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Credit Suisse bulletin, 2002/06

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WEALTH MANAGEMENT TOPICS<br />

Europas Hassliebe zum<br />

Stabilitätspakt steht am Scheideweg<br />

Der Stabilitätspakt setzt die grossen Euro-Staaten unter Spardruck. Jetzt wachsen die Zweifel an<br />

den Defizitvorschriften. Den Stabilitätspakt auszuhöhlen kann sich Euroland nicht leisten.<br />

Ihn zu reformieren schon. Hans-Peter Wäfler, Economic & Policy Consulting, und Rudolf Marty, Investment Research<br />

Foto: Martin Stollenwerk<br />

Es ist kein Tabu mehr, den Stabilitätspakt<br />

offen zu hinterfragen. Dafür gesorgt hat<br />

Romano Prodi. Ausgerechnet er, der als<br />

Präsident der Europäischen Kommission<br />

als Hüter der Verträge amtet, welche die<br />

Europäische Union (EU) zusammenhalten,<br />

bezeichnete diesen Herbst den Stabilitätspakt<br />

in einem Interview als «dumm». Entrüstete<br />

Abgeordnete des EU-Parlaments<br />

bestellten ihn deswegen sofort zu einer Aussprache.<br />

Im gläsernen Parlamentsgebäude<br />

in Strassburg kam es zu einer emotionsgeladenen<br />

Debatte, in der Prodi zu seiner<br />

Meinung stand: «Es wird höchste Zeit, dass<br />

wir uns auch öffentlich zu dem bekennen,<br />

was wir privat äussern.»<br />

Dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt<br />

wankt, ist nicht überraschend. Denn neben<br />

dem kleinen Portugal sind es die grossen<br />

Euro-Länder, die Probleme haben mit den<br />

Haushaltsvorschriften. Weil die Wirtschaft<br />

lahmt, mussten Deutschland, Frankreich<br />

und Italien ihre Defizitschätzungen nach<br />

oben korrigieren. Die Steuereinnahmen sanken,<br />

die Sozialausgaben stiegen, und statt<br />

Fortschritten gab es Rückschritte bei der<br />

Haushaltskonsolidierung. Deutschland und<br />

Frankreich kommen jetzt sogar in Konflikt<br />

mit dem Herzstück des Stabilitätspaktes:<br />

der Defizitobergrenze von drei Prozent des<br />

Bruttoinlandproduktes (BIP).<br />

Die Defizitlimite ist die kritische Marke<br />

Für 20<strong>02</strong> schätzt die EU-Kommission das<br />

Defizit von Deutschland auf 3,8 Prozent<br />

des BIP, dasjenige von Frankreich auf<br />

2,7 Prozent. Gegen Deutschland leitete die<br />

EU-Kommission deshalb das Verfahren für<br />

Defizitsünder ein: Im folgenden Jahr muss<br />

die Budgetvorschrift wieder erfüllt sein,<br />

sonst können die anderen Euro-Länder<br />

«Vor allem die grossen Euro-Länder haben Probleme<br />

mit den Haushaltsvorschriften.»<br />

Hans-Peter Wäfler, Economic & Policy Consulting (rechts), und Rudolf Marty, Investment Research<br />

Sanktionen beschliessen und im Endeffekt<br />

sogar eine Busse verhängen. Damit ist für<br />

Deutschland eingetroffen, was es einst nicht<br />

für möglich gehalten hätte: Es ist nach Portugal<br />

das zweite Mitglied der Europäischen<br />

Währungsunion (EWU), das sich einem Defizitverfahren<br />

zu stellen hat. Portugal verletzte<br />

bereits 2001 die Defizitlimite und muss deshalb<br />

jetzt sparen.<br />

Noch akzeptieren die angeprangerten<br />

Euro-Staaten die Vorgaben des Stabilitätspaktes.<br />

Im politischen Gebälk krachte es in<br />

den letzten Monaten aber heftig. Unvergessen<br />

ist der unverhohlene Anspruch des<br />

französischen Finanzministers Francis Mer,<br />

die Wirtschaft ankurbeln und die Militärausgaben<br />

erhöhen zu wollen – und deshalb<br />

«andere Prioritäten» zu haben als Budgetdisziplin.<br />

Dies brüskierte die Mehrheit der<br />

kleineren Euro-Länder, die in den letzten<br />

Jahren den Haushalt in Ordnung gebracht<br />

hatten und deshalb auch in der jetzigen<br />

Wirtschaftsflaute genügend fiskalpolitischen<br />

Spielraum haben.<br />

Die Debatte über die Fiskalpolitik ist hängig<br />

Die Kontroverse zeigt, dass die Konstruktion<br />

der Währungsunion noch nicht abgeschlossen<br />

ist. Indem die Mitgliedstaaten ihre eigenständige<br />

Geldpolitik aufgaben, verzichteten<br />

sie auf einen Mechanismus, der plötzliche<br />

Störungen der Wirtschaft abfedern konnte.<br />

Dazu bleibt ihnen jetzt noch das Mittel der<br />

Fiskalpolitik. Welche Rahmenbedingungen<br />

dafür gelten sollen, ist aber noch nicht<br />

endgültig geklärt. Prinzipiell gibt es drei<br />

Credit Suisse Bulletin 6-<strong>02</strong> 55

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