weil ihn die überwältigende Verkostung von einunddreißig<br />
weltberühmten Syrahs mit den sensorischen Sensationen, die ihm<br />
Mund und Gaumen netzten, nicht sprachlos machte, sondern ihm entzückt<br />
die Zunge löste. Gern wären wir dabeigewesen – wie auch bei der<br />
Präsentation eines neuen Highend-Champagners von Moët & Chandon,<br />
die Stefan Pegatzky zum Anlass nimmt, sich Gedanken zur origi nären<br />
Kunst der Assemblage zu machen. Alchimie? Gewiss nicht, sondern<br />
bedeutende Champagnertradition, allerfeinste Ressourcen und das<br />
Genie eines Kellermeisters. Auch dieser Erfolg ist kein Geheimnis:<br />
Wie ein Holländer zum Großmeister des Ortenauer Spätburgunders<br />
wurde, erzählt Kristine Bäder. Und Till Ehrlich hat die Frage, ob es<br />
einen großartigen Wein aus der Dolcetto-Traube geben könne, geklärt:<br />
Er fand ihn in und um Dogliani, einem malerischen Städtchen im südlichen<br />
Piemont. Je mehr er diese Rotweine verkostete, desto mehr geriet<br />
er auch ins Staunen. Augenblicklich Gewissheit fand er hingegen bei<br />
einer Verti kale aller zwanzig Jahrgänge von Luce della Vite aus dem jahrhunderte<br />
alten Haus Frescobaldi: Ein authentischer roter Toskaner, der<br />
nach etwas unsicherem Beginn heute seinen hohen Standard unangefochten<br />
behauptet – neben Ornellaia und Masseto ein weiterer großer<br />
Wein der bedeutenden Florentiner Weindynastie.<br />
Geheimnis und Wahrheit – beides liegt im Wein. Um Erkenntnis<br />
daraus zu gewinnen, muss man ihn nur verständig trinken. Freilich lässt<br />
sich auch bei verständigem Lesen nicht unbeträchtlicher Erkenntnisgewinn<br />
erzielen. Wir wollen kein Geheimnis daraus machen: Mit<br />
diesem Heft legen wir Ihnen voller Freude die dreißigste Ausgabe von<br />
Fine vor. Und obwohl uns die journalistische Profession zu so kritischer<br />
wie präziser Beobachtung, zu so skeptischem wie passioniertem Urteil,<br />
nicht zuletzt auch zu einem gehörigen Maß an selbst kritischer Reflektion<br />
verpflichtet, halten wir es gelegentlich gern auch mit einer sehr selbstbewussten<br />
ureidgenössischen Maxime: »Jeds Problemli hät zwöi Siite –<br />
die fauschi ond üsi.« <strong>Das</strong> hätte auch der grässliche Gessler bedenken<br />
sollen!<br />
UNNECESSARILY WELL MADE<br />
Thomas Schröder<br />
Chefredakteur<br />
<strong>FINE</strong><br />
Editorial<br />
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