Ärzteblatt November 2008 - Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern
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Das hereditäre Angioödem<br />
Eine neue Therapieoption für ein seltenes Krankheitsbild<br />
Das hereditäre Angioödem (HAE) ist eine seltene, autosomal-dominant<br />
vererbte Erkrankung, die mit unvorhersehbaren<br />
und wiederkehrenden Schwellungen im Gesicht, an den<br />
Händen und Füßen, im Genital-, Magen-Darm- oder Kehlkopfbereich<br />
einhergeht. Die Schwellungen von Kehlkopf<br />
und Zunge sind lebensgefährlich und können zum Tod<br />
durch Ersticken führen. Vom Auftreten der ersten Schwellungsattacken<br />
bis zur korrekten Diagnose der Erkrankung<br />
vergehen oft mehrere Jahre. HAE tritt etwa bei einem von<br />
10.000 bis einem von 50.000 Menschen auf. In Europa geht<br />
man von bis zu 50.000 HAE-Patienten aus, deutschlandweit<br />
sind schätzungsweise 1.000 Betroffene bekannt.<br />
Abb. 1: HAE-Attacke mit Handschwellung (Bildnachweis: Jerini AG)<br />
Bei etwa 75 Prozent der Patienten manifestiert sich die Erkrankung<br />
zum ersten Mal im ersten oder zweiten Lebensjahrzehnt.<br />
Die Schwellungen folgen keinem Muster. Daher<br />
ist es auch nicht möglich vorherzusagen, wo das nächste<br />
Ödem auftreten wird. Eine Schwellung entwickelt sich meist<br />
langsam über 12 bis 36 Stunden und klingt dann spontan im<br />
Verlauf von zwei bis fünf Tagen ab.<br />
In den meisten Fällen treten die Schwellungen ohne erkennbaren<br />
Grund auf. Auslöser können Traumen oder mechanische<br />
Belastungen sein. Schon das längere Tragen einer<br />
schweren Tasche kann zu einer HAE-Attacke führen. Weitere<br />
Auslöser sind psychischer Streß, Infektionskrankheiten<br />
und bei Frauen Östrogene, etwa die Einnahme eines östrogenhaltigen<br />
Kontrazeptivums.<br />
Pathophysiologie<br />
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG<br />
HAE wird in der Literatur als C1-Esterase-Inhibitor-Mangel-<br />
Erkrankung beschrieben. Der Hintergrund: Infolge eines<br />
Gendefekts auf Chromosom 11 sind Konzentration oder Aktivität<br />
des C1-Esterase-Inhibitors (C1-INH) erniedrigt. Zentraler<br />
Mediator im Krankheitsgeschehen ist nach neuen<br />
Erkenntnissen jedoch das Peptidhormon Bradykinin, das für<br />
die Symptomentstehung bei HAE verantwortlich ist. Es bindet<br />
an den Bradykinin-B2-Rezeptor, was zu einer Erweiterung<br />
der Blutgefäße und einer Zunahme der Kapillarpermeabilität<br />
führt.<br />
Diagnose des HAE<br />
Treten bei einem Patienten wiederholt Schwellungen auf,<br />
die nicht auf eine allergische Reaktion zurückzuführen sind,<br />
sollte zunächst die familiäre Vorbelastung geprüft werden.<br />
Bei 80 Prozent sind auch Vater oder Mutter betroffen. Besteht<br />
ein Verdacht auf HAE, sollte die Plasmakonzentrationen<br />
von C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH) und dem Komplementfaktor<br />
C4 sowie die C1-INH-Aktivität gemessen werden.<br />
Verminderte Konzentrationen bei C1-INH und C4 weisen<br />
auf HAE Typ-I hin. Ist die C1-Aktivität und die C4-Konzentration<br />
reduziert, liegt Typ-II vor. Bei den anderen HAE-<br />
Formen versagen die serologischen Methoden, hier sind<br />
zum Teil genetische Untersuchungen möglich.<br />
Die Unterscheidung eines bradykininvermittelten Hautödems<br />
von allergischen Reaktionen und den meisten Formen<br />
AUSGABE 11/<strong>2008</strong> 18. JAHRGANG Seite 369