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Taxi Times Berlin - Juli/August 2017

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BERLIN<br />

Ich bin in keinen Stau geraten, außer am Großen Stern in der Altonaer<br />

Straße.“ Kein Durchkommen gab es allerdings in Rummelsburg. Ein<br />

<strong>Taxi</strong> war in der berüchtigten Senke in der Schlichtallee baden gegangen:<br />

Wasserschlag! Der Motor hatte im über einen Meter tiefen Wasser<br />

keine Luft mehr bekommen und stattdessen Wasser angesaugt.<br />

Ein solcher Schaden lässt sich kaum unter 3.000 Euro beheben. Ein<br />

zweiter Kollege war mit seinem <strong>Taxi</strong> herangefahren, um dem Pechvogel<br />

Starthilfe zu geben. Durch den steigenden Wasserspiegel war<br />

die Lage nun für beide hoffnungslos. Glück hatten die anderen: Die<br />

Umfahrung der Stelle klappte problemlos. Die Fahrgäste seien allesamt<br />

nett gewesen und hätten – in dankbarer Ergebenheit – nie ein<br />

Thema daraus gemacht, „ob nun der richtige Fahrgast im richtigen<br />

<strong>Taxi</strong> sitzt. Sie hatten meist lange auf ein <strong>Taxi</strong> gewartet und waren<br />

geradezu glücklich, dass wir so gut vorankamen“, erzählt Bernd.<br />

Das war nicht überall so. Sein Chef Ulrich S., der am frühen Nachmittag<br />

von einem Termin in Tempelhof kam und nun durch den<br />

Sachsendamm zu seinem Betrieb am Bahnhof Schöneberg zurück<br />

wollte, fand sich vor einer „polizeilichen Absperrboje“ wieder. Das<br />

Ganze kostete ihn über eine Stunde. Wäre er später unterwegs gewesen,<br />

hätte es wahrscheinlich noch viel länger gedauert, denn irgendwann<br />

wurde die A 100 voll gesperrt und das Chaos war perfekt.<br />

Wasserfall auf der Stadtautobahn, im Vorbeifahren fotografiert<br />

LANDUNTER IN BERLIN<br />

In 24 Stunden fiel am 29.6.<strong>2017</strong> mehr als doppelt so viel<br />

Regen wie normalerweise im ganzen Juni in <strong>Berlin</strong>. Über<br />

150 Liter Wasser fielen pro Quadratmeter. Die Feuerwehr<br />

hatte rund 1.850 wetterbedingte Einsätze, hauptsächlich zu<br />

überschwemmten oder unterspülten Straßen, vollgelaufenen<br />

Kellern und gefluteten U-Bahnhöfen. Freiwillige Feuerwehren<br />

und das Technische Hilfswerk mussten helfen.<br />

Zu Lande, zu Wasser und in der Luft hieß es „rien ne va plus“.<br />

Am Flughafen Tegel wurden Maschinen umgeleitet und Flüge<br />

gestrichen. Das Nachtflugverbot musste kurzzeitig aufgehoben<br />

werden, um eine Weiterreise der Passagiere zu ermöglichen.<br />

Die Bahnstrecken von und nach <strong>Berlin</strong> waren ebenfalls<br />

betroffen. Teile der Spree und einige Kanäle waren aus<br />

Sicherheitsgründen für den Schiffsverkehr gesperrt worden,<br />

da viele Ufer nicht mehr zu sehen waren. Ein unterspültes Haus<br />

in Charlottenburg musste zeitweise evakuiert werden, da seine<br />

Statik gefährdet war. Am Kurfürstendamm lief ein ehemaliges<br />

Kinogebäude voller Wasser, welches dann im Keller von<br />

Fernwärmeleitungen erhitzt wurde. Eine U-Bahn-Baustelle<br />

nahe dem <strong>Berlin</strong>er Rathaus füllte sich mit Wasser, das in<br />

einen angrenzenden U-Bahn-Tunnel abfloss. Der U-Bahnhof<br />

Biesdorf-Süd musste bis zum nächsten Mittag geschlossen<br />

werden. Zwischen den U-Bahnhöfen Spichernstraße und<br />

Walther-Schreiber-Platz wurde am Freitag ein Ersatzverkehr<br />

mit Bussen und Großraumtaxen eingerichtet.<br />

DIE BILANZ VON „RASMUND“<br />

Der Ausnahmezustand wurde erst am Freitagnachmittag aufgehoben,<br />

zweieinhalb Stunden nachdem die letzte U-Bahn-Linie<br />

ihren regulären Betrieb wieder aufgenommen hatte. Die<br />

Versicherungen kostet der „nasse Donnerstag“ um die 60<br />

Millionen Euro – obwohl gewöhnliche Hausratversicherungen<br />

(ohne Elementarschadenversicherung) keine Schäden durch<br />

Überflutung von außen – wie zum Beispiel vollgelaufene Keller<br />

– bezahlen. Kfz-Haftpflichtversicherungen bezahlen keine<br />

Schäden am eigenen Auto und Teilkaskoversicherungen weder<br />

Schäden, die durch fahrlässiges Befahren überschwemmter<br />

Straßen entstanden sind, noch Schäden durch herabfallende<br />

Ziegel oder Äste bei Windstärken unter 8.<br />

So ist er heilfroh über den Ausgang des Tages: „Wir haben überwiegend<br />

ruhige, besonnene Fahrer, die die Autos pfleglich behandeln.<br />

Durch sie, und natürlich auch mit viel Glück, hatten wir nicht einen<br />

einzigen Schaden an dem Tag.“<br />

HUNDERTE PARTIEN IN TEGEL<br />

Ebenso gut gelaunt erzählt der Kollege Ali A.: „Ich war der Glücklichste“,<br />

und zeigt auf seinen VW Touran. Mit breitem Grinsen fügt<br />

er hinzu, dass er bisher noch nie eine kostenlose Unterboden-Wäsche<br />

gehabt hätte. „An der Gartenfelder Ecke Paulsternstraße stand das<br />

Wasser mindestens einen halben Meter hoch. Mein Fahrgast hatte<br />

mich zum Glück darauf aufmerksam gemacht und meinte, dass es<br />

sich an dieser Ecke, auch wenn es nur ein bisschen regnet, sofort<br />

sammelt und nicht wegfließt. Ansonsten wäre ich womöglich noch<br />

durchgefahren“.<br />

Drei Kilometer weiter staute sich weniger das Wasser als die Fahrgäste:<br />

Am Flughafen Tegel kamen nur vereinzelt Taxen an, um ein<br />

paar der vielen hundert Wartenden an einem der Terminals abzuholen.<br />

So erlebte Bernd V. es abends um neun. Als es ihn eine halbe<br />

Stunde vor Mitternacht erneut zum Lieblingsflughafen der <strong>Berlin</strong>er<br />

verschlug, hatte sich daran augenscheinlich nichts geändert.<br />

DER NOT NOCH ETWAS ABZUGEWINNEN, IST HUMOR<br />

Ebenfalls etwas warten musste Kollege Sebastian D. In der Lietzenburger<br />

Straße hatte er einen Funkauftrag angenommen, und an der<br />

Abholadresse angekommen, kam auch schon der Fahrgast, ungefähr<br />

40 Jahre alt, zum <strong>Taxi</strong> – etwas zu stürmisch. „Das einzige, was ich<br />

noch gesehen habe, waren seine Füße. Er lag plötzlich da – und lachte.<br />

Wenigstens nahm er seine Situation mit Humor. Als ich ihn lachend<br />

im Wasser liegen sah, musste auch ich lachen. Das war ein feuchtfröhlicher<br />

Auftrag geworden.“ Nachdem der Herr sich mit Sebastians<br />

helfender Hand aufgerappelt hatte, ging er, diesmal entspannter, zum<br />

Haus zurück. Sebastian wartete geduldig, und gemeinsam ging es in<br />

frischen Kleidern nach Kreuzberg.<br />

„Stell dir vor, das Geschäft wäre in der Hand von Uber gewesen“,<br />

sinniert Kemal Y. „Die hätten die Preise garantiert verzehnfacht und<br />

allen Leuten ohne dicken Geldbeutel den Stinkefinger gezeigt. Darüber<br />

sollten die Kollegen aus den Uber-Partnerfirmen mal nachdenken.“<br />

Am 29.6. hat <strong>Berlin</strong> erlebt, dass das <strong>Taxi</strong>gewerbe seine Kundschaft<br />

nicht im Regen stehen lässt. Es gibt Situationen, da zeigt sich, wie<br />

modern Verlässlichkeit sein kann. <br />

hs/ar<br />

FOTO: Özgür Bozkurt<br />

8 JULI/AUGUST/ <strong>2017</strong> TAXI

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