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atw 2017-09

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<strong>atw</strong> Vol. 62 (<strong>2017</strong>) | Issue 8/9 ı August/September<br />

556<br />

Inside<br />

KTG INSIDE<br />

Disruptive Entwicklung<br />

Liebe KTG'ler und <strong>atw</strong>-Leser,<br />

„Disruptive Entwicklung“ ist ein im Mainstream der ­letzten<br />

Jahre prominent benutzter Begriff, der neugierig macht,<br />

soweit wir uns nicht schon selbst mit seiner Bedeutung<br />

und den Hintergründen genügend befasst und versucht<br />

haben, eine eigene Vorstellung darüber zu entwickeln.<br />

Hierzu zunächst eine kurze Geschichte aus dem schon<br />

weitgehend zurückgebauten Kernkraftwerk Stade. Was<br />

war geschehen?<br />

Bei einer außerordentlichen Wiederkehrenden Funktions­prüfung<br />

war ein neu entwickeltes und installiertes<br />

Abblaseventil am Druckhalter in Stellung „offen“ gebliebenen.<br />

Für die Stromproduktion des Kernkraftwerkes ein<br />

disruptives Ereignis.<br />

Um zur Aufklärung des Ereignisses beizutragen, wurden<br />

weitreichende Verbesserungen und weitergehende<br />

Vorsorgemaßnahmen gegen Wiederholung identifiziert,<br />

um für den weiteren Leistungsbetrieb des Kernkraftwerkes<br />

die erforderliche Schadensvorsorge sicherzustellen.<br />

Zurückblickend gesehen, wurde nach der Neuent­wicklung<br />

der Ventile, durch dieses Ereignis die Weiter­ent­wicklung<br />

der Komponenten – disruptiv initiiert – ­beschleunigt.<br />

Die analytischen und technischen Herausforderungen<br />

zur Bewertung des Ereignisses waren – ingenieurtechnisch<br />

gesehen – sehr komplex, insofern war die Heraus­forderung<br />

an alle Beteiligten zum Auffinden der Ursachen außergewöhnlich<br />

hoch.<br />

Im Kernkraftwerk Stade ist es dann in der Folge zu einer<br />

nachhaltigen Weiterentwicklung der damals neu nachgerüsteten<br />

Abblase- und Sicherheitsventile gekommen.<br />

Nur wenige Jahre später sind diese Ventile in weiteren<br />

Kernkraftwerken in Deutschland und danach weltweit<br />

zum Einsatz gekommen. Dort verrichten sie bis heute ihre<br />

bestimmungsgemäßen Aufgaben, wirksam und zuverlässig,<br />

entstanden durch ein disruptives Ereignis und<br />

­daraus resultierenden Entwicklungen.<br />

Aus meiner Sicht eine Geschichte aus dem Leben eines<br />

Kerni´s, die zeigt, dass disruptive Ereignisse Initialpunkte<br />

für weitere Entwicklungen sein können und nachweislich<br />

auch sind. Sie führen zu mit hohem Engagement getriebenen<br />

Veränderungen – hier – Verbesserungen bezüglich<br />

der Wirksamkeit und Zuverlässigkeit von Sicherheits- und<br />

Abblaseventilen.<br />

Aus philosophischer Sicht war ein besonderes disruptives<br />

Ereignis der Anlass, die menschliche Einsicht zu<br />

­wecken, Ideen, Willens- und Schaffenskraft freizusetzen,<br />

die in ihrem Wirkungsergebnis zu einer nachhaltigen<br />

Wertbeständigkeit einer Einrichtung führt, die für den<br />

weiteren Betrieb des Kernkraftwerkes als Wertbeitrag<br />

zwingend erforderlich war und ist.<br />

Neben dieser persönlich erlebten Geschichte gibt es<br />

wahrscheinlich unzählig viele andere Beispiele aus<br />

­unserem Berufs- und Lebensalltag, oder auch in ganz<br />

­anderer Dimension in die Weltgeschichte zurück geblickt,<br />

die wir in ähnlich systematischer Weise sehen können.<br />

Vielfach führen besonders bemerkenswert erlebte<br />

­Ereignisse zu – disruptiv – initiierten Entwicklungen, im<br />

Sinne von Weiter- oder Neuentwicklungen oder aber auch<br />

zu grundsätzlich neuer Orientierung mit Entscheidungen<br />

für Neues.<br />

Als Beispiele seien hier genannt, die erste Kern­spaltung,<br />

initiiert und entdeckt hier bei uns in Deutschland durch<br />

Otto Hahn im Jahr 1938, das Ende des zweiten Weltkriegs<br />

durch die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und<br />

­Nagasaki oder die kerntechnischen Unfälle in Tschernobyl<br />

und Fukushima.<br />

Diese Ereignisse sind – jedes für sich betrachtet –<br />

­disruptive Initialereignisse für neuen Antrieb zu verändertem<br />

Handeln und – philosophisch gesehen – für das<br />

Streben nach einer scheinbar besseren Welt.<br />

Die Entdeckung der Kernspaltung war ein erster<br />

­wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Erschließung einer<br />

Energiequelle durch Menschenhand, die Urquell aller uns<br />

heute bekannten Energieformen ist. Alle auf der Erde vorhandenen<br />

Energieformen gründen sich auf Kernenergie,<br />

oder präziser gesagt, auf die in den Atomkernen ­gebundene<br />

und freisetzbare Bindungsenergie der Nukleonen. Durch<br />

die Möglichkeit des menschlichen Zugriffs auf diese<br />

Energie­form wurde eine Energiequelle erschlossen, die in<br />

ihrer Energiedichte alles bis dahin Bekannte in den<br />

­Schatten stellte. Sie wird durch Kernspaltung oder durch<br />

Kernfusion nutzbar.<br />

In Form der Kernwaffen leider auch als Instrument der<br />

Macht, in Form der friedlichen Nutzung aber insbesondere<br />

als Energiequelle zur Erzeugung von Wärme und elektrischen<br />

Strom. Heute, ca. 80 Jahre später geschieht dies<br />

– weltweit gesehen – in fast 500 Kernkraftwerken. Der<br />

­beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland<br />

ist dabei, gemessen an der Gesamtzahl der zukünftig weltweit<br />

vorhandenen Kernkraftwerke, eher von geringerer<br />

Bedeutung.<br />

Die Ereignisse von Tschernobyl und Fukushima führten<br />

nur in wenigen Ländern der Welt zum unmittelbaren und<br />

mittelbaren Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der<br />

Kernenergie. Nach meinem Verständnis deshalb nicht,<br />

weil der von den Gesellschaften in diesen Ländern<br />

­gesehene Wert und Nutzen dieser Technologie höher<br />

­eingeschätzt und wahrgenommen wird, als gegenwärtig<br />

in weiten Teilen der Gesellschaft in Deutschland. Als<br />

­Maßstab dienen in diesen Ländern immer noch Umweltverträglichkeit,<br />

Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit.<br />

Die insgesamt darstellbaren Chancen der Nutzung<br />

­dieser Technologie werden in diesen Ländern weit höher<br />

gesehen als die Risiken. Als Maßstab dienen der sachlich<br />

darstellbare Nutzen und weniger unterdrückte oder übersteigerte<br />

Gefühlsmomente der Gesellschaften in Bezug<br />

zum Risiko- und Restrisiko oder gar deren ethische<br />

Extrem­interpretationen.<br />

Die disruptiven Ereignisse von Tschernobyl und<br />

­Fukushima mit großen Auswirkungen auf die Umgebung<br />

führten auch zu einem bedeutsamen und weitergehenden<br />

Anspruch und zu Verbesserungen bezüglich der Sicherheit<br />

der Kernkraftwerke weltweit.<br />

Sie führten – deterministisch und probabilistisch –<br />

­bewertet zu noch mehr Sicherheit und Robustheit der<br />

­Anlagen bei möglichen Ereignissen von außen und von<br />

­innen, zur Vermeidung von Ereignissen, zur Beherrschung<br />

der Folgen von dennoch eintretenden Ereignissen und<br />

­darüber hinaus zu weiteren Maßnahmen zur Begrenzung<br />

der Folgewirkungen von nicht beherrschbaren Ereignissen<br />

im Risikobereich. Es wurden technische Nachrüstungen<br />

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