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TONALi17 Journal

Alle Informationen: www.tonali.de

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FEIERN<br />

// Der Abend<br />

Ein vollkommen überraschender Abend wartet auf ein<br />

Publikum, das ein kunstvoll-performatives Konzert erleben<br />

möchte. Es wird für die neugierigen Gäste keine<br />

Stühle, keine Kirchenbänke und damit keine Sitzgelegenheiten<br />

geben. Der erhabene Raum wird frei<br />

sein. Das Publikum wird dazu eingeladen, auf einem<br />

pinken Teppich zu bleiben; auf diesem in die Kirche<br />

hinein- und hinauszugehen. 11 junge Star-Geigerinnen<br />

und 1 junger Star-Geiger werden in besonderem<br />

Maße auf „Augenhöhe“ miteinander Musik von Bach<br />

und Skweres spielen. Die Orgel wird als Königin der<br />

Instrumente erklingen.<br />

ZUM PROGRAMM<br />

// Krater: Klanglandschaft<br />

für 12 Violinen, Orgel und hohen Sopran<br />

Klangregie Graham Lack<br />

Sechs Tonhöhen bilden ganz zu Anfang des Werks<br />

„Impact“ für Violine solo von Tomasz Skweres eine<br />

Art Unwetterzelle: a–c#’, d#’–c’, h–a#’, der vierte Ton<br />

durch Vierteltonverzierungen verzerrt und verfremdet.<br />

Dieses Motiv, dessen scheintonale Intervallik eine<br />

aufsteigende Figurenkette aus großer Terz, kleiner<br />

Terz und Großseptime bildet, liegt der Klanglandschaft<br />

„Krater“ zugrunde – ein Krater, den man als<br />

eine durch Meteoriteneinschlag entstandene Mulde<br />

zu verstehen hat.<br />

Im Grunde genommen ist „Krater“ eine 40-minütige<br />

Improvisation sowohl über „Impact“ als auch über<br />

Passagen aus Johann Sebastian Bachs Sonaten und<br />

Partiten für Violine solo. Die Bach’schen Zitate wurden<br />

ganz bewusst ausgewählt und weisen eine ähnliche<br />

Melodik wie die Fragmente aus Skweres Werk auf.<br />

In den ersten sechs Minuten wird „Impact“ von den<br />

12 Soloviolinen einmal komplett durchgespielt, mit<br />

dem performativen Merkmal, dass jede Solistin bzw.<br />

jeder Solist nur einen kurzen Abschnitt spielt, um die<br />

lange Kantilene unmittelbar an die nächste Geige abzugeben<br />

und es allmählich zu geplanten Klangüberlappungen<br />

kommt.<br />

Die Orgel wird nicht in traditioneller Weise eingesetzt,<br />

sondern fungiert zum einen als eine große Klangmaschine,<br />

die für das Universum steht. Zum anderen<br />

gibt sie die „sechsstellige“ Impact-Zelle in Form eines<br />

äußerst in die Länge ausgezogenen Orgelpunkts über einen<br />

Gesamtzeitraum von 40 Minuten kontrolliert wieder.<br />

Nach etwa dem goldenen Schnitt – vereinfacht ausgedrückt<br />

also dort, wo sich der kleinere Anteil z.B. einer Linie oder in<br />

diesem Falle eines Zeitraums zum Größeren so verhält wie<br />

der Größere zum Ganzen – steigert sich peu à peu die Klangmenge<br />

bis zu einem Höhepunkt, der mittels Wind Chimes in<br />

Es-Dur und A-Dur angekündigt bzw. verabschiedet wird und<br />

dann um die 30-Minuten-Marke deutlich zu bemerken ist.<br />

Kurz davor wird der Sopran eingesetzt; auch die Gesangsstimme<br />

macht vom ursprünglichen Motiv Gebrauch, indem<br />

sie die sechs Tonhöhen stets mit Quartabstand im Spiegelund<br />

in Rückwärtsform als e’’–d#’, as’–f’’, d’’–f#’ (kleine<br />

None, große Sexte, kleine Sexte) wiedergibt. Aus „Impact“<br />

wird nun „Krater“.<br />

Darüber hinaus werden an der Orgel nach etwa zwei Dritteln<br />

der Gesamtdauer der Improvisation drei barockartige Tänze<br />

gespielt, keine Originalsätze, sondern „nur“ Pasticcio-Kompositionen<br />

von Graham Lack, der u.a. für die Klangregie der<br />

Improvisation „Krater“ verantwortlich ist. Kurz vor Schluss<br />

singt die Sopranistin Zitate aus dem Kyrie der spektakulären,<br />

zwölfstimmigen Missa „Et ecce terrae motus“ – der<br />

sogenannten „Erdbeben“-Messe des franko-flämischen<br />

Komponisten Antoine Brumel (ca. 1460–1513), die sich auf<br />

einen gleichnamigen gregorianischen Kehrvers aus den Osterlaudes<br />

über den biblischen Bericht des Erdbebens bei der<br />

Öffnung des Grabes Jesu bezieht.<br />

Die Verteilung der Lagen in den von Lack festgelegten, teils<br />

vollständig notierten Improvisationen über „Impact“ und diverse<br />

für Violine solo komponierte Werke Bachs lassen die<br />

klangfarbliche Wirkung des Instruments gegenüber der harmonischen<br />

hervortreten. Hier tritt, ähnlich wie im Werk von<br />

Tomasz Skweres, der Spaß am Geräuschhaften hervor anstelle<br />

der sonst nie so ganz intakten Harmonik. Es sind also<br />

Momente auszumachen, die mittels besonderer klangfarblicher<br />

Wirkungen einen ironischen Effekt erzeugen, mit dem<br />

Ergebnis, dass eine solche verfremdete – d.h. pittoreske<br />

– Ersatzkadenzierung häufig stattfindet.<br />

— Graham Lack<br />

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JOURNAL TONALi 17

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