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GESELLSCHAFT<br />
Ressentiments und eine Anti-EU-Haltung<br />
prägen die polnische Regierungspolitik und<br />
sollen die Schwächen kaschieren. In diesen<br />
Zeiten erscheint Lutz van Dijks Buch. Die<br />
Buchpremiere endet in einer angeregten<br />
Diskussion. Zu einem Eklat kommt es nicht.<br />
Der befürchtete Besuch von polnischen<br />
Neonazis blieb aus. Joanna Ostrowska weist<br />
darauf hin, dass dieses Buch erst das zweite<br />
polnische Buch zum Thema Homosexualität<br />
und NS-Zeit in Polen überhaupt ist. Lutz<br />
van Dijk erkennt einen Hoffnungsschimmer:<br />
„Wichtig ist es nun, Bündnisse zu schließen,<br />
um auch unter widrigen Bedingungen gemeinsam<br />
für Veränderung zu streiten.“<br />
AUSCHWITZ<br />
Etwa 80 Kilometer westlich von Kraków liegt<br />
die Kleinstadt Oświęcim. Über Jahrhunderte<br />
lebten hier Juden und Nichtjuden zumeist<br />
friedlich zusammen. Heute leben keine<br />
Juden mehr in Oświęcim. Oświęcim ist unter<br />
seinem deutschen Namen weltweit bekannt:<br />
Auschwitz. In und um Oświęcim errichteten<br />
die Nationalsozialisten Konzentrationslager.<br />
Das Außenlager Auschwitz-Birkenau steht<br />
als Synonym für den Zivilisationsbruch:<br />
Etwa 1,5 Millionen Menschen wurden hier<br />
ermordet, zumeist Juden wurden mit Zyklon<br />
B „vergast.“ Wer jemals das riesige Gelände<br />
mit den Stacheldrahtumzäunungen, den<br />
Holzbaracken und der Rampe der Selektion<br />
gesehen hat, der wird es nie vergessen. Beim<br />
Anblick der Gaskammern und der Krematorien<br />
erfüllte mich eine tiefe Scham. Am 27.<br />
Januar 1945 rückte die Rote Armee vor und<br />
befreite die wenigen Überlebenden des Vernichtungslagers.<br />
2005 erklärte die UNO den<br />
27. Januar zum internationalen Gedenktag.<br />
Beim Eintritt in das Stammlager von Auschwitz<br />
durchläuft man das Tor mit der zynischen<br />
Aufschrift „Arbeit macht frei.“ Hier befinden<br />
sich die meisten Ausstellungsräume.<br />
In den ehemaligen Baracken wird vor allem<br />
die Judenvernichtung dokumentiert, aber<br />
auch auf andere Opfergruppen hingewiesen,<br />
so zum Beispiel auf die Sinti und Roma. Erst<br />
nach langen Auseinandersetzungen wird<br />
auch an diese Opfergruppe in der Gedenkstätte<br />
Auschwitz angemessen erinnert.<br />
Dass es auch in Auschwitz homosexuelle<br />
Opfer gab, erfährt der Besucher nur, wenn<br />
LUTZ VAN DIJK<br />
er sich die Ausstellungstafeln mit dem von<br />
den Deutschen eingeführten Winkelsystem<br />
genau anschaut. Die KZ-Häftlinge<br />
mussten farbige Winkel nach den von den<br />
Nazis festgelegten Kategorien tragen. Hier<br />
ist auch der rosa Winkel für die schwulen<br />
Häftlinge dokumentiert. Nach polnischem<br />
Forschungstand konnten bislang 77<br />
schwule Opfer dokumentiert werden. Der<br />
Hannoveraner Historiker Rainer Hoffschildt<br />
kommt auf 131. Doch die Forschung zu<br />
den schwulen Opfern in Auschwitz steht<br />
erst am Anfang und natürlich befanden<br />
sich in allen Opfergruppen auch Lesben<br />
und Schwule. Lutz van Dijk war von Anfang<br />
an Mitglied des Hamburger Auschwitz-<br />
Komitees, das sich um Bildungsangebote<br />
und die Erinnerung an den Holocaust<br />
bemüht. Bereits 1989 reiste er mit einer<br />
Gruppe schwuler Männer nach Auschwitz.<br />
FOTO: B. NIENDEL<br />
Seit einiger Zeit bemüht er sich um das<br />
Andenken an die homosexuellen Opfer in<br />
Auschwitz und steht im Austausch mit<br />
der Gedenkstätte. Im Oktober 2017 bot<br />
er erstmals den Guides der Gedenkstätte<br />
eine freiwillige Weiterbildung zum Thema<br />
an. Trotz der Tabuisierung des Themas<br />
fanden sich mehr als fünfzig Guides ein.<br />
ERINNERUNGSPOLITIK<br />
Im Zentrum der nationalsozialistischen<br />
Vernichtungspolitik stand<br />
die Ermordung der Juden Europas.<br />
Etwa sechs Millionen Juden wurden<br />
ermordet. Doch es gab auch weitere<br />
Opfergruppen, so die Sinti und<br />
Roma. Des Weiteren waren neben<br />
anderen auch Homosexuelle betroffen.<br />
Nach heutigem Forschungsstand<br />
wurden etwa 5.000 bis 10.000 Homosexuelle<br />
in Konzentrationslager verbracht.<br />
Etwa 2/3 überlebten die Qualen nicht. Nur<br />
wenige Historiker, wie zum Beispiel Dr.<br />
Günter Grau, forschten zur Verfolgung von<br />
Schwulen im NS, die die Nazis mit dem<br />
1935 verschärften §175 intensivierten.<br />
Die Historikerin Dr. Claudia Schoppmann<br />
machte durch ihre Forschung öffentlich,<br />
dass auch Lesben von Verfolgung betroffen<br />
waren. Manche, die nur auf die unterschiedliche<br />
Qualität der Verfolgung von<br />
Lesben und Schwulen verweisen, laufen<br />
Gefahr, damit die Verfolgung von Lesben<br />
im NS zu ignorieren. Nichtsdestotrotz<br />
wurde die Verfolgung von Homosexuellen<br />
im Nationalsozialismus lange Zeit verschwiegen.<br />
Nicht zuletzt deshalb, weil der<br />
§175 auch nach 1945 in Ost (wenngleich<br />
weit kürzer) und West weiter angewandt<br />
wurde. Viele Gedenkstätten und -orte in<br />
Deutschland weisen mittlerweile auf die<br />
Verfolgung der Homosexuellen hin. Der<br />
Deutsche Bundestag hat im vergangenen<br />
Jahr endlich die nach 1945 verfolgten<br />
Homosexuellen rehabilitiert und entschädigt.<br />
Der späte Zeitpunkt zeugt vom<br />
schwierigen Umgang mit der Thematik.<br />
Seit 1996 wird im Deutschen Bundestag<br />
am Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus<br />
erinnert. Die lesbischen<br />
und schwulen Opfer waren bislang kein<br />
Thema. Eine von Lutz van Dijk initiierte<br />
Petition möchte dies ändern.<br />
Der Autor Bodo Niendel reiste im<br />
Oktober 2017 für zehn Tage mit dem<br />
Hamburger Auschwitz-Komitee nach<br />
Oświęcim und Kraków.