Fotos: Martin Stollenwerk
PERSPEKTIVE Oben und Unten Rolf Bernet, Rigger «Ich bin im richtigen Moment am falschen Ort gestanden und habe die Frage, ob ich schwindelfrei sei, mit Ja beantwortet», erinnert sich Rolf Bernet. Kurz darauf befand er sich im Dach des Zürcher Hallenstadions, 25 Meter über Boden, ohne Rolf Huggenberger, Kanalinspektor Rolf Huggenberger kennt sich aus in der Unterwelt. «Stv. Prozessverantwortlicher Betrieb öffentliche Kanalisation» steht auf seiner Visitenkarte. Als Kanalinspektor ist er verantwortlich für den tadellosen Zustand des Zürcher Kanalisationssystems. 920 Kilometer Abwasserkanäle liegen unter der grössten Schweizer Stadt. Da fehlt es nie an Arbeit. «Mein Job ist sehr abwechslungsreich», erzählt der gelernte Maurer, «als mitverantwortlicher Vorgesetzter von 35 Mitarbeitern bin ich neben der Büroarbeit viel draussen, besuche Baustellen, inspiziere Kanäle.» Mindestens einmal pro Woche steigt er ins Übergewand und anschliessend in den Kanal, ausgerüstet mit Helm, Handschuhen, Lampe, «Wer nicht aufpasst, fliegt in die Brühe.» Rolf Huggenberger Sicherheitsnetz. 1981 wars, am Konzert von Simon & Garfunkel. Bernet ist Rigger, ein spezialisierter Höhenarbeiter. «Als Rigger muss ich sicherstellen, dass das Material, das aufgehängt wird, auch oben bleibt», umschreibt er lapidar seine Arbeit. Rigger waren ursprünglich Seefahrer, welche die Takelage befestigten; die Takler der Moderne arbeiten an Grossveranstaltungen. Licht- und Tongerüste, an Kettenhebezügen fixiert, werden mit Motoren unters Dach gezogen und dort gesichert. Da kommen schon mal 42 Tonnen Material zusammen, wie bei der Oper Carmen; bei einem normalen Konzert sinds zwischen 10 und 15 Tonnen. Bernet ist mehr als ein guter Kletterer mit handwerklichem Geschick, er hat auch die Statik im Griff: In seinem Büro im aargauischen Stiefeln. Perfekte Arbeit wird verlangt, auch wenns unter der Erde keiner sieht. Die Sicherheitsbestimmungen sind strikt: Nur zu zweit begibt man sich in den Kanal, an gefährlichen Stellen seilt man sich an. Um die Kanaltaufe kommt jedoch keiner herum. «Ein Moment der Unachtsamkeit, und schon fliegt man in die Brühe.» Dass es in der Kanalisation stinke, sei ein Vorurteil. Ins Reich der Grossstadtsagen verweist er Geschichten über Babykrokodile, die die Toilette hinuntergespült werden und – dank Speiseresten zu gefährlicher Grösse angewachsen – in der Kanalisation ihr Unwesen treiben. Übers WC entsorgter Katzensand, Kaffeesatz und Wattestäbchen sind die wahren Ungeheuer. Obwohl es in der Kanalisation nicht viel übler riecht als anderswo, eines stinkt Huggenberger manchmal gewaltig: die rüden Reaktionen von Verkehrsteilnehmern und Anwohnern, die sich durch Kanalunterhaltsarbeiten belästigt fühlen. «Meine Arbeiter werden oft angepöbelt. Dass sie bis zu fünf Stunden täglich zum Wohl aller im Kanal schuften, das geht gerne vergessen», ärgert sich der 49-Jährige. Nach mehr als 20 Jahren kennt Rolf Huggenberger das Zürcher Kanalsystem wie seine Westentasche. Er weiss genau, an welcher Stelle er einsteigen muss, um ans Ziel zu kommen. Wäre er da nicht der prädestinierte Panzerknacker? «Nein, das funktioniert nicht. Obwohl viele Kanäle begehbar sind, haben die Hausanschlüsse einen Durchmesser von maximal 18 Zentimetern. Da passe ich beim besten Willen nicht durch», meint er verschmitzt. ❙ «Wenn was passiert, ist immer der oben schuld.» Rolf Bernet Schwaderloch zeichnet er Pläne, berechnet Kräfteverhältnisse. Oberstes Gebot bei der Arbeit ist die Sicherheit aller. «Anfangs hatten wir nur Seile, nicht mal Klettergurte.» Mittlerweile hat er das Helmobligatorium durchgesetzt. Denn während die Riggermannschaft oben im Dach arbeitet, geht unten der Bühnenaufbau weiter. Zeit ist Geld. Die Arbeit ist gefährlich, aber Angst hat er keine. Respekt schon. Für Leute, die an Selbstüberschätzung leiden, ist der Job nichts. Er sei auch schon durchs Dach getrampt und nur noch an den Armen zwischen den Balken gehangen. «Da steigt das Adrenalin schlagartig. Es gibt Leute, die geben viel Geld aus für ihre Adrenalinschübe, ich brauchs nicht unbedingt», bemerkt er trocken. Er ist stolz darauf, dass in seiner über 20-jährigen Tätigkeit weder er noch einer seiner Leute einen Unfall verursacht haben. «Wenn was passiert, ist immer der oben schuld.» «Als wir mit dem Riggen anfingen, hatten wir noch dieses Heldengefühl, wurden bewundert.» Das hat sich mit den Jahren gelegt. Heute schätzt er an seiner Arbeit, dass ihm niemand reinredet. Er tüftelt gerne, kreiert Neues. Sein Können hat er im Showbusiness perfektioniert, nun werden seine Dienste immer mehr von der Industrie geschätzt, wenns darum geht, kostensparend und ohne Gerüste Installationen vorzunehmen. Das Besondere reizt ihn: «Wenn jemand sagt, das ist unmöglich, dann versuch ichs erst recht.» Sagts, und verschwindet lachend am Seil wieder nach oben. ❙ Ruth Hafen Ruth Hafen Credit Suisse Bulletin 6-<strong>02</strong> 15