InSite 2017
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POINT OF VIEW<br />
Nina Ruge<br />
Moderatorin,<br />
Autorin und<br />
Unicef-<br />
Botschafterin<br />
weiß, dass<br />
alles gut wird<br />
Aussichten fürs Wochenende:<br />
strahlend weiß.<br />
DAS GANZE<br />
LEBEN IST<br />
EIN FILM<br />
Von München<br />
direkt in die<br />
Skigebiete<br />
Die Grenzen schwinden – dank digitaler Medien und sozialer<br />
Netzwerke kann heute jeder ein Star sein, auch jenseits Warhols<br />
berühmter 15 Minuten. Das birgt Gefahren.<br />
<strong>InSite</strong>-Kolumnistin Nina Ruge rät zu wohlüberlegtem Handeln …<br />
Die Magie der Bilder: Sie steuert unsere Gefühle.<br />
Nicht nur die Werbung, jeder Hirnforscher<br />
weiß: Ein Bild prägt uns mehr als<br />
tausend Worte. Deshalb ist die moderne Bilderflut<br />
nur konsequent. Ein jeder kann sich heute dieser<br />
Scheinwelt bedienen, die früher nur den handverlesenen<br />
Leinwand-Göttern des Kinos vergönnt war,<br />
in einer Zeit, als die Leinwand noch Projektionsfläche<br />
für die Träume von Millionen war.<br />
Heute sind eben diese Millionen ihre eigenen<br />
Regisseure, Kameramann, Stylist und PR-Agent zugleich.<br />
Rund um die Uhr läuft auf Facebook, Twitter,<br />
Youtube der Wettbewerb um die bewundernswerteste<br />
Existenz. Jeder will Projektionsfläche, will Objekt<br />
der Begierde sein. Millionen Follower! Ein Traum!<br />
Die Selbstaussteller im Netz. Sie erfahren im<br />
Kleinen, was für die großen Stars existenzielle Herausforderung<br />
bedeutet: Das Verhältnis von Sein und<br />
Schein. Oder genauer: Die Dialektik von Sein und<br />
Schein. Es gilt zu entscheiden: Wie nähre ich meinen<br />
Selbstwert? Wie nutze ich meine Optik, meine Bekanntheit<br />
dafür? Oder werte ich den öffentlichen<br />
Zirkus um meine Person bewusst als Spiel? Als ein<br />
faszinierendes zwar, aber als ein Spiel? Nutze ich<br />
meine Arbeit vor der Kamera, um mein Leben zu vertiefen<br />
– und vielleicht das Leben vieler anderer auch,<br />
indem ich Rollen so verkörpere, dass Erkenntnis<br />
möglich wird? Ermögliche ich das Verstehen von<br />
fremden Lebensentwürfen, bis hin zum Scheitern<br />
und der Selbstzerstörung?<br />
Das Dogma der Hollywood-Legende Spencer Tracy<br />
lautete einst: „Lass’ dich beim Spielen nicht erwischen“,<br />
und meinte dabei genau das. Denn das<br />
Handwerk, den Instrumentenkasten der Schauspielkunst,<br />
muss man perfekt beherrschen. Was immer<br />
man im Film auch verkörpert, seine Seele führt einen<br />
dabei. Sie ist es, die den Zuschauer im Innersten berührt.<br />
Schauspielkunst ist Seelenarbeit!<br />
Ob großartige Schauspieler oder geniale Regisseure<br />
– als Persönlichkeiten im öffentlichen Leben<br />
haben sie die Kunst der Doppelexistenz perfektioniert.<br />
Sei es der Auftritt auf dem roten Teppich, mit all dem<br />
Brimborium hinter den Kulissen, die Vorfahrt mit gesponsorten<br />
Edel-Limousinen, die antrainierte Entspanntheit<br />
im Blitzlichtgewitter oder der gekonnte<br />
Smalltalk mit People-Journalisten. All das ist eine<br />
perfekte Bühne dafür, auch das Residieren in internationalen<br />
Luxushotels. Glamour meets Glamour. Alles<br />
gut, alles wunderbar, wenn dies bewusst als Spiel gelebt<br />
wird, und somit ein höchst angenehmer und zugleich<br />
höchst unwichtiger Teil des beruflichen Lebens.<br />
Andernfalls droht eine lebensbedrohliche Infektion:<br />
Scheinweltfieber nennt Christine Kaufmann das<br />
Syndrom, das ihrem Ex-Mann Tony Curtis die tödliche<br />
Drogensucht bescherte. Die Scheinweltfieber-<br />
Opfer sind ungezählt. Denn auch im Kleinen, in den<br />
sozialen Medien, ist die Infektionsgefahr hoch.<br />
Also vorbeugen, Wahrheit suchen! Tiefe im Leben.<br />
Seelenarbeit! Das Leben ist nicht die Bühnenprobe.<br />
Es ist die Vorstellung!<br />
THE WORLD‘S A SELFIE<br />
A good image is as powerful as a<br />
thousand words. The “screen”, portraying<br />
the dreams of millions, is no longer<br />
the preserve of a few godlike heartthrobs.<br />
Today’s global flood of images is<br />
produced by those selfsame millions.<br />
They are their very own directors, cameramen,<br />
stylists and PR agents. Using<br />
Facebook etc., they extol the uniqueness<br />
of their existence. A million followers?<br />
A dream come true! These internet<br />
selfies are beset by the same<br />
dialectical dilemma as actual screen<br />
stars: how to distinguish reality from<br />
illusion? How do I nourish the feeling<br />
of my own worth? Do I use my appearance,<br />
my recognisability to do so? Or do<br />
I rate all the hype surrounding my<br />
persona as a game? Can the role I play<br />
give my life and that of others more<br />
depth? Do I help comprehend flawed or<br />
self-destructive lives? One of Spencer<br />
Tracey’s favourite dictums, “don’t let<br />
them catch you pretending”, meant just<br />
that. Top screen and stage artists are<br />
aware that the soul they imbue their<br />
craft with is far removed from the VIP<br />
trimmings: stretch limousines, red carpets,<br />
paparazzi and deluxe hotels<br />
where glamour meets glamour. Canny<br />
social-media celebrities tackle the<br />
world of make-believe likewise.<br />
Life is more than a dress rehearsal.<br />
FOTO FRANK WARTENBERG<br />
INSITE <strong>2017</strong>