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Festspielzeit Winter 2016

Das Magazin der Bregenzer Festspiele

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KASPER HOLTEN<br />

wurde in Kopenhagen geboren.<br />

Er war unter anderem<br />

künstlerischer Leiter des Aarhus<br />

Sommeropera Festivals, bevor<br />

er mit nur 27 Jahren zum<br />

künstlerischen Direktor der<br />

Königlichen Dänischen Oper<br />

berufen wurde. 2011 wechselte<br />

er als Direktor des Royal Opera<br />

House nach London. Mehr<br />

als 60 Opern-, Schauspiel-,<br />

Operetten- und Musicalproduktionen<br />

hat Holten weltweit<br />

inszeniert.<br />

CARMEN<br />

Es interessiert mich, Carmens verlorene<br />

Unschuld zu finden, wahrscheinlich<br />

mehr als die Sexbombe.<br />

Wovon träumte das kleine Mädchen<br />

Carmen und wie wurde sie zu dem,<br />

wie wir sie in der Oper erleben?<br />

Carmen und Don José sind beide Außenseiter,<br />

doch wie wurden sie dazu<br />

und was denken diese Außenseiter<br />

im Inneren, wie ihre Welt aussieht?<br />

Schicksal spielt eine bedeutende<br />

Rolle in der Oper. Nachdem sie in<br />

den Karten gelesen hat, ist Carmen<br />

davon überzeugt, dass sie sterben<br />

wird. Hätte es andere Wege für<br />

Carmen und Don José gegeben?<br />

Das Schicksal ist sehr wichtig, aber<br />

das Schicksal ist letztlich auch etwas<br />

Menschengemachtes. Was Don José<br />

Carmen antut – einen anderen Menschen<br />

zu töten; zu denken, dass sie<br />

sein Eigentum sei –, ist unverzeihlich.<br />

Wir müssen zeigen, dass Gewalt<br />

– vielleicht besonders von Männern<br />

gegenüber Frauen, die sie lieben<br />

– inakzeptabel ist. Aber wirklich<br />

schrecklich in diesem Werk ist, was<br />

Don José und Carmen sich selbst<br />

antun, wie sie andere bestimmen lassen,<br />

wer sie sind und wie sie handeln.<br />

Es gibt immer einen anderen Weg.<br />

Natürlich hätte es einen anderen<br />

Weg gegeben. Das ist die Tragödie.<br />

Der Stierkampf, die andalusische<br />

Hitze, das spanische Kolorit sind offensichtlicher<br />

Bestandteil des Werks,<br />

obwohl Bizet selbst nie in Spanien<br />

war. Wie wird diese spanische Atmosphäre<br />

auf die Seebühne kommen?<br />

Es ist mir ein großes Anliegen, dass<br />

die sogenannte spanische Atmosphäre<br />

nicht zum Klischee wird.<br />

Das Werk hat Temperament, und<br />

wir werden uns durch Luft, Wasser<br />

und Feuer bewegen, damit es auch<br />

in einer frischen Sommernacht<br />

eine schweißtreibende Aufführung<br />

wird. Diese Elemente bilden einen<br />

bedeutenden Hintergrund für die<br />

Geschichte, die wir mit Videoprojektionen,<br />

Kostümen und Bewegungen<br />

vermitteln werden. Aber letztlich<br />

wird die Geschichte stark durch ihre<br />

Charaktere und das, was sie sich<br />

selbst und anderen antun. Das ist leider<br />

nicht auf Spanien beschränkt.<br />

Stärker als in Prosper Mérimées<br />

Novelle erleben wir in der Oper zwei<br />

weitere Hauptfiguren, Micaëla und<br />

Escamillo. Wie lassen sich ihre Rollen<br />

beschreiben?<br />

Escamillo repräsentiert für mich<br />

in vielen Dingen die männliche<br />

Parallele zu Carmen. Doch während<br />

Carmen letztlich geopfert werden<br />

11<br />

muss, wird die männliche Version<br />

stattdessen offenbar gefeiert.<br />

Escamillo zeigt sich gern als Mythos<br />

und ist ziemlich oberflächlich in<br />

seiner Suche nach der nächsten<br />

Geliebten. Es ist traurig, dass er<br />

Carmen einen leichten Ausweg anbietet,<br />

anstatt dass sie sich wirklich<br />

mit den Gefühlen auseinandersetzt,<br />

die sie wohl für Don José empfindet<br />

und die sie ängstigen.<br />

Micaëla ist unfassbar mutig. Ihre<br />

Arie im dritten Akt gibt mir einen<br />

Eindruck, wie es für ein Mädchen<br />

sein muss, nach Aleppo zu reisen,<br />

um ihren Freund, ihre wirkliche<br />

Liebe, zu finden und zurückzuholen.<br />

In einer Welt voller Menschen, die<br />

egoistisch, aber auch selbstzerstörerisch<br />

handeln, ist sie für mich die einzige,<br />

die wahrhaft selbstlos handelt.<br />

Aber auch Micaëla ist verdammt: Sie<br />

möchte etwas, das sie nicht haben<br />

kann: Don Josés Liebe. Das ist eine<br />

der traurigen Lehren aus diesem<br />

Drama: Wie sehr sie auch verdient<br />

sein mag, man kann nie die Liebe<br />

eines anderen beanspruchen oder<br />

sein Leben davon abhängig machen.<br />

Zuerst muss man die Liebe zu sich<br />

selbst finden.<br />

Die Fragen stellte<br />

Olaf A. Schmitt.

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