06.07.2017 Aufrufe

Cruiser im Sommer 2017

Es ist nun ja so: Fast in jedem Coming Out Film gehen die Protagonisten früher oder später BADEN! Das machen sie wirklich und fast immer. Warum ist dem so? Unser Autor versucht unser Sommerthema mehr oder weniger wissenschaftlich anzugehen und kommt zu erfrischenden Erkentnisen. Ausserdem: Mario Puntillo, der tapfere Schneider und weitere spannende Portraits und...unser Sommerwettbewerb mit grossartigen Preisen. ​ Kein Sommer ohne unser Gewinnspiel: Dieses Jahr haben wir Wettbewerbspreise, die dich umhauen. Hier gehts zum Gewinnspiel.

Es ist nun ja so: Fast in jedem Coming Out Film gehen die Protagonisten früher oder später BADEN! Das machen sie wirklich und fast immer. Warum ist dem so? Unser Autor versucht unser Sommerthema mehr oder weniger wissenschaftlich anzugehen und kommt zu erfrischenden Erkentnisen.

Ausserdem: Mario Puntillo, der tapfere Schneider und weitere spannende Portraits und...unser Sommerwettbewerb mit grossartigen Preisen.



Kein Sommer ohne unser Gewinnspiel: Dieses Jahr haben wir Wettbewerbspreise, die dich umhauen. Hier gehts zum Gewinnspiel.

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18 Porno<br />

Porno 19<br />

Spielraum für Diversität?<br />

Spielraum für Diversität?<br />

Palette idealisierter Männlichkeiten und,<br />

ebenfalls wichtig, detaillierte schwule Sexualpraktiken.<br />

Dies ist deshalb nicht banal, weil<br />

Wissen über schwule Sexpraktiken in der Öffentlichkeit<br />

kaum zirkuliert, ausser als Diffamierung.<br />

Nun könnte man einwenden, auch<br />

heterosexuelle Pornographie zeige idealisierte<br />

Frauenbilder und Praktiken, über die man in<br />

der Gesellschaft nicht offen spricht. Der Unterschied<br />

liegt jedoch darin, dass für heterosexuelle<br />

Männer Pornographie nur die verborgene<br />

Seite ihrer Sexualität repräsentiert, sie<br />

leben <strong>im</strong> Alltag eine durch best<strong>im</strong>mte Normen<br />

sanktionierte Form der Sexualität und<br />

überschreiten deren Grenzen <strong>im</strong> Gehe<strong>im</strong>en<br />

durch Pornographie. Da für Schwule aber der<br />

gesamte Bereich ihrer Sexualität von der heterosexuell<br />

geprägten Gesellschaft zur Unsichtbarkeit<br />

verurteilt ist, entwickeln sie ein<br />

ungebrochenes Verhältnis zur Pornographie.<br />

Schwule Pornos stellen demnach wie<br />

best<strong>im</strong>mte Saunas, Parks oder Darkrooms<br />

eine Parallelwelt dar, wo Männer für sexuelle<br />

Praktiken verfügbar sind, die in der Gesellschaft<br />

tabuisiert werden. Sie bilden eine<br />

Fantasiewelt, wo schwules Begehren keinen<br />

gesellschaftlichen Einschränkungen unterliegt.<br />

Damit vermitteln Pornos eine virtuelle<br />

He<strong>im</strong>at für schwule Identität.<br />

Im Bereich der Schwulenpornos lässt<br />

sich eine Parallelität zum Kampf der Schwulenbewegung<br />

um gesellschaftliche Akzeptanz<br />

erkennen. Nachdem in den Schwulenpornos<br />

der 60er-Jahre noch ein eher<br />

zufälliges Durcheinander von Looks, Körpern<br />

und Praktiken herrschte, setzte in den<br />

80ern eine Normierungswelle ein. Die hat<br />

mit dem Aufkommen der VHS-Kassetten zu<br />

tun, das aus einem szeneinternen Untergrundphänomen<br />

eine Massenware machte,<br />

die sich jedermann diskret nach Hause bestellen<br />

konnte. Schwule Pornographie erlangte<br />

also eine viel grössere Verbreitung<br />

zeitlich parallel zum vermehrten An-die-Öffentlichkeit-Treten<br />

der Schwulen <strong>im</strong> Rahmen<br />

der Schwulenbewegung.<br />

Schwule Pornos und einschlägige Chatforen: Beides sind Parallelwelten.<br />

Porno & AIDS<br />

Eine ebenso wichtige Rolle spielt die Ausbreitung<br />

von Aids. Auf der politischen Ebene<br />

hat die Aidspanik und die sie begleitende<br />

Stigmatisierung der Schwulen zu einem<br />

Strategiewechsel innerhalb der Schwulenbewegung<br />

geführt. Um die <strong>im</strong> wörtlichen Sinne<br />

tödliche Stigmatisierung zu bekämpfen,<br />

mussten die Schwulen ihre Anliegen vermehrt<br />

an die breite Öffentlichkeit tragen, ihr<br />

Privatleben öffentlich machen. Dieser Gang<br />

an die Öffentlichkeit hatte eine gewisse Normalisierung,<br />

aber auch Normierung dessen<br />

zur Folge, was als schwule Identität lebbar<br />

war, da ein Teil der schwulen Subkultur diesen<br />

Gang an die Öffentlichkeit nicht mitmachen<br />

konnte oder wollte. Kulturell hatte die<br />

Aidspanik bei den Schwulen einen verstärkten<br />

Schönheits-, Körper- und Fitnesskult zur<br />

Folge, da man bestrebt war, gegenüber der<br />

Schwule Pornos stellen<br />

demnach eine Parallelwelt<br />

dar, wo Männer für sexuelle<br />

Praktiken verfügbar<br />

sind, die in der Gesellschaft<br />

tabuisiert werden.<br />

tödlichen Bedrohung der Aidskrankheit das<br />

gesunde und unversehrte Aussehen des Körpers<br />

zu betonen. Sexuell hatte die Aidspanik<br />

einen Aufschwung der Masturbation zur<br />

Folge, da die Frage nach safen sexuellen<br />

Praktiken längere Zeit ungeklärt war. Entsprechend<br />

stieg auch die Bedeutung der Pornographie<br />

für Schwule nochmals an.<br />

Der All-American-Boy (hier <strong>im</strong> Bild Jeff Styker), der mit seiner jugendlichen properen Fitness die Schwulenpornographie der 80er-Jahre<br />

dominiert hatte, macht seit den 90er-Jahren wieder einer grösseren Vielfalt an Looks und Praktiken Platz.<br />

Spielraum für Diversität<br />

Der All-American-Boy, der mit seiner jugendlichen<br />

properen Fitness die Schwulenpornographie<br />

der 80er-Jahre dominiert hatte, macht<br />

seit den 90er-Jahren wieder einer grösseren<br />

Vielfalt an Looks und Praktiken Platz. Insbesondere<br />

das Aufkommen des Internets macht<br />

es nochmals leichter, auf den jeweiligen Geschmack<br />

zugeschnittene Pornographie zu finden.<br />

Parallel hatte die Schwulenbewegung in<br />

Sachen gesellschaftliche Anerkennung erste<br />

Erfolge zu verzeichnen, die den Normierungsdruck,<br />

der auf den Schwulen lastet, wieder ein<br />

wenig lockert. Ein von der Schwulenbewegung<br />

vermitteltes offizielles Bild von schwuler Identität<br />

und schwulen Beziehungen besteht zwar<br />

fort, doch daneben gibt es wieder mehr Spielraum<br />

für Diversität. Mit der Entwicklung von<br />

Medikamenten, die eine HIV-Infektion zu etwas<br />

machen, das sich managen lässt, und dem<br />

Erlangen eines rechtlichen Status für homosexuelle<br />

Beziehungen, kommt es dann in den<br />

Nullerjahren des 21. Jahrhunderts in der<br />

Schwulenpornographie zum Tabubruch, indem<br />

erstmals seit Mitte der 80er wieder<br />

schwule Pornos produziert werden, in denen<br />

die Darsteller keine Kondome verwenden.<br />

Heute macht die sogenannte Bareback-Pornographie<br />

einen grossen Teil des Markts für<br />

schwule Pornographie aus. Nachdem Safer-Sex-Kampagnen<br />

jahrelang unsafe Sexpraktiken<br />

<strong>im</strong> realen schwulen Sexleben bekämpft<br />

hatten, erstaunt ihr Auftauchen in der Fantasiewelt<br />

der Pornographie nicht.<br />

Hypermännlich & hypersexuell<br />

Schwule Pornographie macht also sexuelle<br />

Akte, die in der Gesellschaft stigmatisiert<br />

sind, sichtbar und präsentiert diese als lustvoll.<br />

Dies hat einen bestärkenden Effekt auf<br />

schwule Männer. Gleichzeitig prägt die Hypermännlichkeit<br />

und Hypersexualität der<br />

Schwulenpornos die Gay Community derart<br />

stark, dass ein abschreckender Effekt auf<br />

Schwule, die diesen ästhetischen Standards<br />

nicht entsprechen, wahrscheinlich ist.<br />

Ein Beispiel hierfür: Auf Datingsites<br />

präsentieren sich Schwule in Form von Profilen.<br />

Dazu müssen sie sich anhand von Kategorien,<br />

die aus der schwulen Pornographie entlehnt<br />

sind, selber beschreiben und einstufen.<br />

Dabei geht es sowohl um<br />

äusserliche Merkmale wie<br />

auch um sexuelle Vorlieben,<br />

Praktiken und Fetische.<br />

Dabei geht es sowohl um äusserliche Merkmale<br />

wie auch um sexuelle Vorlieben, Praktiken<br />

und Fetische. Dazu müssen die Profile mit<br />

Bildern versehen werden, die sich stark an die<br />

Ästhetik der Schwulenpornos anlehnen. Wer<br />

sich dem nicht unterwerfen möchte, kann sich<br />

zwar bei diesen Sites anmelden, er bleibt jedoch<br />

für die Suchfunktionen und Ratings des<br />

Portals weitgehend unauffindbar, seine Sichtbarkeit<br />

ist deutlich eingeschränkt. Körperlich<br />

Behinderte etwa oder Übergewichtige, für die<br />

ja vielleicht solche Portale besonders wichtig<br />

wären, werden so bereits durch die Vorgaben<br />

der Sites unsichtbar gemacht.<br />

Zusammenfasend lässt sich sagen, dass<br />

das Überschreiten der Einschränkungen<br />

durch die heterosexuell dominierte Gesellschaft<br />

in der schwulen Pornographie offenbar<br />

schwule Identität bestärken kann. Damit geht<br />

jedoch das Problem einher, dass in diesem bestärkenden<br />

Effekt das eigentlich Transgressive<br />

der schwulen Pornographie wieder verlorengeht,<br />

<strong>im</strong> Überschreiten der Grenzen der sexuellen<br />

Identität werden neue Grenzen gezogen.<br />

Damit hat schwule Pornographie ebenso normierende<br />

Effekte wie heterosexuelle Mainstreampornographie.<br />

Hoffnung machen hier die<br />

Exper<strong>im</strong>ente der sogenannten Post-Pornographie,<br />

die bewusst auf eine Vielfalt von Körpern,<br />

Schönheitsidealen, Geschlechtern und<br />

sexuellen Orientierungen setzt, um herrschende<br />

Normierungen aufzubrechen.<br />

Nathan Schocher<br />

Schocher promoviert in Philosophie an der<br />

Universität Zürich und ist Mitglied des<br />

Graduiertenkollegs am Zentrum Gender<br />

Studies der Universität Basel. Er arbeitet als<br />

Programmleiter für Menschen mit HIV bei der<br />

Aids-Hilfe Schweiz.<br />

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