WIRTSCHAFT+MARKT 2/17
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LUTHERJAHR | 37<br />
Foto: W+M<br />
Spüren Sie bereits erste Effekte durch den<br />
Wechsel der Werbekampagne?<br />
Reiner Haseloff: Die Frühaufsteher-Kampagne<br />
lief rund zehn Jahre. In den letzten<br />
Jahren haben wir sie nicht mehr aktiv beworben.<br />
Sie stand einfach für sich. Mehr<br />
als 90 Prozent der Menschen in Deutschland<br />
verbinden diese Kampagne mit Sachsen-Anhalt.<br />
Mit dieser provokativen Formulierung<br />
musste man sich einfach auseinander<br />
setzen. Künftig werden wir aktuelle<br />
Themen in den Mittelpunkt unserer Kampagnen<br />
stellen. Wir haben in den nächsten<br />
Jahren inhaltlich so viel zu bieten, dass<br />
wir das auch in unsere Kampagnen Jahr<br />
für Jahr neu einfließen lassen werden. In<br />
diesem Jahr setzen wir voll auf das „Ursprungsland<br />
der Reformation“.<br />
W+M: Im vergangenen Juni haben Sie ausgerechnet<br />
in Rom für Besuche der Lutherstädte<br />
in Sachsen-Anhalt geworben. Welche<br />
Resonanz erwarten Sie?<br />
Reiner Haseloff: Ich bin insgesamt überrascht,<br />
wie groß das Interesse auch aus Gegenden<br />
ist, in denen die Reformation nicht<br />
so eine große Rolle gespielt hat. Wenn ich<br />
am Wochenende in meiner Heimatstadt<br />
Wittenberg bin, begegne ich häufig Gästen<br />
und Reisegruppen aus den USA, Südkorea<br />
oder auch Japan. Zum Großteil sind diese<br />
Reisegruppen ökumenisch unterwegs.<br />
Gerade für Rom ist festzustellen, dass es<br />
dort eine besonders starke Ökumene gibt.<br />
Es gibt dort seit rund 200 Jahren eine deutsche<br />
evangelische Kirchengemeinde. Der<br />
erste Pfarrer dort wurde übrigens am Wittenberger<br />
Predigerseminar ausgebildet und<br />
war dann Zeit seines Lebens in Rom. Im<br />
Luthergarten in Wittenberg pflanzen alle<br />
christlichen Gemeinden, die hierher zu Besuch<br />
kommen, einen Baum. Der Baum<br />
mit der Nummer 1 wurde im Auftrag des<br />
Papstes von dem für die Ökumene zuständigen<br />
Kardinal gepflanzt. Daran sieht man,<br />
dass Rom hier immer präsent war – sei<br />
es durch die höchsten Würdenträger oder<br />
auch durch den Chor des Papstes.<br />
W+M: Wie stehen die Chancen, dass vielleicht<br />
sogar Papst Franziskus nach Sachsen-Anhalt<br />
kommt?<br />
Reiner Haseloff: Im Rahmen meiner Privataudienz<br />
beim Heiligen Vater in Rom haben<br />
wir auch über das Reformationsjubiläum<br />
gesprochen. In diesem Zusammenhang<br />
hat der Papst auch klar gesagt, dass er im<br />
Jubiläumsjahr bewusst nicht nach Wittenberg<br />
kommen wird, da ein solcher Besuch<br />
thematisch alles andere überdecken würde.<br />
Es gehört zur ökumenischen Fairness<br />
und ökumenischen Partnerschaft, dass natürlich<br />
der Selbstfindungsprozess der evangelischen<br />
Kirche in Deutschland, aber auch<br />
international ungestört bleiben sollte.<br />
W+M: Was sind aus Ihrer persönlichen<br />
Sicht Luthers größte Verdienste?<br />
ZUR PERSON<br />
Reiner Haseloff: Mit seiner Bibel-Übersetzung<br />
hat er zur Normierung und Vereinheitlichung<br />
der deutschen Sprache beigetragen.<br />
Deutschland hat keine Nationen-Entwicklung<br />
genommen, wie etwa Frankreich oder<br />
Großbritannien. Es war über Jahrhunderte<br />
ein Flickenteppich, der zu Spitzenzeiten<br />
aus über 300 Einzelterritorien bestand. Mit<br />
der Bibel-Übersetzung hat Luther Enormes<br />
für die Kulturnation Deutschland geleistet,<br />
indem er über die deutsche Sprache einen<br />
gemeinsamen Kulturraum definiert hat.<br />
Nicht zu vergessen: Ohne die Reformation<br />
gäbe es den heutigen Sozialstaat nicht.<br />
Bis zur Reformation war das gesamte Sozialwesen<br />
klösterlich organisiert. Es gab die<br />
Spitalorden für die Kranken, die von Mönchen<br />
versorgt wurden. Mit der Reformation<br />
brach das alles zusammen. Luther musste<br />
daher ein anderes Finanzierungsmodell<br />
entwickeln. Im Luther-Haus finden Sie den<br />
„Gemeinen Kasten“. Das ist ein Sozialversicherungs-<br />
und Umlagesystem, welches er<br />
hier in Wittenberg installiert hat und das in<br />
den reformatorischen Gebieten in ganz Europa<br />
als Gemeinde-Kasten-Ordnung Nachahmer<br />
gefunden hat. Im Kern ging es darum:<br />
Jeder steuerpflichtige Bürger zahlte<br />
eine Abgabe in den „Gemeinen Kasten“.<br />
Dieser Kasten wurde von zwei Bürgermeistern<br />
mit zwei unterschiedlichen Schlüsseln<br />
verwaltet. Es gab eine Liste, die klar regelte,<br />
wofür die Bürger Leistungen beziehen<br />
konnten. So wurde schon damals Missbrauch<br />
verhindert. Das Hartz-IV-System,<br />
das wir heute haben, oder das Krankenkassensystem,<br />
das Pflegeversicherungssystem,<br />
Arbeitslosenversicherungssystem<br />
und das Rentenversicherungssystem – all<br />
diese Systeme haben ihren Ursprung bei<br />
Luther.<br />
Dr. Reiner Haseloff wurde am 19. Februar<br />
1954 in Bülzig (Kreis Wittenberg)<br />
geboren. Zwischen 1973 und 1978 studierte<br />
er an der Technischen Universität<br />
Dresden und der Humboldt-Universität<br />
Berlin Physik. Zu DDR-Zeiten arbeitete<br />
er am Institut für Umweltschutz in<br />
Wittenberg. Von 1992 bis 2002 war<br />
Haseloff Direktor des Arbeitsamtes<br />
Wittenberg. Danach wechselte er in die<br />
sachsen-anhaltische Politik. Seit 2011<br />
ist Reiner Haseloff Ministerpräsident in<br />
Sachsen-Anhalt.<br />
Der Katholik Haseloff ist verheiratet und<br />
Vater zweier Kinder.<br />
W+M: Ihre Familie hat einen weit zurückreichenden<br />
Stammbaum. Bereits Ihre Vorfahren<br />
lebten in Wittenberg. Hatten die<br />
Haseloffs seinerzeit direkten Kontakt mit<br />
Martin Luther?<br />
Reiner Haseloff: In bürgerlichen Familien<br />
oder in einfach strukturierten sozialen<br />
Schichten gibt es natürlich nicht diese dynastischen<br />
Traditionen eines Stammbaumes,<br />
wie es etwa bei den Askaniern der<br />
Fall ist. Aber es ist so, dass meine Familie<br />
seit mehr als 850 Jahren immer in diesem<br />
Raum gelebt hat. Wittenberg selbst ist eine<br />
Flamen-Gründung. Der Fläming im heuti-<br />
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