Vertrauen
Credit Suisse bulletin, 2000/04
Credit Suisse bulletin, 2000/04
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VERTRAUEN<br />
Rolf<br />
Heusser war massgeblich am<br />
Nationalfondsprojekt beteiligt,<br />
das die ersten breiten Daten zum<br />
Thema Aids in der Schweiz präsentiert.<br />
Der Oberarzt am Institut für Sozial- und<br />
Präventivmedizin der Universität Zürich:<br />
«Aids hat die Sexualität verändert. <strong>Vertrauen</strong><br />
hat in Partnerschaften und bei flüchtigen<br />
Begegnungen Gewicht gewonnen.<br />
Das Nationalfondsprojekt war eine<br />
Langzeitstudie. Die Probandinnen und Probanden<br />
wurden durch die Aids-Beratungsstellen<br />
befragt. Trotz des Tabubereichs<br />
entwickelte sich <strong>Vertrauen</strong> zwischen den<br />
Beteiligten. Die Resultate dieser Studie<br />
haben uns solide Aufklärungsarbeit ermöglicht.<br />
Heute sind die Aidszahlen in der Schweiz<br />
zurückgegangen. Aids ist eine Krankheit,<br />
aber Aids ist nicht heilbar. Und noch immer<br />
stecken sich in der Schweiz zwei bis drei<br />
Leute täglich an. Gleichzeitig explodiert<br />
Aids in der Dritten Welt.<br />
Ich gebe Präventionsunterricht an Schulen<br />
mit verschiedensten Altersklassen. Ich<br />
missioniere nicht, ich bekehre keinen, und<br />
vor allem stigmatisiere ich keine Person,<br />
was immer sie tut. Ich hole mir das <strong>Vertrauen</strong><br />
der Jugendlichen mit Fakten und<br />
animiere zu tabufreier Diskussion. Nein,<br />
dieses Publikum akzeptiert nicht einfach<br />
meinen Titel oder meine Funktion. Die<br />
Schülerinnen und Schüler haben ein feines<br />
Gefühl für Glaubwürdigkeit, sie wollen<br />
überzeugt werden.<br />
Bei meiner Arbeit funktioniere ich nicht<br />
als Lusttöter und schon gar nicht als Killer<br />
erotischen Urvertrauens. Und Jugendliche<br />
können mit unsern Informationen umgehen.<br />
Sie lernen, wie man, mit und trotz Aids,<br />
Genuss in der Sexualität findet. Drei Viertel<br />
dieser Altersgruppen schützen sich<br />
heute bei einer neuen Partnerschaft oder<br />
Gelegenheitskontakten mit Kondomen.<br />
Nur 50 bis 55 Prozent der Männer und<br />
Frauen zwischen 40 und 55 verwenden<br />
dagegen bei Gelegenheitssex Kondome.<br />
Versagt haben wir bei dieser Altersgruppe<br />
nicht, aber der Erfolg unserer Kampagne<br />
war, zugegeben, nicht durchschlagend.<br />
Ich glaube, unsere spielerischen Spots<br />
und Inserate haben nicht nur über die<br />
Grenzen hinaus Aufsehen erregt, die Aidskampagne<br />
hat Tabus aufgelöst. Sexualität<br />
darf und muss diskutiert werden. Offenheit<br />
ist gefragt, fehlendes <strong>Vertrauen</strong> kann<br />
tödlich sein.<br />
Erfolg hatten wir aber auch, weil alle<br />
Beteiligten am gleichen Strick gezogen<br />
haben. Die Politik, die Betroffenen und<br />
die Bevölkerung hatten eingesehen, dass<br />
es hier um eine gefährliche Krankheit geht.<br />
Die positive Entwicklung in der Schweiz<br />
und der westlichen Welt gibt aber auch<br />
Grund zur Sorge. Die Gelder für die Prävention<br />
werden beschnitten, eine gewisse<br />
Nachlässigkeit setzt ein. In San Francisco<br />
steigen die Zahlen der Aidserkrankten<br />
bereits wieder an. Das beunruhigt mich:<br />
Safer Sex muss zum Dauerthema werden,<br />
weil jedes Jahr neue Männer und Frauen<br />
in die Sexualität hineinwachsen. Safer Sex<br />
muss zum Dauerthema werden, weil ältere<br />
Männer und Frauen wieder und wieder mit<br />
den Fakten konfrontiert werden müssen;<br />
weil wir gewisse Zielgruppen noch nicht<br />
ausreichend erreicht haben.<br />
Bei der Stop-Aids-Kampagne hat der<br />
Staat nicht nur koordiniert, er hat auch<br />
Kreativität ermöglicht. Aber wenn Sexualität<br />
im Spiel ist, spielen immer auch Emotionen,<br />
und alle sind betroffen. Vielleicht<br />
ist unser Erfolg deshalb weit weniger<br />
durchschlagend, wenn es um Ernährungsgewohnheiten,<br />
Alkohol und Tabak geht.<br />
Aber ich denke, der Kampf gegen Aids hat<br />
uns einiges gelehrt.<br />
Wir, die Präventionsfachleute, wollen<br />
verhindern, dass unsinnig Lebensjahre<br />
preisgegeben werden. Ich persönlich bin<br />
von der Gesundheitsidee überzeugt. Auch<br />
ohne Qualm, Alkohol, auch mit Safer Sex<br />
kann man sich seelisch, sozial und physisch<br />
wohl fühlen.»<br />
Rosmarie Gerber<br />
Rolf Heusser, Oberarzt:«Sexualität muss diskutiert<br />
werden, fehlendes <strong>Vertrauen</strong> kann tödlich sein.»