Sektionsheft 2009 - 2 (.pdf) - Deutscher Alpenverein - Sektion ...
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TOURENBERICHT<br />
47<br />
ihrer entspannteren Seite. Statt Klettern<br />
legt an diesem Tag die Gruppe ein paar<br />
schöne „Züge“ auf die Straße, d.h., fährt<br />
Kolonne, einer hinter dem anderen. Dabei<br />
werden im Windschatten durchaus<br />
Geschwindigkeiten von 45 km/h und<br />
mehr erreicht. Das unausgesprochene<br />
Motto auf solchen Strecken lautet „Kette<br />
rechts! Wer schaltet, fliegt raus!“ und<br />
muss sich hinten wieder anhängen. Saluzzo<br />
mit seiner malerischen Altstadt hält<br />
am Abend für die Reisenden italiensches<br />
Flair und Dolce vita bereit – doch es steht<br />
noch die letzte Etappe an…<br />
Am Morgen des 11. Septembers wussten<br />
alle, dass sie am frühen Nachmittag ins<br />
Mittelmeer springen könnten. Nicht so<br />
ganz wahrhaben wollten wir allerdings,<br />
dass bis dahin über die „Seealpen“ noch<br />
150 Kilometer und noch mal rd. 2.200<br />
Höhenmeter zu knacken waren. Die Erwartung<br />
des ersten Aufschreis „ich sehe<br />
das Meer!“ beflügelte die Gruppe noch<br />
einmal zu Höchstleistungen. Jörg als<br />
Herr des Garmin hatte zwar das blaue<br />
Ziel schon lange vorher auf seinem Display<br />
erkannt, aber als es für jeden nach<br />
fast genau 120 Kilometern dann tatsächlich<br />
live zu sehen war, kannte die Begeisterung<br />
keine Grenzen mehr. Wir hatten<br />
es tatsächlich geschafft. Die kurze Ruhepause<br />
vor der Schlussabfahrt war dann<br />
auch von einer eigentümlichen Schweigsamkeit<br />
geprägt – jeder hing wohl in<br />
diesen Minuten seinen ganz persönlichen<br />
Momenten und Erfahrungen der letzten<br />
750 Kilometer nach.<br />
Pietra Ligure empfing uns schon auf den<br />
Abfahrtsserpentinen mit einem großen<br />
heißen Fön; während das Klima in den<br />
Tagen zuvor und in der Bergwelt allgemein<br />
trotz des strahlend blauen Himmels<br />
mit Temperaturen zwischen 12 Grad am<br />
Morgen und 25 Grad am späten Nachmittag<br />
immer gut erträglich war, schnellte<br />
jetzt das Quecksilber auf 32 Grad und<br />
mehr. Den prophezeiten Endspurt direkt<br />
ins Mittelmeer ersetzten wir wenig später<br />
durch einen Sprung in den kühlen Swimmingpools<br />
unseres Zielhotels, welches<br />
traumhaft oben am Berg gelegen uns die<br />
(gerne auf uns genommenen) Strapazen<br />
der vergangenen Tage ganz schnell vergessen<br />
lässt.<br />
Wie lassen sich 7 Tage Tage im Sattel, rd.<br />
800 Kilometer und 16.000 Höhenmeter,<br />
geschätzte 100 Liter Wasser und geheime<br />
Mixgetränke in den Wasserflaschen,<br />
ungezählte Müsli-Riegel, Energie-Gels,<br />
Bananen und Studentenfutter, Schweiß<br />
und Tränen der Qual und der Freude am<br />
Ende zusammenfassen?<br />
Wenn es einen Glauben gibt, der<br />
Berge versetzen kann, so ist es der<br />
Glaube an die eigene Kraft.<br />
Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach, (1830 -<br />
1916), österreichische Erzählerin, Novellistin und<br />
Aphoristikerin<br />
Foto: Dr. Jürgen Domjahn