Laufmagazin 2016
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Block C. Rechnet man ein, dass die Zeitmessung erst beim<br />
Überqueren der Startlinie einsetzt, blieb Böhm immer noch<br />
ein Netto-Vorsprung von 11 Minuten. Gabi S. lag zu diesem<br />
Zeitpunkt bei den Frauen auf Rang 22.<br />
Theoretisch ist es natürlich möglich, einen solchen Vorsprung<br />
aufzuholen, vor allem wenn die Führende schwächelt.<br />
Doch das tat Sibylle Böhm nicht. Sie lief die ersten<br />
15,5 Kilometer im Schnitt in 4:33 Minuten, den Rest in<br />
5:01. Gabi S. absolvierte den ersten Teil in durchschnittlich<br />
5:29 Minuten pro Kilometer. Auf der übrigen Strecke müsste<br />
sie jeden Kilometer dann in sagenhaften 4:11 Minuten<br />
geschafft haben. „Eine unwahrscheinliche Steigerung“, wie<br />
der erfahrene Leichtathletik-Trainer Wolfgang Beck meint.<br />
Die bei Gabi S. fehlenden Messpunkte lagen allesamt am<br />
Donauufer unterhalb des Metzgerturms, dort, wo sich bei<br />
Kilometer 20 Marathon- und Halbmarathonstrecke trennen.<br />
Bernd Hummel erklärt es genauer: „Die, die den Halben<br />
laufen, machen eine 180-Grad-Wende und laufen hoch<br />
zur Fischergasse. Für die Marathonis geht es drei Kilometer<br />
geradeaus in die Friedrichsau und von dort auf dem gleichen<br />
Weg zurück. Dann biegen sie zum Metzgerturm ab und laufen<br />
oben auf der Stadtmauer weiter. Auf der Schleife in die<br />
Friedrichsau gibt es gleich drei Messpunkte, bei Kilometer<br />
20,5, 21,1 und 25,5.“<br />
Will jemand unbemerkt abkürzen, bietet sich genau dieser<br />
Abschnitt mit „Gegenverkehr“ an. „Zum Beispiel das kleine<br />
Stück direkt unter der Herdbrücke“, meint Hummel. „Da<br />
gibt es kaum Zuschauer. Wenn jemand stehenbleibt und so<br />
tut, als müsse er den Schuh binden, kann er anschließend<br />
ohne groß aufzufallen die Richtung wechseln und knapp<br />
sechs Kilometer sparen.“ Allerdings fehlen dann am Ende<br />
Die fehlenden Messpunkte lagen allesamt am<br />
Donauufer unterhalb des Metzgerturms<br />
drei Zwischenzeiten – genau die, um die es bei Gabi S. geht.<br />
Die Indizienkette schließt sich also immer mehr. Was sagt<br />
die „Verdächtige“ dazu? Bernd Hummel versucht es mit<br />
einem Anruf. Gabi S. gibt sich überrascht und erklärt, sie<br />
sei die ganze Strecke gelaufen. Später bietet sie auch an, die<br />
Aufzeichnung ihrer GPS-Uhr als Beweis zur Verfügung zu<br />
stellen. Aufatmen bei den „Einsteinen“. Vielleicht stellt sich<br />
doch alles noch als ein Missverständnis heraus. Doch die versprochenen<br />
Daten kommen nicht. Auch dafür liefert Gabi S.<br />
eine Erklärung: Ihre GPS-Uhr würde die längsten Strecken<br />
immer überschreiben. Und da sie mittlerweile schon wieder<br />
viel gelaufen sei, sei der Track eben weg. Wahrheit oder<br />
Märchen? Markus Ebner, Bernd Hummel und Wolfgang<br />
Beck tippen auf Letzteres. „Wer läuft ein paar Tage nach<br />
dem schnellsten Marathon seines Lebens schon wieder so<br />
eine lange Strecke?“, fragt Hummel, der selbst schon viele<br />
Marathons in den Beinen hat.<br />
Irgendwann räumt Gabi S. dann ein, dass sie möglicherweise<br />
doch nicht die ganze Strecke gelaufen sei. Wenn, dann allerdings<br />
nicht absichtlich, sondern, weil die Strecke schlecht<br />
ausgeschildert gewesen war. „Alles was passieren kann, wird<br />
auch irgendwann passieren”, sagt Bernd Hummel. „Allerdings<br />
ist es doch sehr unwahrscheinlich, schließlich laufen<br />
wir schon viele Jahre diese Strecke und es ist soweit wir<br />
Wurde nachträglich beim großen Helferfest zur Siegerin gekürt:<br />
Sibylle Böhm mit einer Zeit von 3:23:44 Stunden. Foto: SportOnline<br />
wissen noch nie passiert. Außerdem war sie ja nicht alleine<br />
unterwegs.“ Ein weiterer Blick auf die Zeitmessungen untermauert<br />
das: Wäre Gabi S. nach der ersten Messung konstant<br />
weitergelaufen, hätte sie den nächsten Punkt bei Kilometer<br />
20,5 um 11:03 passieren müssen. Dort, ein kleines Stück<br />
hinter der Herdbrücke, wurde sie aber nicht erfasst – im<br />
Gegensatz zu zwölf anderen Läufern, die genau in dieser<br />
Minute gemessen wurden. „Außerdem“, so Bernd Hummel<br />
weiter, „ müssen ihr die ersten Läufer schon entgegengekommen<br />
sein. Da ist doch jedem klar, wohin es weitergeht.“<br />
Dazu kommt: Auch an diesen Messstellen standen Videokameras.<br />
In akribischer Kleinarbeit durchforsten die „Marathon-Detektive“<br />
die Aufnahmen für den Zeitraum, in dem<br />
Gabi S. dort vorbeigekommen sein müsste. Fehlanzeige. Alle<br />
anderen Läuferinnen und Läufer können sie identifizieren.<br />
Von Gabi S. aber keine Spur.<br />
Er konfrontiert die Läuferin mit diesen Erkenntnissen. Doch<br />
auch sie entlocken ihr kein Geständnis. Das wird auch später<br />
nicht kommen. Im Gegenteil: In der Presse wird sie behaupten,<br />
nicht bewusst getäuscht zu haben und die Schuld,<br />
wenn es denn eine gibt, auf die Veranstalter abwälzen.<br />
Doch die wissen schon jetzt genug: Sie erkennen Gabi S.<br />
den Sieg ab – was diese ohne Protest hinnimmt. Für die drei<br />
Marathon-Organisatoren bleibt die Frage nach dem Motiv.<br />
Dass Gabi S. sich den Sieg erschleichen wollte, halten sie für<br />
unwahrscheinlich. Selbst mit ihrer angeblichen Siegeszeit<br />
von 3:10:41 Stunden wäre sie ein Jahr zuvor bei den Frauen<br />
gerade mal auf Platz sechs gekommen, in der Gesamtwertung<br />
sogar nur auf Rang 71. „Wir vermuten, dass sie einfach<br />
eine gute Zeit dokumentiert haben wollte“, sagt Markus Ebner.<br />
Gut zwei Wochen nach dem Marathon ehren die Veranstalter<br />
dann beim großen Helferfest die wirkliche Siegerin:<br />
Sibylle Böhm, die nach 3:23:44 Stunden ins Ziel gekommen<br />
und exakt 42,195 Kilometer gelaufen ist. Der Radler hatte<br />
sich also an die richtige Frau gehängt.<br />
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Klaus Eckardt<br />
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