KulturFenster Nr. 01|2017 - Februar 2017
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Das Thema<br />
Zur Person:<br />
Michael Stecher<br />
denken. In der Soziologie wird das besonders<br />
deutlich. Wir Menschen tun ja nicht,<br />
was wir wissen. Wir wissen derzeit alle,<br />
dass wir die Welt gegen die Wand fahren.<br />
Wir handeln aber nicht danach. Deshalb<br />
ist die Motivation immer auch sozial zu<br />
sehen: Wie kommen wir zu einer neuen<br />
Form gelebter kultureller Praxis? Musizieren<br />
ist doch eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung.<br />
Ich blase nicht wie Vettel Millionen<br />
Liter Treibstoff in die Luft und drehe sinnlos<br />
meine Runden. Ich sitze da und arbeite<br />
mich an Kultur ab.<br />
Gibt es Tipps, wie ich mich motivieren kann,<br />
mich an der Kultur abarbeiten zu wollen?<br />
Solche Tipps sind subjektiv und unterschiedlich.<br />
Da hat jeder Mensch einen<br />
anderen Zugang. Und ich kann eigentlich<br />
nur sagen, was in meinem Leben der Motivation<br />
zur Musik und zur Orchesterarbeit<br />
diente. Das war immer die Musik. Wenn<br />
ich eine gute Partitur vor mir hatte, gute<br />
Musik, dann war das für mich Motivation<br />
genug, die Leidenschaft in die Probe zu<br />
tragen. Wenn ich gemerkt habe, dass zwischen<br />
mir und dem Orchester diese Musik<br />
zur Geltung kommt, dann war alles in<br />
Ordnung. Ich brauchte gute Literatur. Mit<br />
schlechter Literatur schaffte ich das nicht.<br />
Und Ihre Motivation wirkt dann ansteckend<br />
auf die Musiker.<br />
Auf jeden Fall! Das ist ein sogenanntes Resonanzphänomen.<br />
Jeder Mensch ist einzig<br />
Er studierte zunächst an der Pädagogischen<br />
Hochschule in Freiburg die<br />
Schwerpunkte Reformpädagogik, Beziehungsdidaktik<br />
und Musik, bevor er<br />
sich an der Musikhochschule Freiburg<br />
den Fächern Trompete sowie Dirigieren,<br />
Rhythmik und Früherziehung widmete.<br />
Heute ist er Akademischer Mitarbeiter<br />
im Bereich Musikpädagogik an der Musikhochschule<br />
Freiburg, unterrichtet am<br />
Hohner Konservatorium Trossingen Systemische<br />
Musikpädagogik und Allgemeine<br />
Instrumentalpädagogik, an der Bundesakademie<br />
Trossingen (B-Lehrgang) Probenpädagogik<br />
und Reflexionen über Musik<br />
und ist Lehrkraft für Trompete an der<br />
Musikschule Südlicher Breisgau in Staufen.<br />
(www.michaelstecher.de)<br />
und ein in sich autonomes System. Aber<br />
Systeme stehen in Beziehung ihrer Resonanz.<br />
Wenn über diese Begeisterung eine<br />
Resonanz entsteht, gibt es positive Motivation.<br />
Natürlich kann ich auch für negative<br />
Resonanzen sorgen. Dann gibt’s keine<br />
Musik. Viele Dirigenten regen sich darüber<br />
auf, wenn sich ein Musiker nicht abgemeldet<br />
hat, dies oder jenes passiert –<br />
alles Nebenschauplätze! Wichtig ist die<br />
Leidenschaft zur Musik!<br />
Kann es aber im Umkehrschluss auch<br />
demotivierend wirken, wenn der Dirigent<br />
von der Musik überzeugt ist, die Musiker<br />
aber nicht?<br />
Das muss natürlich passen. Ein Blasorchester,<br />
das sich über die Volksmusik definiert,<br />
kann ich mit dem „Traum des Oenghus“<br />
nur schwer erreichen. Muss ich ja auch<br />
nicht. Aber ich lege dann Wert darauf,<br />
dass auch die Volksmusik musiziert wird.<br />
Gibt es wirklich keine Tricks? Sei es nur,<br />
„Tschakka, du schaffst es!“, zu rufen?<br />
Wenn ich als Mensch über aktives Tun etwas<br />
erreiche, erlange ich einen Grad der<br />
Zufriedenheit. Es darf sich aber nicht dahin<br />
entwickeln, dass man immer nur nach<br />
oben denkt und mitmacht im Ellbogen-<br />
Kampf der Globalisierung. Es ist absolut<br />
entscheidend, Phasen zu haben, in denen<br />
ich zur Ruhe komme, nachdenke, und<br />
feststellen kann, wenn ich aktiv bin – ob<br />
Probe vorbereiten, Probe durchführen, in<br />
den Unterricht gehen –, ziehe ich aus diesem<br />
aktiven Tun meine Zufriedenheit. Das<br />
kostet Überwindung, aber ich weiß, dass<br />
meine Tätigkeit Sinn macht. Dieser Sinn<br />
zieht mich durch jede Durststrecke wie ein<br />
Magnet. Wie oft musste auch ich mich zu<br />
einer Probe aufraffen und wäre lieber daheim<br />
auf dem Sofa geblieben? Beim Losfahren<br />
hatte ich immer noch keine Lust.<br />
Die kommt dann letztendlich durchs aktive<br />
Tun. Wichtig ist dabei aber auch immer<br />
die Reflexion des Maßhaltens. Aktiv<br />
sein, aber im entscheidenden Augenblick<br />
wieder loslassen – dann haben wir pädagogisch<br />
viel erreicht, nämlich Gelassenheit.<br />
Und die Gelassenheit ist eine Grundmotivation.<br />
Der Gelassenheit gegenüber steht der Zeitdruck,<br />
den manche Menschen brauchen,<br />
um eine Aufgabe zu erledigen. Ist das ein<br />
falscher Ansatz?<br />
Ich ertappe mich selbst manchmal dabei,<br />
dass ich den Druck brauche. Das ein oder<br />
andere Mal ist das auch nicht schlimm.<br />
Wenn das aber ein Dauerzustand wird,<br />
macht sich der Mensch kaputt. Dann bekommt<br />
man motivational Probleme und<br />
landet im Burnout-Syndrom. Druck oder<br />
Stress schadet ja nicht per se, die Dosierung<br />
macht es aus.<br />
Und wenn alles nichts mehr hilft, hilft nur<br />
noch der Gang zum Psychologen?<br />
Wenn ich wirklich in der Apathie lande<br />
und auch in der Sinnfrage nicht mehr<br />
weiterkomme, brauche ich fremde Hilfe.<br />
Die Sinnfrage ist hochgradig interessant<br />
und für jede Lebensphase wichtig. Wenn<br />
ich mit pubertierenden Jugendlichen, die<br />
Übeprobleme haben, über die Sinnfrage<br />
rede – was glauben Sie, was das für tolle<br />
Gespräche sind. Die Sinnfrage muss man<br />
sich immer stellen und wer auf die Frage<br />
nach dem „Warum?“ eine Antwort hat,<br />
verträgt fast jedes „Wie?“. Wenn wir uns<br />
als Homo sapiens sapiens definieren, also<br />
als das Lebewesen, das mit doppelter Vernunft<br />
ausgestattet ist, dann ist die Sinnfrage<br />
überhaupt die entscheidende Frage;<br />
die gelebte Antwort auf die Frage „Warum<br />
lebe ich?“ Mit der Beantwortung der Frage<br />
beantworte ich auch die Frage der Motivation,<br />
weil das Hauptziel erreicht wird: Der<br />
Mensch wird gestärkt. Und manche fi n-<br />
den dies eben in der Musik.<br />
Herr Stecher, ich danke Ihnen für<br />
dieses Gespräch!<br />
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