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FEIERN<br />
// Der Abend<br />
Ein vollkommen überraschender Abend wartet auf ein<br />
Publikum, das ein kunstvoll-performatives Konzert erleben<br />
möchte. Es wird für die neugierigen Gäste keine<br />
Stühle, keine Kirchenbänke und damit keine Sitzgelegenheiten<br />
geben. Der erhabene Raum wird frei<br />
sein. Das Publikum wird dazu eingeladen, auf einem<br />
pinken Teppich zu bleiben; auf diesem in die Kirche<br />
hinein- und hinauszugehen. 11 junge Star-Geigerinnen<br />
und 1 junger Star-Geiger werden in besonderem<br />
Maße auf „Augenhöhe“ miteinander Musik von Bach<br />
und Skweres spielen. Die Orgel wird als Königin der<br />
Instrumente erklingen.<br />
ZUM PROGRAMM<br />
// Krater: Klanglandschaft<br />
für 12 Violinen, Orgel und hohen Sopran<br />
Klangregie Graham Lack<br />
Sechs Tonhöhen bilden ganz zu Anfang des Werks<br />
„Impact“ für Violine solo von Tomasz Skweres eine<br />
Art Unwetterzelle: a–c#’, d#’–c’, h–a#’, der vierte Ton<br />
durch Vierteltonverzierungen verzerrt und verfremdet.<br />
Dieses Motiv, dessen scheintonale Intervallik eine<br />
aufsteigende Figurenkette aus großer Terz, kleiner<br />
Terz und Großseptime bildet, liegt der Klanglandschaft<br />
„Krater“ zugrunde – ein Krater, den man als<br />
eine durch Meteoriteneinschlag entstandene Mulde<br />
zu verstehen hat.<br />
Im Grunde genommen ist „Krater“ eine 40-minütige<br />
Improvisation sowohl über „Impact“ als auch über<br />
Passagen aus Johann Sebastian Bachs Sonaten und<br />
Partiten für Violine solo. Die Bach’schen Zitate wurden<br />
ganz bewusst ausgewählt und weisen eine ähnliche<br />
Melodik wie die Fragmente aus Skweres Werk auf.<br />
In den ersten sechs Minuten wird „Impact“ von den<br />
12 Soloviolinen einmal komplett durchgespielt, mit<br />
dem performativen Merkmal, dass jede Solistin bzw.<br />
jeder Solist nur einen kurzen Abschnitt spielt, um die<br />
lange Kantilene unmittelbar an die nächste Geige abzugeben<br />
und es allmählich zu geplanten Klangüberlappungen<br />
kommt.<br />
Die Orgel wird nicht in traditioneller Weise eingesetzt,<br />
sondern fungiert zum einen als eine große Klangmaschine,<br />
die für das Universum steht. Zum anderen<br />
gibt sie die „sechsstellige“ Impact-Zelle in Form eines<br />
äußerst in die Länge ausgezogenen Orgelpunkts über einen<br />
Gesamtzeitraum von 40 Minuten kontrolliert wieder.<br />
Nach etwa dem goldenen Schnitt – vereinfacht ausgedrückt<br />
also dort, wo sich der kleinere Anteil z.B. einer Linie oder in<br />
diesem Falle eines Zeitraums zum Größeren so verhält wie<br />
der Größere zum Ganzen – steigert sich peu à peu die Klangmenge<br />
bis zu einem Höhepunkt, der mittels Wind Chimes in<br />
Es-Dur und A-Dur angekündigt bzw. verabschiedet wird und<br />
dann um die 30-Minuten-Marke deutlich zu bemerken ist.<br />
Kurz davor wird der Sopran eingesetzt; auch die Gesangsstimme<br />
macht vom ursprünglichen Motiv Gebrauch, indem<br />
sie die sechs Tonhöhen stets mit Quartabstand im Spiegelund<br />
in Rückwärtsform als e’’–d#’, as’–f’’, d’’–f#’ (kleine<br />
None, große Sexte, kleine Sexte) wiedergibt. Aus „Impact“<br />
wird nun „Krater“.<br />
Darüber hinaus werden an der Orgel nach etwa zwei Dritteln<br />
der Gesamtdauer der Improvisation drei barockartige Tänze<br />
gespielt, keine Originalsätze, sondern „nur“ Pasticcio-Kompositionen<br />
von Graham Lack, der u.a. für die Klangregie der<br />
Improvisation „Krater“ verantwortlich ist. Kurz vor Schluss<br />
singt die Sopranistin Zitate aus dem Kyrie der spektakulären,<br />
zwölfstimmigen Missa „Et ecce terrae motus“ – der<br />
sogenannten „Erdbeben“-Messe des franko-flämischen<br />
Komponisten Antoine Brumel (ca. 1460–1513), die sich auf<br />
einen gleichnamigen gregorianischen Kehrvers aus den Osterlaudes<br />
über den biblischen Bericht des Erdbebens bei der<br />
Öffnung des Grabes Jesu bezieht.<br />
Die Verteilung der Lagen in den von Lack festgelegten, teils<br />
vollständig notierten Improvisationen über „Impact“ und diverse<br />
für Violine solo komponierte Werke Bachs lassen die<br />
klangfarbliche Wirkung des Instruments gegenüber der harmonischen<br />
hervortreten. Hier tritt, ähnlich wie im Werk von<br />
Tomasz Skweres, der Spaß am Geräuschhaften hervor anstelle<br />
der sonst nie so ganz intakten Harmonik. Es sind also<br />
Momente auszumachen, die mittels besonderer klangfarblicher<br />
Wirkungen einen ironischen Effekt erzeugen, mit dem<br />
Ergebnis, dass eine solche verfremdete – d.h. pittoreske<br />
– Ersatzkadenzierung häufig stattfindet.<br />
— Graham Lack<br />
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JOURNAL TONALi 17