ewe aktuell_Jubiläum_2_2015
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Seite 8<br />
Über Kochen, Dresscode und Kirche<br />
Sambia. Choma, Livingstone und Mazabuka.<br />
In den ersten Wochen habe ich<br />
schon so viele Plätze in diesem neuen, noch<br />
etwas fremden Land gesehen. Dieses Jahr<br />
habe ich die Orientierungsswochen bei der<br />
Ordensschwester in ihrem „Convent“ (Kloster)<br />
verbringen dürfen – ein Gegensatz zu<br />
den letzten Jahren. Aber deswegen habe ich<br />
das Leben in Choma und das der Ordensschwester<br />
hautnah miterleben können. Zusammen<br />
haben wir gekocht, gespült, gewaschen<br />
und den restlichen Haushalt geschmissen.<br />
Und wenn bei der Ordensschwester<br />
gekocht wird oder auch in meiner Familie,<br />
bei der ich nun wohne, dann wird schon<br />
morgens damit angefangen (oder am Tag<br />
vorher). Es werden Bohnen noch vor dem<br />
Frühstück geköchelt, Fisch am Tag vorher<br />
getrocknet. Kochen ist hier kein „ich wärme<br />
mir mal eben was in der Mikrowelle auf“.<br />
Kochen ist hier ein Prozess und zwar ein<br />
Prozess mit viel Geduld und Arbeit. Aber das<br />
ist gerade schön. In meiner Familie kochen<br />
meistens wir Kinder. Und deswegen verbringen<br />
wir schon allein beim Kochen viel Zeit<br />
miteinander.<br />
Einmal war es so, dass wir so viel gequatscht<br />
haben, dass das Gemüse schon<br />
wieder kalt geworden war und Mama sich<br />
beschwert hat. Doch auch sie muss<br />
schmunzeln, wenn sie uns in der Küche<br />
hört, wie wir Gospellieder singen oder wie<br />
ich versuche, ihnen Paartanz beizubringen.<br />
Tanzen und Singen ist hier etwas ganz<br />
Alltägliches. In meinem Freundeskreis in Aachen<br />
habe ich oft das Gefühl, dass besonders<br />
die Jungen nicht tanzen, weil sie<br />
sich schämen. Hier schämt sich niemand.<br />
Hier werden vor der Kirche, wenn auf ein<br />
Treffen gewartet wird (und es wird hier oft<br />
gewartet) die Trommeln rausgeholt, und es<br />
fängt einfach irgendwer an zu tanzen.<br />
Genauso ist das mit Singen. Ständig<br />
wird gesungen, beim Kochen, beim Kehren,<br />
besonders natürlich in der Kirche.<br />
Kirche verbindet einfach alles. Und wenn<br />
man sonntags zur Messe geht, alle Leute<br />
trifft, zusammen singt und lacht, dann fühle<br />
ich einfach, dass Kirche hier lebt und ich<br />
wünschte, ich könnte etwas von diesem<br />
„Spirit“ mit nach Deutschland nehmen.<br />
Genauso in meiner Familie. Wir sind<br />
sehr katholisch und deswegen wird jeden<br />
Abend zusammen gebetet, was ich sehr<br />
schön finde. Einer leitet immer das Gebet,<br />
und so kann jeden Tag ein anderes Familienmitglied<br />
seine Gedanken mitteilen. Das<br />
verbindet.<br />
Ich wurde sowieso direkt in die Familie<br />
aufgenommen, und so habe ich erst mal<br />
beim Ankommen einen<br />
Tonganamen verpasst bekommen,<br />
der nichts anderes<br />
heißt als „Blessing“ (Segen).<br />
Auf Tonga ist das Chileleko,<br />
und wenn ich mich hier mit<br />
diesem Namen vorstelle,<br />
ernte ich jedes Mal erstaunte<br />
Blicke, weil dieser jemand<br />
nicht glauben kann, dass ein<br />
weißes Mädchen Chileleko<br />
heißt. Meine Mutter ist überzeugt<br />
davon, dass ich allein<br />
hier in dieser Familie bin,<br />
weil es Gottes Wille war.<br />
Und so bin ich ein Segen, eine „Chileleko“,<br />
und ein weiteres ihrer Kinder, und das fühle<br />
ich auch. Ich bin hier keine Fremde.<br />
Vom ersten Moment an war ich ein Teil<br />
der Familie, und als mich der Priester in meiner<br />
ersten Messe vorgestellt hat und ich und<br />
meine Gastschwester nach vorne kommen<br />
mussten, meinte er: „Das sind Helen und<br />
Winnie und sie sind Schwestern.“ Und alle<br />
haben gelacht.<br />
Leider ist unser erstes Meeting der Jugend<br />
in meiner Gemeinde ausgefallen, ganz<br />
plötzlich. Hier muss man jederzeit auf alles<br />
vorbereitet sein, „anytime from now“ sagen<br />
wir hier (jederzeit ab jetzt).<br />
Was mich natürlich als modebegeistertes<br />
Mädchen besonders interessiert, ist die<br />
Kleidung, die hier getragen wird. Die Ordensschwester<br />
meinte zu mir, dass sie sehr<br />
streng ist, was Kleidung angeht und sie<br />
meinte, dass in Deutschland vielleicht Dinge<br />
wie Pünktlichkeit wichtig sind. Aber hier ist<br />
eines der Dinge, die wichtig sind, der Dresscode.<br />
So zieht sich meine Familie jeden<br />
Sonntag schick an, um zur Messe zu gehen,<br />
Kleider werden noch schnell gebügelt und<br />
Hemden herausgekramt. Und wenn man<br />
absolut nicht weiß, was man diesen Sonntag<br />
anziehen soll, dann bindet man sich ein<br />
Chitenge um, das ist nie verkehrt.<br />
Chitenge, das ist ein bedruckter Stoff,<br />
den sich die Frauen hier um die Hüften binden.<br />
Es gibt Stoff mit kirchlichen Motiven<br />
und welchen mit einfachen Mustern. Man<br />
kann sie als Tuch, als Rock, als Tragetasche<br />
für Babys und Gemüse benutzen und sie<br />
sind nie verkehrt zu tragen. Mit einem Chitenge<br />
in der Tasche ist man immer auf der<br />
sicheren Seite, finde ich.<br />
Was außerdem typisch hier ist, das ist<br />
natürlich das afrikanische Haar – oder sollte<br />
ich lieber indisches Haar sagen? Denn<br />
irgendwie war ich immer der Überzeugung,<br />
dass die tollen Rastalocken und geflochtenen<br />
Zöpfe der Sambierinnen aus echtem<br />
Haar bestehen. Falsch gedacht.<br />
In meiner zweiten Woche habe ich einen<br />
„Hairdresser“ (Friseur) besucht und da<br />
wurden alle Frisuren von lang bis kurz mit<br />
falschem Haar angenäht, hineingeflochten<br />
und aufgedreht. Ich war fasziniert. Und deswegen<br />
musste ich mir natürlich auch selbst<br />
so eine tolle Frisur verpassen lassen. Acht<br />
geschlagene Stunden habe ich dort verbracht,<br />
während die Friseusen um mich<br />
rumgeschwirrt sind und wir Geschichten<br />
ausgetauscht haben – über Filme, die hier<br />
wie in Deutschland bekannt sind aber auch<br />
über Dinge wie, dass in Deutschland in der<br />
Kirche nicht getanzt wird, was man schokkierend<br />
fand. Außerdem habe ich die ein<br />
oder andere Geschichte über „Witchcraft“<br />
(Hexerei) gehört und musste schmunzeln,<br />
weil die meisten Leute hier auf dieser Zauberei<br />
beharren.