25.04.2016 Aufrufe

lass fallen anker - Blätter der Deutschen Seemannsmission

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Interview | Von Stationen und Personen<br />

Weltweit neue Herausfor<strong>der</strong>ungen für die Deutsche <strong>Seemannsmission</strong><br />

Engel für Seeleute<br />

Gespräch mit DSM-Generalsekretärin Heike Proske<br />

(C) Kling 2009<br />

Man kümmert sich seit 1886<br />

um das Wohl von Seeleuten:<br />

Die Deutsche <strong>Seemannsmission</strong><br />

(DSM) ist weltweit bekannt<br />

und geschätzt. Sie betreibt<br />

in 16 deutschen und 16<br />

Häfen außerhalb von Deutschland<br />

Stationen mit mehr als<br />

700 haupt- und ehrenamtlichen<br />

Mitarbeitenden. Heike<br />

Proske, Generalsekretärin <strong>der</strong><br />

DSM, berichtete <strong>der</strong> SCHIFF-<br />

FAHRT von <strong>der</strong>en Arbeit.<br />

Frau Proske, warum ist die<br />

Unterstützung von Seeleuten<br />

so wichtig?<br />

Heike Proske | Mehr als 90<br />

Prozent aller gehandelten Waren<br />

werden auf Schiffen transportiert.<br />

Weltweit arbeitet über eine<br />

Million Seeleute auf Schiffen und<br />

gewährleistet damit den globalen<br />

Handel. Sie versorgen Menschen<br />

mit Gütern aller Art. Dies von den<br />

Verbrauchern meist unbemerkt<br />

und unter Arbeitsbedingungen,<br />

die in keiner Hinsicht <strong>der</strong> Bedeutung<br />

ihrer Arbeit entsprechen.<br />

Wie muss man sich den Alltag<br />

auf den heutigen Schiffen<br />

vorstellen?<br />

Heike Proske | Auf einem großen<br />

Schiff arbeiten in <strong>der</strong> Regel<br />

nur zwischen 9 und 20 Personen<br />

aus unterschiedlichen Nationen<br />

zusammen, meist nur Männer.<br />

In einer von Technik geprägten<br />

Arbeitswelt arbeiten die Seeleute<br />

sieben Tage die Woche an Bord,<br />

oftmals in unsicheren Arbeitsverhältnissen.<br />

Seeleute sind ständig<br />

unter Fremden unterwegs in die<br />

Fremde. Gegenüber den Kollegen<br />

gibt ein Seemann oft nur wenig<br />

über sein Privatleben o<strong>der</strong> seine<br />

Probleme preis – soziale Isolierung<br />

und Vereinsamung sind<br />

eine logische Folge. Durch die<br />

unterschiedlichen Kommunikationssysteme<br />

in den einzelnen<br />

Häfen besteht fast keine Möglichkeit,<br />

den Kontakt mit <strong>der</strong> Familie<br />

aufrecht zu erhalten. Auch das<br />

Ver<strong>lass</strong>en des Schiffes wird mittlerweile<br />

sehr restriktiv gehandhabt,<br />

Sicherheitsregeln wurden<br />

extrem verschärft. Die Liegezeiten<br />

werden immer kürzer und betragen<br />

häufig nur noch vier bis fünf<br />

Stunden.<br />

Worin besteht nun die Aufgabe<br />

<strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Seemannsmission</strong>?<br />

Heike Proske | Wir besuchen<br />

die Seeleute direkt an Bord. Einfache<br />

Gespräche etwa über Sorgen<br />

um die Familie o<strong>der</strong> Probleme mit<br />

den Kollegen sind für viele bereichernd.<br />

Die Seelsorge tritt zunehmend<br />

in den Vor<strong>der</strong>grund, insbeson<strong>der</strong>e<br />

aufgrund traumatischer<br />

Erlebnisse mit Flüchtlingsschiffen<br />

o<strong>der</strong> Piraten. Auf Wunsch werden<br />

Andachten o<strong>der</strong> Trauerfeiern auf<br />

dem Schiff abgehalten. Muss ein<br />

Seemann ins Krankenhaus, wird<br />

er dort besucht und soweit wie<br />

möglich unterstützt.<br />

Das kostet doch alles auch<br />

Geld – wer trägt denn das?<br />

Heike Proske | Die Finanzierung<br />

<strong>der</strong> <strong>Seemannsmission</strong> besteht<br />

aus Geldmitteln <strong>der</strong> evangelischen<br />

Kirche Deutschlands<br />

(EKD) und Spenden von Privatmenschen<br />

bzw. Firmen, die <strong>der</strong><br />

Schifffahrt verbunden sind.<br />

Hat sich die Arbeit <strong>der</strong> <strong>Seemannsmission</strong><br />

in den letzten<br />

Jahren verän<strong>der</strong>t?<br />

Heike Proske | Ja, sehr sogar.<br />

Zum einen, weil die Kommunikation<br />

<strong>der</strong> Seeleute nach Hause etwas<br />

einfacher geworden ist, zum<br />

an<strong>der</strong>en, weil sich die physischen<br />

und psychischen Belastungen <strong>der</strong><br />

Seeleute massiv verän<strong>der</strong>t und<br />

zugenommen haben. Der gestiegene<br />

Zeit- und Kostendruck wird<br />

direkt vom Arbeitgeber auf die<br />

Arbeitnehmer weitergegeben.<br />

Auf dem Schiff ist ohnehin alles<br />

so rationalisiert wie möglich. Der<br />

einzige Kostenfaktor, an dem die<br />

Ree<strong>der</strong>ei noch sparen kann, ist<br />

das Personal.<br />

Welche Folgen ergeben sich<br />

daraus?<br />

Heike Proske | Seeleute, die<br />

schon länger unterwegs sind,<br />

kommen an ihre Leistungsgrenzen:<br />

Bedingt durch immer kürzer<br />

werdende Liegezeiten fehlt es ihnen<br />

an Schlaf, an Erholungs- und<br />

Abschaltmöglichkeiten und auch<br />

an Ansprache. Das zehrt bei vielen<br />

an <strong>der</strong> Substanz! Gespart wird<br />

sowohl an <strong>der</strong> Besatzungsgröße<br />

als auch an <strong>der</strong> Versorgung.<br />

Gibt es Ihrer Meinung nach<br />

noch an<strong>der</strong>e Einflussfaktoren?<br />

Heike Proske | Verstärkt wirkt<br />

sich die Flüchtlingssituation im<br />

Mittelmeer, aber auch in Südostasien<br />

auf die Handelsschifffahrt<br />

aus. Im Gegensatz zu den professionellen<br />

Rettern gibt es für<br />

Seeleute keine verpflichtende psychologische<br />

Nachbetreuung. Sofern<br />

sie nicht selbst beispielsweise<br />

Kontakt aufnehmen zur <strong>Seemannsmission</strong>,<br />

haben sie keine<br />

Ansprechpartner. Immer wie<strong>der</strong><br />

melden sich Seeleute bei unseren<br />

Stationen, aber auch in <strong>der</strong> Bremer<br />

Zentrale, weil sie mit dem Erlebten<br />

nicht fertig werden und Hilfe brauchen.<br />

Auch wenn die Flüchtlingsroute<br />

über das Meer und ebenso<br />

die Piraterie aus dem Blickwinkel<br />

<strong>der</strong> Presse geraten sind: Die Zahlen<br />

sind nicht rückläufig.<br />

Ihre Stationen im Mittelmeer<br />

– unterscheiden die sich von<br />

an<strong>der</strong>en Stationen?<br />

Heike Proske | Ja, beträchtlich.<br />

In Ägypten dürfen Seeleute den<br />

Hafen faktisch nicht ver<strong>lass</strong>en,<br />

selbst wenn das Schiff längere<br />

Zeit dort liegt. Hinzu kommt das<br />

Spannungsfeld zwischen christlichem<br />

und muslimischem Glauben<br />

und letztlich auch eine politisch<br />

schwierige Situation im Lande.<br />

In den Mittelmeerstationen wird<br />

nun viel über Rettungsmaßnahmen<br />

von Flüchtlingen gesprochen<br />

sowie über im Meer treibende<br />

Gegenstände und auch Leichen.<br />

Zur <strong>Deutschen</strong> <strong>Seemannsmission</strong><br />

gehören 16 Stationen<br />

im Inland und weitere<br />

16 im Ausland. Träger <strong>der</strong><br />

Inlandsstationen sind Ortsvereine.<br />

Verantwortlich für<br />

die Auslandsstationen ist<br />

die Deutsche <strong>Seemannsmission</strong><br />

e.V. in Zusammenarbeit<br />

mit örtlichen Komitees.<br />

Die Auslandsarbeit<br />

wird finanziert aus Spenden,<br />

freiwilligen Abgaben<br />

<strong>der</strong> Ree<strong>der</strong> und Finanzmitteln<br />

<strong>der</strong> Evangelischen Kirche<br />

in Deutschland (EKD). •<br />

dsm<br />

Der Bedarf <strong>der</strong> Seeleute im Mittelmeer<br />

an psychischer Betreuung<br />

ist erheblich gestiegen und<br />

damit auch die Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

für unsere Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter.•<br />

Kontakt:<br />

www.seemannsmission.org<br />

(Das Interview erschien in Ausgabe<br />

Nr. 03/2015 „SCHIFFFAHRT - <strong>der</strong><br />

ver.di-Report“. Wir danken für die<br />

freundliche Nachdruck-Erlaubnis.)<br />

Stichwort:<br />

Bremen. Die 2015 vom Bundesrat<br />

gebilligte Novelle des Seearbeitsgesetzes<br />

ist nach Einschätzung<br />

<strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Seemannsmission</strong><br />

ein wichtiger Schritt zur<br />

sozialen Absicherung von Seeleuten.<br />

„Die Än<strong>der</strong>ungen sehen<br />

vor, dass die Ree<strong>der</strong>eien eine Versicherung<br />

abschließen müssen,<br />

mit <strong>der</strong> im Stich ge<strong>lass</strong>enen Seeleuten<br />

geholfen wird“, sagte die<br />

Generalsekretärin <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong><br />

<strong>Seemannsmission</strong>, Heike Proske,<br />

dem Evangelischen Pressedienst<br />

(epd). So könnten betroffene Seeleute<br />

im Notfall beispielsweise<br />

4 • <strong>lass</strong> <strong>fallen</strong> <strong>anker</strong> 1/2016

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!