Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Historie<br />
Die Royals in Nötsch<br />
Nötsch im Gailtal am frühen Morgen des 5. Juni 1937. Entlang der Gail ziehen<br />
Nebelschwaden durch das Tal. Während in der Wiegele-Mühle hektische Betriebsamkeit<br />
herrscht, schlafen im Dorf noch alle. Noch ahnt kaum jemand, dass um Mitternacht drei<br />
ereignisreiche Monate angebrochen waren. Und jene, die es schon wissen, schweigen eisern.<br />
Der Gutsverwalter auf dem oberhalb des<br />
Ortes gelegenen Schloss Wasserleonburg<br />
hatte die geheimnisvollen Gäste bereits erwartet.<br />
Auch der Postenkommandant der Gendarmerie<br />
war kurzfristig von dem wichtigen Auftrag informiert<br />
worden. Im Laufe des Tages beginnt die<br />
rege Betriebsamkeit rund um das Schloss, das<br />
zu diesem Zeitpunkt der Besitzer Graf Paul von<br />
Münster an den Grafen Franz Kement Franken-<br />
Fiertorpff verpachtet hatte, auch den Menschen<br />
im Dorf aufzufallen. Immer mehr Fahrzeuge<br />
schlängeln sich die kurvige Straße hinauf nach<br />
Wasserleonburg und im Ort tauchen Menschen<br />
auf, die man bis zu diesem Zeitpunkt noch nie<br />
gesehen hat. Die Gerüchteküche brodelt. Ein<br />
Fest bei „denen da oben“ war nichts Neues,<br />
aber die zusätzlichen Gendarmen und das ganze<br />
„Brimborium“ hatten auch die Alten unter den<br />
Nötschern das letzte Mal beim Besuch von Kaiserin<br />
Zita, 1917, erlebt.<br />
Wort: Gerhard Leeb, Bild: Archiv Wasserleonburg<br />
Im Zentrum der Aufmerksamkeit<br />
Erst am Abend sickert die wahre Dimension<br />
durch: Kurz nach Mitternacht, aus Cannes kommend,<br />
auf der Flucht vor den Reportern der<br />
Yellow-Press, hatte der abgedankte britische König<br />
Edward III. gemeinsam mit seiner bürgerlichen<br />
Frau Wallis Simpson Nötsch als Versteck<br />
ausgewählt. Die Verschlafenheit des Ortes, in<br />
dem er bereits im Februar kurz weilt, soll seine<br />
Flitterwochen ruhiger gestalten. Edward VIII.,<br />
Albert Christian George Andrew Patrick David,<br />
war von 1910 bis 1936 Prince of Wales und von<br />
Jänner bis Dezember 1936 – bis zu seiner Abdankung<br />
– König von England und Kaiser von<br />
Indien. Als sein Verhältnis zur bereits zweimal<br />
geschiedenen US-Amerikanerin Wallis Simpson<br />
bekannt wurde, musste Edward als König abdanken<br />
und ging freiwillig ins Exil in die Nähe von<br />
Cannes. Nach der Hochzeit im südfranzösischen<br />
Schloss Candé wurden die beiden von den Medien<br />
gnadenlos verfolgt. Im international kaum<br />
zur Kenntnis genommenen Nötsch im Gailtal,<br />
erhofften sich die frisch Vermählten zur Ruhe<br />
zu kommen. Für ihre Sicherheit sorgten österreichische<br />
Gendarmen und Geheimdienstleute. Die<br />
strenge Geheimhaltung hielt nicht lange und bald<br />
tauchten auch die ersten Reporter auf und belagerten<br />
die Menschen im Dorf und im Schloss.<br />
Liebespaar des Jahrzehnts<br />
Edward und Wallis schienen sich inmitten der<br />
Dorfidylle am Fuße des Dobratschs wohlzufühlen.<br />
Sie nahmen am Kirchtag teil, spendierten<br />
Freibier und den Kindern Gebäck und unternahmen<br />
Ausflüge in die Umgebung. Nötsch war den<br />
<strong>Sommer</strong> 1937 über ein Mittelpunkt der royalen<br />
Welt. Erst am 7. September löste sich, mit der<br />
Weiterreise des „Liebespaares des Jahrzehnts“<br />
nach Ungarn, der Spuk auf. In Nötsch selbst ging<br />
das Leben weiter.<br />
Galant hilft ein österreichischer Staatspolizist Wallis Simpson über den Zaun einer Kuhweide<br />
bei Nötsch. Der Herzog von Windsor (3. v. l.) muss auf seinen „Auftritt“ noch warten.<br />
Abdankungsurkunde des britischen<br />
Königs Edward III<br />
8 <strong>Rettl</strong> & <strong>friends</strong>