Die wilden Berge der Ardèche (Auszug, Blick ins Buch)
Reise- und Wanderführer rund um das Massif du Tanargue in den Cevennen
Reise- und Wanderführer rund um das Massif du Tanargue in den Cevennen
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Familien hatten mehr als fünfzig Glocken – das<br />
war unsere Art von Luxus. Es gab nichts<br />
Schöneres, als zu sehen, wie diese Herde, so<br />
um die 1 000 bis 2 000 Tiere, sich in Bewegung<br />
setzte. Der Hirte blieb oben, bis <strong>der</strong> erste Frost<br />
e<strong>ins</strong>etzte. <strong>Die</strong> Jüngeren aus dem Dorf brachten<br />
ihm abwechselnd sein Essen, oft barfuß,<br />
denn mit Holzschuhen lässt sich nicht gut klettern,<br />
und die guten Schuhe durften nicht verschlissen<br />
werden.<br />
Als im Dorf immer weniger und immer ältere<br />
Menschen wohnten, wollten sie keinen Hirten<br />
mehr für ihre Tiere bezahlen. Da hat dann von<br />
je<strong>der</strong> Familie einer jeweils abwechselnd das<br />
Hirtenamt übernommen. Wenn <strong>der</strong> diensttuende<br />
Hirte ein Signal hören ließ – er blies auf<br />
einem Kuhhorn – dann verließen alle Ziegen<br />
ihre Ställe und versammelten sich auf dem<br />
Dorfplatz, begleitet vom Geblaff <strong>der</strong> Hunde.<br />
<strong>Die</strong>ses rundum gehende Hirtenamt funktionierte<br />
in unserem Dorf so gut, weil hier die<br />
Menschen gut miteinan<strong>der</strong> umgingen. Es gab<br />
viel Nachbarschaftshilfe. Wir haben immer<br />
noch ein System, das Städter nur erstaunen<br />
lassen kann: Wir haben z. B. einen Maulesel<br />
nur zur Hälfte o<strong>der</strong> zu einem Drittel. Warum<br />
sollten wir pro Familie ein Maultier haben,<br />
wenn man es genauso gut mit ein o<strong>der</strong> zwei<br />
Fa milien teilen kann? Wir brauchen es ja nicht<br />
ständig, und so werden die Kosten vermin<strong>der</strong>t.<br />
Heute noch hat das Dorf ein halbes Maultier.<br />
So könnt ihr die Menschen hier auch darüber<br />
reden hören, dass sie ein halbes Schwein<br />
schlachten, was Städter sicher sehr komisch<br />
finden. Aber die meisten Menschen sind hier<br />
jetzt zu alt, um in einem Jahr ein ganzes<br />
Schwein zu essen, darum tun sie sich mit einem<br />
Nachbarn zusammen.<br />
Germa<strong>ins</strong> Weinkeller.<br />
46<br />
Brot backen im renovierten Backhaus von Germain.<br />
Brot und Suppe<br />
Brot wurde bei uns alle vierzehn<br />
Tage gebacken. Wir<br />
hatten unser eigenes Back -<br />
haus, aber im Dorf unten war<br />
nur ein Backofen für alle. Der<br />
Tag, an dem Brot gebacken<br />
wurde, war immer ein Er -<br />
eignis. Im Ofen musste sehr<br />
früh Feuer gemacht werden, damit alle Brote<br />
für zwei Wochen gebacken werden konnten.<br />
Das Brot war unsere Grundnahrung. <strong>Die</strong><br />
Frauen benutzten den Backofen außerdem,<br />
um Kuchen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Leckereien zu backen.<br />
Es konnte passieren, dass <strong>der</strong> Ofen zu früh ausging,<br />
und weil man kein Holz verschwenden<br />
wollte, waren die Backwaren dann eben nicht<br />
ganz durchgebacken. Wir aßen vor allem<br />
Suppe, morgens, mittags, abends. Das war<br />
eine Bouillon, die man auf eine dicke Scheibe<br />
Brot goss. Manchmal wurde „bonbine“ ge -<br />
macht, das waren Kastanien<br />
in Milch o<strong>der</strong> Wein gekocht.<br />
In die Suppe kamen Grau -<br />
pen, Porree, große Stücke<br />
Speck und Gemüse <strong>der</strong> je -<br />
weiligen Jahreszeit.<br />
Wir aßen auch Brot mit<br />
Speck und selbstgemachten<br />
Ziegenkäse, so sparten wir<br />
viel Geld. Getrunken haben<br />
wir nur den Wein aus unserem<br />
eigenen Weingarten,<br />
den „Clinton“ von unveredelten<br />
Rebstöcken, mit<br />
einem ganz be son<strong>der</strong>en Ge -<br />
schmack. Man war <strong>der</strong> Mei -<br />
nung, dass Wasser unbekömmlich<br />
sei.