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Interview<br />
„Bad as me“<br />
Seinen letzten Drink nahm Tom Waits vor Jahrzehnten und<br />
seine Musik wird einfach nur verrückter und besser. Gerade<br />
veröffentlichte er sein 17. Album. Er geht in sein Stammlokal<br />
und redet mit uns über das Schreiben<br />
von Songs und das harte Leben.<br />
Info:<br />
www.badasme.com<br />
Wort: Tim Adams / The Observer / The Interview People<br />
Bild: picture-alliance / SCHROEWIG/CS / The Interview People<br />
Früher dachte ich, dass alle guten Aufnahmen<br />
um drei Uhr morgens gemacht werden“,<br />
erzählt mir Tom Waits mit seiner verschwörerischen,<br />
verzehrten und kratzenden Stimme,<br />
die für diese frühen Stunden immer noch wie<br />
geschaffen scheint. „Als ich anfing, wollte ich<br />
daher ins Studio, wenn die Bars dicht machten.<br />
Ich dachte einfach, das sei die Zeit, zu der alles<br />
Entscheidende passiert. Und ich schätze, dass es<br />
für mich eine ganze Weile auch funktioniert hat.<br />
Aber heute glaube ich nicht mehr so recht daran.<br />
Heute weiß ich, dass es mehr als nur eine Art<br />
gibt, sich an eine Herde Vieh heranzuschleichen<br />
….“<br />
Waits sitzt im Hinterzimmer einer Kneipe in der<br />
Nähe seiner Heimatstadt Santa Rosa, wo die industrialisierte<br />
Agrarlandschaft im Norden San<br />
Franziskos in Weinanbaugebiet übergeht. Wie er<br />
ist das Washoe House eine altehrwürdige und etwas<br />
verwitterte Institution. Seit Ulysses S Grant<br />
hier zu Gast war – und Berichten zufolge unbekleidet<br />
vom Balkon aus eine Rede hielt, nachdem<br />
er auf dem Weg nach oben eine amouröse<br />
Begegnung hatte – hat fast jeder Gast einen Dollarschein<br />
an die Decke gepinnt und es war noch<br />
nie jemand verzweifelt genug, um wieder einen<br />
herunterzuholen. Die Jukebox spielt Country.<br />
Wie ein Hund, der vor einem Feuer liegt, hat der<br />
stets wachsame Waits ein Ohr auf sie gerichtet.<br />
Immer mal wieder unterbricht er sich und grunzt<br />
einen Fetzen der ein oder anderen Cowboy-Melodie<br />
mit.<br />
Wir reden über sein neues Album „Bad As Me“,<br />
sein 17., und seine neue Angewohnheit, im Alter<br />
von 61 Jahren auf einmal früh morgens ins Studio<br />
zu gehen. „Heute will ich anfangen, bevor<br />
irgendjemand einen musikalischen Gedanken<br />
hatte”, sagt er. „Wenn du eine Platte aufnimmst,<br />
bist du derjenige, der sagt, wann es losgeht und<br />
wann gestoppt wird. Man muss aufpassen, dass<br />
die interessantesten Sachen nicht passieren,<br />
während das Band gerade nicht läuft. Ich versuche<br />
aufzupassen, was die Leute machen, wenn<br />
sie zur Tür reinkommen. Wenn sie nur herumblödeln,<br />
bevor wir anfangen, ist der erste Take<br />
möglicherweise der beste des ganzen Tages. Ich<br />
muss geduldig sein.“<br />
Da auf Bad As Me Legenden wie Keith<br />
Richards, der Bassist Flea (von den Red Hot<br />
Chili Peppers) und der hochbegabte Marc Ribot<br />
mitwirken, liegt es auf der Hand, warum Waits<br />
sich immer auf Trab hält. Bei einem Titel auf<br />
dem Album singt er mit Richards im Duett. „I‘m<br />
the last leaf on the tree“ krächzen sie sagenhaft<br />
im Einklang und man ist fast davon überzeugt,<br />
dass die Endzeit kurz bevorsteht.<br />
Fortsetzung auf Seite 104<br />
<strong>Rettl</strong> & <strong>friends</strong><br />
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