2015-04
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Gesellschaft<br />
Entwicklungsland Deutschland<br />
Flüchtlinge sind<br />
in Deutschland<br />
derzeit allgegenwärtig<br />
- in den Medien,<br />
in unserem Alltag,<br />
in Gesprächen am Arbeitsplatz<br />
und in der<br />
Familie. Oft löst die<br />
unübersehbare Zahl<br />
der nach Deutschland<br />
flüchtenden Menschen<br />
Befürchtungen aus, die<br />
mit Ausdrücken wie<br />
„…nicht mehr Herr im<br />
eigenen Haus“, „Wirtschaftsflüchtlinge“<br />
usw.<br />
noch relativ harmlos gekennzeichnet<br />
sind. Sind<br />
Sie kommen nicht freiwillig<br />
wir beim Kernthema unserer Zeit angekommen? Jedenfalls<br />
bei einer Aufgabe die uns noch lange beschäftigen wird und<br />
deren Dimensionen noch nicht überschaubar sind.<br />
In dieser Situation kann Deutschland als „Entwicklungsland“<br />
bezeichnet werden. Gemeint ist ein Land, das lernen<br />
muss, Konflikte nicht nur auszuhalten, sondern auch auszutragen.<br />
Und das auf der Grundlage von Werten und Vorstellungen,<br />
welche in der Gesellschaft allgemein als wünschenswert<br />
anerkannt sind und den Menschen Orientierung<br />
bieten. Hinweise auf eine Überalterung der Deutschen Bevölkerung<br />
oder einen drohenden Fachkräftemangel werden<br />
weder den Vorstellungen der Asylsuchenden noch denen<br />
der „Herkunftsdeutschen“ gerecht. Auch Wortschöpfungen<br />
wie „Willkommenskultur“ oder Verheißungen wie „…wir<br />
schaffen das!“ dürften bald überholt sein.<br />
Voraussetzung für eine Willkommenskultur ist der<br />
Wunsch nach Zuwanderung ohne Einbürgerung, wie in der<br />
alten Bundesrepublik von 1957 bis 73. Die aktuelle Zuwanderung<br />
von Flüchtlingen<br />
aus Kriegs- oder<br />
Krisengebieten ist verbrecherischer<br />
Politik<br />
geschuldet, und die<br />
wünscht wohl niemand.<br />
Wer deshalb Asyl beanspruchen<br />
kann oder beanspruchen<br />
muss, wird<br />
wegen der großen Not<br />
zu uns kommen - ob er<br />
nun willkommen geheißen<br />
wird oder nicht.<br />
Aber die Entscheidung,<br />
bei uns zu bleiben will<br />
oder lieber in einem anderen<br />
Land, muss dem<br />
Flüchtling zugemutet<br />
und ermöglicht werden. Dafür muss er verlässliche Regeln<br />
vorfinden. Und das mit der zwingenden Vorgabe, dass er<br />
nur willkommen ist, wenn er sich integrieren will. Gemeint<br />
ist, die Gegebenheiten und Gesetze als unumstößlich für<br />
seinen Aufenthalt in diesem Land anzuerkennen. Dabei<br />
ist der Respekt vor geltenden Regeln nicht verhandelbar,<br />
insbesondere im Blick auf das staatliche Gewaltmonopol.<br />
Nicht den Cleveren gebührt die Vorfahrt, sondern den tatsächlich<br />
Bedürftigen und Bedrohten.<br />
Zur Klarstellung:<br />
a) Der Schutz von Flüchtlingen ist Ehrensache. Das gilt<br />
für jeden Menschen, für jede Gemeinschaft oder Institution<br />
und insgesamt für unser wohlhabendes Land, zumal<br />
die zu uns kommenden nur der kleinste Teil der weltweit<br />
mehr als 60 Millionen Flüchtlinge sind. Die meisten<br />
Menschen fliehen innerhalb ihres Landes oder in einen<br />
Nachbarstaat. Im Hinblick auf die Aufnahmebereitschaft<br />
der einheimischen Bevölkerung sollten deshalb auch die<br />
Ursachen der Flucht aus den verschiedenen Herkunftsstaaten<br />
entschlossen benannt und behoben werden.<br />
b) Wanderungsbewegungen während der vergangenen<br />
Jahrzehnte hatten und haben in Deutschland bereits<br />
gesellschaftsändernde, unumkehrbare Konsequenzen.<br />
Deshalb sollten beim Thema ‚Zuwanderung‘ und im<br />
Interesse der Aufnahmebereitschaft der einheimischen<br />
Bevölkerung einige Lehren gezogen werden:<br />
● Nur wenn wir offen reden, lassen sich Ressentiments<br />
erfassen und relativieren.<br />
● Nur wenn wir uns trauen, genauer hinzuschauen,<br />
wer zu uns kommen will, kann eine ehrliche Akzeptanz<br />
in der heimischen Gesellschaft wachsen.<br />
22 durchblick 4/<strong>2015</strong><br />
Foto: fotolia.de