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Seite 8<br />

Über Kochen, Dresscode und Kirche<br />

Sambia. Choma, Livingstone und Mazabuka.<br />

In den ersten Wochen habe ich<br />

schon so viele Plätze in diesem neuen, noch<br />

etwas fremden Land gesehen. Dieses Jahr<br />

habe ich die Orientierungsswochen bei der<br />

Ordensschwester in ihrem „Convent“ (Kloster)<br />

verbringen dürfen – ein Gegensatz zu<br />

den letzten Jahren. Aber deswegen habe ich<br />

das Leben in Choma und das der Ordensschwester<br />

hautnah miterleben können. Zusammen<br />

haben wir gekocht, gespült, gewaschen<br />

und den restlichen Haushalt geschmissen.<br />

Und wenn bei der Ordensschwester<br />

gekocht wird oder auch in meiner Familie,<br />

bei der ich nun wohne, dann wird schon<br />

morgens damit angefangen (oder am Tag<br />

vorher). Es werden Bohnen noch vor dem<br />

Frühstück geköchelt, Fisch am Tag vorher<br />

getrocknet. Kochen ist hier kein „ich wärme<br />

mir mal eben was in der Mikrowelle auf“.<br />

Kochen ist hier ein Prozess und zwar ein<br />

Prozess mit viel Geduld und Arbeit. Aber das<br />

ist gerade schön. In meiner Familie kochen<br />

meistens wir Kinder. Und deswegen verbringen<br />

wir schon allein beim Kochen viel Zeit<br />

miteinander.<br />

Einmal war es so, dass wir so viel gequatscht<br />

haben, dass das Gemüse schon<br />

wieder kalt geworden war und Mama sich<br />

beschwert hat. Doch auch sie muss<br />

schmunzeln, wenn sie uns in der Küche<br />

hört, wie wir Gospellieder singen oder wie<br />

ich versuche, ihnen Paartanz beizubringen.<br />

Tanzen und Singen ist hier etwas ganz<br />

Alltägliches. In meinem Freundeskreis in Aachen<br />

habe ich oft das Gefühl, dass besonders<br />

die Jungen nicht tanzen, weil sie<br />

sich schämen. Hier schämt sich niemand.<br />

Hier werden vor der Kirche, wenn auf ein<br />

Treffen gewartet wird (und es wird hier oft<br />

gewartet) die Trommeln rausgeholt, und es<br />

fängt einfach irgendwer an zu tanzen.<br />

Genauso ist das mit Singen. Ständig<br />

wird gesungen, beim Kochen, beim Kehren,<br />

besonders natürlich in der Kirche.<br />

Kirche verbindet einfach alles. Und wenn<br />

man sonntags zur Messe geht, alle Leute<br />

trifft, zusammen singt und lacht, dann fühle<br />

ich einfach, dass Kirche hier lebt und ich<br />

wünschte, ich könnte etwas von diesem<br />

„Spirit“ mit nach Deutschland nehmen.<br />

Genauso in meiner Familie. Wir sind<br />

sehr katholisch und deswegen wird jeden<br />

Abend zusammen gebetet, was ich sehr<br />

schön finde. Einer leitet immer das Gebet,<br />

und so kann jeden Tag ein anderes Familienmitglied<br />

seine Gedanken mitteilen. Das<br />

verbindet.<br />

Ich wurde sowieso direkt in die Familie<br />

aufgenommen, und so habe ich erst mal<br />

beim Ankommen einen<br />

Tonganamen verpasst bekommen,<br />

der nichts anderes<br />

heißt als „Blessing“ (Segen).<br />

Auf Tonga ist das Chileleko,<br />

und wenn ich mich hier mit<br />

diesem Namen vorstelle,<br />

ernte ich jedes Mal erstaunte<br />

Blicke, weil dieser jemand<br />

nicht glauben kann, dass ein<br />

weißes Mädchen Chileleko<br />

heißt. Meine Mutter ist überzeugt<br />

davon, dass ich allein<br />

hier in dieser Familie bin,<br />

weil es Gottes Wille war.<br />

Und so bin ich ein Segen, eine „Chileleko“,<br />

und ein weiteres ihrer Kinder, und das fühle<br />

ich auch. Ich bin hier keine Fremde.<br />

Vom ersten Moment an war ich ein Teil<br />

der Familie, und als mich der Priester in meiner<br />

ersten Messe vorgestellt hat und ich und<br />

meine Gastschwester nach vorne kommen<br />

mussten, meinte er: „Das sind Helen und<br />

Winnie und sie sind Schwestern.“ Und alle<br />

haben gelacht.<br />

Leider ist unser erstes Meeting der Jugend<br />

in meiner Gemeinde ausgefallen, ganz<br />

plötzlich. Hier muss man jederzeit auf alles<br />

vorbereitet sein, „anytime from now“ sagen<br />

wir hier (jederzeit ab jetzt).<br />

Was mich natürlich als modebegeistertes<br />

Mädchen besonders interessiert, ist die<br />

Kleidung, die hier getragen wird. Die Ordensschwester<br />

meinte zu mir, dass sie sehr<br />

streng ist, was Kleidung angeht und sie<br />

meinte, dass in Deutschland vielleicht Dinge<br />

wie Pünktlichkeit wichtig sind. Aber hier ist<br />

eines der Dinge, die wichtig sind, der Dresscode.<br />

So zieht sich meine Familie jeden<br />

Sonntag schick an, um zur Messe zu gehen,<br />

Kleider werden noch schnell gebügelt und<br />

Hemden herausgekramt. Und wenn man<br />

absolut nicht weiß, was man diesen Sonntag<br />

anziehen soll, dann bindet man sich ein<br />

Chitenge um, das ist nie verkehrt.<br />

Chitenge, das ist ein bedruckter Stoff,<br />

den sich die Frauen hier um die Hüften binden.<br />

Es gibt Stoff mit kirchlichen Motiven<br />

und welchen mit einfachen Mustern. Man<br />

kann sie als Tuch, als Rock, als Tragetasche<br />

für Babys und Gemüse benutzen und sie<br />

sind nie verkehrt zu tragen. Mit einem Chitenge<br />

in der Tasche ist man immer auf der<br />

sicheren Seite, finde ich.<br />

Was außerdem typisch hier ist, das ist<br />

natürlich das afrikanische Haar – oder sollte<br />

ich lieber indisches Haar sagen? Denn<br />

irgendwie war ich immer der Überzeugung,<br />

dass die tollen Rastalocken und geflochtenen<br />

Zöpfe der Sambierinnen aus echtem<br />

Haar bestehen. Falsch gedacht.<br />

In meiner zweiten Woche habe ich einen<br />

„Hairdresser“ (Friseur) besucht und da<br />

wurden alle Frisuren von lang bis kurz mit<br />

falschem Haar angenäht, hineingeflochten<br />

und aufgedreht. Ich war fasziniert. Und deswegen<br />

musste ich mir natürlich auch selbst<br />

so eine tolle Frisur verpassen lassen. Acht<br />

geschlagene Stunden habe ich dort verbracht,<br />

während die Friseusen um mich<br />

rumgeschwirrt sind und wir Geschichten<br />

ausgetauscht haben – über Filme, die hier<br />

wie in Deutschland bekannt sind aber auch<br />

über Dinge wie, dass in Deutschland in der<br />

Kirche nicht getanzt wird, was man schokkierend<br />

fand. Außerdem habe ich die ein<br />

oder andere Geschichte über „Witchcraft“<br />

(Hexerei) gehört und musste schmunzeln,<br />

weil die meisten Leute hier auf dieser Zauberei<br />

beharren.

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