2015-04
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Gute Zeiten – schlechte Zeiten?<br />
Gedanken und Fragen über das Alter und das Altern<br />
Wer nicht den Geist des Alters hat,<br />
hat seines Alters ganzes Ungemach<br />
Voltaire<br />
Essay<br />
Es gibt keine alternative Lebensroute<br />
als die über das Alter<br />
Zur Einstimmung<br />
Wir alle wollen gerne lange leben, aber keiner von<br />
uns will alt werden. Ein alter, über 2000-jähriger<br />
und wohl auch in Zukunft unerfüllbarer<br />
Wunsch des Menschen nach dauerhafter Jugend. Für den<br />
Kabarettisten Dieter Nuhr ist das Altern an sich schon eine<br />
Zumutung. Ein Leben in ewiger Jugend, ein Wunsch,<br />
über den es sich lohnt einmal ein wenig nachzusinnen und<br />
zu philosophieren. Dabei geht es mir in diesem Beitrag<br />
nicht um kluge Ratschläge für das Altern und Tipps für das<br />
Alter. Darüber gibt es umfassende und vielfältige Literatur<br />
mit so vielversprechenden Buchtiteln wie „Glücklich<br />
altern“ „Fröhlich altern“ „Die Kunst des Alterns“ oder<br />
„Glücksfall Alter“. Es geht mir auch nicht um den allseits<br />
bekannten und oft genannten<br />
demografischen Wandel<br />
(alternde Gesellschaft,<br />
längere Lebenszeit etc.) mit<br />
seinen vielfältigen Folgen<br />
und gesellschaftspolitischen Herausforderungen, ein in den<br />
Medien hinreichend diskutiertes Thema.<br />
Nein, meine Gedanken drehen sich hier um die – nennen<br />
wir sie – „Innenansicht“ des Menschen bei der Konfrontation<br />
mit seiner ganz persönlichen Endlichkeit. Nur der<br />
Mensch, als einziges Lebewesen auf diesem Planeten Erde,<br />
ist sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst. Nur er weiß,<br />
sein Leben, wie er es auch gestalten mag und wie lange es<br />
auch währt, kennt immer nur eine Richtung, die Todesrichtung.<br />
Es gibt keine alternative Lebens-Route als die über<br />
das Altern und das Alter, denn alt werden und alt sein sind<br />
Grundbedingungen (nicht nur) der menschlichen Existenz<br />
auf dieser Erde.<br />
Das Leben des Menschen ist in seinen Lebensphasen<br />
fest vorgezeichnet. Geburt, Kindheit, Jugend, Erwachsen,<br />
Alter, Tod. Der Mensch hat keine Wahl, es ist sein unumstößliches<br />
Schicksal: Das letzte Ziel seines Lebens, ob er<br />
will oder nicht, ist immer der Tod. Eine zunächst widersprüchliche<br />
und auch bedrückende Erkenntnis, denn wie<br />
passen zwei so gravierende Gegensätze wie Leben und<br />
Tod zusammen? Der Tod vernichtet das Leben, aber wir<br />
Menschen wollen leben, nicht tot sein. Somit ist der Tod<br />
der größte Widersacher des Lebens. Merkwürdig.Trotzdem<br />
gehören beide irgendwie zusammen. Ohne Leben<br />
kein Tod, ohne Tod kein Leben? Ein Blick in die Natur<br />
bestätigt es: Leben zerstört Leben um zu leben, denn die,<br />
die Leben erzeugen, töten ohne Gnade. 1) Von dem französischen<br />
Philosophen Michel Montaigne (1533-1592); der<br />
bei einem Reitunfall eine Nahtoderfahrung hatte; stammt<br />
die Aussage: Wer die Menschen lehren würde zu sterben,<br />
der würde sie lehren zu leben. Heißt dass, wir müssen den<br />
Tod und das Leben als eine Einheit betrachten? Müssen<br />
wir den Tod im Dasein unserer menschlichen Existenz<br />
mehr Beachtung schenken? Fragt sich nur wie? Denn genau<br />
das Gegenteil tun wir doch heute. Wir grenzen den<br />
Tod aus. Wir verdrängen ihn. Man kann auch sagen, der<br />
Tod wird im wahrsten Sinne des Wortes totgeschwiegen.<br />
Er spielt in unserer Grundeinstellung zum Leben keine<br />
Rolle. Das Thema Tod ist lästig, unbequem und ohne Zukunft.<br />
Wir halten uns lieber an den griechischen Glücks-Philosophen<br />
Epikur (341-270 v. Chr.) der gesagt hat: So ist also<br />
der Tod, das schrecklichste der Übel, für uns ein Nichts.<br />
Solange wir da sind, ist er nicht da, und wenn er da ist,<br />
sind wir nicht mehr. Also, nur keine Aufregung könnte man<br />
meinen. Aber mit zunehmendem<br />
Alter rückt der Tod<br />
immer mehr in das Blickfeld<br />
unseres Bewusstseins, die<br />
Distanz zu ihm wird immer<br />
kürzer. Der Tod steht sozusagen wie ein dunkler Stern über<br />
dem Alter, 4) denn die biologische Zellerneuerung des Körpers<br />
lässt nach und mit ihr die Spannkraft, Flexibilität und<br />
Mobilität von Körper und Geist. Ist es da ein Wunder, wenn<br />
alt werden und alt sein, mit all den Widrigkeiten die es mit<br />
sich bringt, heute, in einer Zeit, wo Anti-Aging in unserer<br />
Gesellschaft in so vielfältiger Form Hochkonjunktur hat,<br />
meist negativ besetzt sind? Man könnte auch sagen, dass<br />
Alter hat in unserer Zeit keinen sonderlich guten Ruf, ihm<br />
wird die Nähe des Todes zum Vorwurf gemacht.<br />
Hier gilt es einmal etwas genauer hinzuschauen. Altern<br />
und Alter ist ein eigener komplexer Wissenschaftsbereich<br />
(die Gerontologie) und beschäftigt sich mit der Beschreibung,<br />
Erklärung und Modifikation von körperlichen, psychischen,<br />
sozialen, historischen und kulturellen Aspekten<br />
des Alterns und Alters. 5) Sie alle anzusprechen würde den<br />
Rahmen dieses Beitrages schnell sprengen. Nachstehend<br />
daher nur einige, wie ich finde aber interessante Punkte,<br />
die unmittelbar mit dem Alter in Verbindung stehen und es<br />
wert sind einmal angesprochen zu werden.<br />
Die richtige Einstellung<br />
Zunächst einmal ist festzuhalten: Obwohl es gerne als<br />
solche angesehen wird, das Altern ist keine Krankheit die<br />
behandelt werden muss, sondern ein natürlich verlaufender,<br />
biologischer Prozess des Lebens. Wir können noch so sehr<br />
auf unsere Gesundheit achten, uns ausgewogen ernäh- <br />
4/<strong>2015</strong> durchblick 67