Wem gehört das Internet? - Journalistenakademie
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Die BIONIC<br />
Der FoeBuD nannte seine Mailbox BIONIC, unter anderem, weil<br />
dem System ein gewisses Eigenleben zugestanden werden sollte. Hier<br />
hatte kein allmächtiger Systembetreiber <strong>das</strong> Sagen, sondern alle aktiven<br />
Teilnehmer/-innen. Keine Zensur. Alle Inhalte kommen von den<br />
Nutzer/ -innen selbst. Die BIONIC war von Anfang an ein Gemeinschaftsprojekt,<br />
<strong>das</strong> auch gemeinsam von allen Teilnehmer/-innen<br />
finanziert wurde. Dadurch war die Mailbox nicht nur unabhängig<br />
von anderen Geldquellen, sondern alle Beteiligten wussten, <strong>das</strong>s ihnen<br />
ein Teil des Systems <strong>gehört</strong>e. Und damit <strong>das</strong> Gefühl, eine legitime<br />
Berechtigung zu haben, dieses System für die eigene Arbeit zu nutzen,<br />
Forderungen zu stellen, Vorschläge und Kritik zu äußern und<br />
mitzuarbeiten.<br />
Das Zamir-Netz entstand durch FoeBuD-Mitglied Eric Bachman,<br />
der ab 1991, als der Krieg in Jugoslawien begann, bei den Friedensgruppen<br />
vor Ort Seminare für gewaltfreien Widerstand veranstaltete.<br />
„Za Mir“ bedeutet in den meisten Sprachen, die im ehemaligen Jugoslawien<br />
gesprochen werden „für den Frieden“. Das Zamir Mailbox-<br />
Projekt wurde eingerichtet, um Friedens-, Menschenrechts- und<br />
Mediengruppen in den verschiedenen Landesteilen eine Möglichkeit<br />
zu geben, miteinander zu kommunizieren – und mit dem Rest der<br />
Welt in Verbindung zu treten. Das war deswegen so schwierig, weil<br />
die Telefonleitungen zwischen den verschiedenen Teilen Ex-Jugoslawiens<br />
unterbrochen worden waren: Von Serbien aus war es nicht<br />
möglich, ein Gespräch nach Kroatien zu führen. Auslandsleitungen<br />
funktionierten aber noch. Dieses Wissen ermöglichte den Hack,<br />
jegliche Embargoverfügungen zu umgehen. Die Nachrichten von der<br />
Zamir-BG in Belgrad wurden über die BIONIC in Bielefeld nach<br />
Zagreb zur Zamir-ZG geschickt und vice versa. Es gab Zamir-Systeme<br />
in Ljubljana in Slowenien, Zagreb in Kroatien, Belgrad in Serbien,<br />
Tuzla in Bosnien, Pristina im Kosovo und sogar im mehrere Jahre lang<br />
von den Serben belagerten Sarajevo in Bosnien. Für viele Menschen<br />
dort war Zamir der einzige Draht nach außen. Die Mailbox in Sara-<br />
Panel Technik & Geschichte<br />
jevo hatte drei Telefonzugänge und versorgte damit 5.000 (!) Teilnehmer/-innen.<br />
Mehr Telefonleitungen waren schlicht nicht verfügbar:<br />
Eine neue Telefonleitung zu bekommen, kostete in Sarajevo zu<br />
dieser Zeit nicht 100 DM wie in Deutschland, sondern 1.500 DM und<br />
dauerte etwa drei Jahre. Das Open Society Institute und die Soros<br />
Foundation fanden <strong>das</strong> Projekt förderungswürdig und übernahmen<br />
die immensen Telefonkosten. Zamir wurde weltweit Thema in den<br />
Medien (www.foebud.org/archiv/Zamir).<br />
Europäische Tagebücher<br />
Wam Kat, aus der Friedensbewegung in Holland, war nach Kroatien<br />
gereist, weil er es nicht mehr ertragen konnte, den Krieg in Jugoslawien<br />
im Fernsehen zu sehen. Er landete in Zagreb und wurde Systemadministrator<br />
der Zamir-ZG. Ursprünglich wollte er nur ein paar<br />
Monate bleiben – es wurden mehrere Jahre. So begann er Anfang 1992<br />
Tagebuch zu schreiben, damit seine Kinder, die er in Holland zurückgelassen<br />
hatte, wussten, was ihr Vater machte, während er fort war.<br />
Und er schrieb öffentlich, weil auch der Rest der Welt wissen sollte,<br />
was gerade in Ex-Jugoslawien passierte.<br />
In seinem Zagreb Diary gibt er ausführliche Schilderungen der<br />
politischen Situation, der Kriegshandlungen, wie sie ihm von Leuten<br />
direkt berichtet wurden und kommentiert auch die Berichterstattung<br />
der lokalen Medien sowie CNN und SKY, die in Zagreb per Satellit<br />
empfangen werden können. Er beschreibt auch, was er den Tag über<br />
getan hat, seine Arbeit, welche Menschen er getroffen hat, welche<br />
Musik er <strong>gehört</strong> hat. Er berichtet von der Verwirrung durch neue<br />
Straßennamen (nach politisch motivierter Umbenennung), von bettelnden<br />
Kriegsinvaliden in der Straßenbahn und der Beschämung der<br />
Fahrgäste, die nichts geben können, weil sie selbst nichts haben, von<br />
Menschen, die sich zum ersten Mal in einem Wahlkampf engagieren<br />
und mit selbst gebastelten Plakaten und Klebeband oder einer Tasse<br />
voll Leim plakatieren gehen. Von der Bäckerei in Sarajevo, die wegen<br />
dauernder Stromausfälle zum ersten Mal die Produktion zeitweilig<br />
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