_flip_joker_2018-02
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KUNST KULTUR JOKER 13<br />
Sich verschließende Oberflächen<br />
Hans-Christian Lotz zeigt Digitales und Analoges im Kunstverein Freiburg<br />
Soll man das persönlich<br />
nehmen? Eben noch zeigte<br />
der Bildschirm eine Animation<br />
von Kugeln, die sich zu<br />
immer kleiner werdenden Flächen<br />
zusammensetzen, doch<br />
jetzt ist die Bildfläche schwarz<br />
bis auf den flirrenden Balken<br />
in künstlichen Farben, der<br />
sich unaufhörlich verändert.<br />
Hans-Christian Lotz‘ Arbeiten<br />
scheinen ganz gut ohne<br />
den Betrachter auszukommen.<br />
Erst, wenn man sich wieder<br />
vom Bildschirm entfernt, beginnt<br />
das Spiel von neuem und<br />
dann entsteht auch ein Dialog<br />
zwischen den gläsernen Fassadenelementen,<br />
die neben dem<br />
Bildschirm in einem ganz eigenen<br />
Rhythmus hängen. In<br />
einer früheren Ausstellung<br />
hatte Lotz elektronische Schiebetüren<br />
im Ausstellungsraum<br />
installiert, die sich öffneten,<br />
sobald man den Bewegungsmelder<br />
auslöste.<br />
In Hans-Christian Lotz‘<br />
Werk wechselt sich Digitales<br />
mit Analogem ab. So entstehen<br />
die seltsamen grafischen<br />
Muster, indem Lotz Daten mit<br />
Chiffrierprogramen bearbeitet.<br />
Wenn etwas noch daran<br />
erinnert, dass Hans-Christian<br />
Lotz ursprünglich von der<br />
Malerei kam und bei Michael<br />
Schau ohne Titel<br />
Krebber an der Städelschule<br />
auch zwei Jahre bei einem Maler<br />
studiert hat, dann sind es<br />
die Oberflächen seiner Arbeiten.<br />
Unbesehen, ob es sich um<br />
Vitrinen handelt, Bildschirme<br />
oder eben die gläsernen Fassaden,<br />
die von einer mittelständischen<br />
Bank oder einer Versicherung<br />
stammen könnten,<br />
immer sind die Flächen glatt<br />
und ihr Format ähnelt Bildern.<br />
Das Glas reflektiert nicht nur<br />
den Betrachter, es macht auch<br />
sichtbar, dass darunter noch<br />
etwas anderes liegt. So wie<br />
die Leinwand meist unter der<br />
obersten Schicht weitere aufweist.<br />
Vor allem die vier Vitrinen,<br />
die auf der Galerie des Kunstvereins<br />
stehen, sind Verweise<br />
auf ein Ausstellen, das mit<br />
Modellen arbeitet. Doch auch<br />
hier herrscht Hermeneutik. In<br />
einer der Vitrinen wird verdeutlicht,<br />
wie Leitungen in<br />
Fußbodenheizungen verlegt<br />
werden, in einer anderen finden<br />
sich Keramikobjekte neben<br />
Holzelementen, die Teile<br />
einer so genannten T-Shirt-<br />
Foto: Marc Doradzillo<br />
Kanone sind, mit der bei Großveranstaltungen<br />
T-Shirts in die<br />
Menge geschleudert werden.<br />
Hans-Christian Lotz, der<br />
1980 in Hamburg geboren<br />
wurde, macht keine Kunst, die<br />
sich von selbst versteht, doch<br />
verzichtet zugleich auf vermittelnde<br />
oder sprechende Elemente.<br />
So ist die Schau titellos<br />
geblieben, anderswo erschien<br />
nicht einmal ein Pressetext.<br />
Der Berliner Künstler befasst<br />
sich unter anderem mit Fraktalen,<br />
digitalen Bildgebungsverfahren<br />
und Verschlüsselungsprogrammen,<br />
die eine<br />
seltsame Retro-Ästhetik generieren.<br />
Was vom Künstler<br />
beeinflusst ist, was durch die<br />
Programme erzeugt wird, ist<br />
für den Laien nur schwer zu<br />
durchschauen. Sind die hakenkreuzförmigen<br />
Muster, die<br />
unter den Darstellungen von<br />
Fraktalen auftauchen, gewollt<br />
oder ein untergründiges Muster?<br />
Nicht grundlos jedenfalls<br />
hat Hans-Christian Lotz für<br />
eine seiner drei Chiffrierungsarbeiten<br />
ein Reenactment der<br />
Süddeutschen Zeitung von<br />
den NSU-Prozessen als Ausgangsmaterial<br />
gewählt. Von<br />
den Schauspielern, die vor<br />
Mikros am Tisch die Texte der<br />
Prozessbeteiligten sprechen,<br />
ist auf dem Video nichts mehr<br />
zu erkennen. Artefakte, wie<br />
man sie von Bildbearbeitungen<br />
kennt, wie Strudel oder Moiréeffekte<br />
fließen über den Bildschirm.<br />
Doch das muss man<br />
wissen. Lotz‘ Kunst erklärt<br />
sich nicht, sie fügt dieser digitalen<br />
Wirklichkeit eine weitere<br />
Verunsicherung hinzu.<br />
Hans-Christian Lotz. Kunstverein<br />
Freiburg, Dreisamstr.<br />
21. Dienstag bis Sonntag 12<br />
bis 18 Uhr, Mittwoch 12 bis 20<br />
Uhr. Bis 11. März.<br />
Annette Hoffmann<br />
Dunkelheit voller Licht und Schatten<br />
Die Nacht. Alles außer Schlaf – Sonderausstellung im Museum für Kommunikation in Berlin<br />
Für die meisten Menschen<br />
erscheint auch heute noch die<br />
Nacht in ihrer tiefen Dunkelheit<br />
als Mysterium und beängstigende<br />
Enge, die lediglich<br />
zum Schlafen genutzt wird.<br />
Aber was geschieht, wenn wir<br />
unsere Aufmerksamkeit einmal<br />
vollkommen in die Dunkelheit<br />
lenken?<br />
Die Welt erscheint in einem<br />
neuen Licht, welchem sich das<br />
Museum für Kommunikation<br />
in Berlin in seiner Sonderausstellung<br />
„Die Nacht“ bis zum<br />
18. Februar widmet. In der<br />
Nacht eröffnen sich neue Räume,<br />
wie die vier Stationen in<br />
der Ausstellung darstellen.<br />
„Sternenklar. So finster<br />
die Nacht?“ Die Ausstellung<br />
beginnt in vollkommener Finsternis,<br />
welche sich wie in prähistorischen<br />
Zeiten über die<br />
Welt legt. Doch jenes Dunkel<br />
ist nicht unbevölkert und so<br />
erwartet die Besucher ein Catwalk,<br />
der nachtaktive Tiere<br />
beherbergt und Nachthimmel<br />
durch Mythen, Gottheiten und<br />
Sinnzuschreibungen wie Sternbilder<br />
zu erklären versucht.<br />
„Stille Nacht. Was<br />
in der Dunkelheit<br />
entsteht“. Die Nacht<br />
ist eine Grenzerfahrung,<br />
die unsere<br />
Sinne bis auf‘s Äußerste<br />
fordert und<br />
strapaziert. Sie kann<br />
bedrücken und beängstigen,<br />
ebenso<br />
sehr wie inspirieren<br />
und leiten. Viele<br />
kreative Menschen<br />
werden erst in der<br />
Nacht aktiv. Zu beobachten<br />
ist das in<br />
musikalischen und<br />
poetischen Kompositionen<br />
und Kunstwerken,<br />
Ritualen<br />
und kulturellen Lichterfesten,<br />
welche<br />
die Nacht auf einer<br />
neuen Ebene präsentieren<br />
und gestalten.<br />
Eigene Dämonen zu entdecken<br />
kann Angst machen, im<br />
sogenannten nächtlichen Gedankenkarussell<br />
können die<br />
Besucher ihre eigene Fahrt<br />
zwischen Realität und Traum<br />
erleben.<br />
Gedankenkarussell: Installation von Bill Domonkos<br />
„Pausenlos. Die Nacht als<br />
Arbeitszeit“. Die Erfindung<br />
des künstlichen Lichts hat eine<br />
neue Arbeitswelt eröffnet. Die<br />
Nachtarbeit ist mehr denn je<br />
in der Mitte der Gesellschaft<br />
angekommen; die Dunkelheit<br />
© Museum für Kommunikation, Berlin Foto: Philipp Jester<br />
auf eine andere Art und Weise<br />
nutzen und nicht mehr nur<br />
als lebendige Grenze ansehen.<br />
Neue Arbeits- und Lebensrhythmen<br />
entstehen. Auch das<br />
private Leben der sogenannten<br />
„pausenlosen Gesellschaft“<br />
wird beleuchtet und<br />
diskutiert.<br />
„Zwielicht. Salon,<br />
Bordstein, Club.“<br />
Nachtschwärmer geben<br />
sich den Verlockungen<br />
des Nachtlebens<br />
hin. Es sind<br />
heiße Verlockungen,<br />
die uns die Nacht bietet.<br />
Zwischen Salons,<br />
Clubs und Bordstein<br />
wird aufgeklärt, wie<br />
sich die Szene der<br />
Nachtschwärmer<br />
in den letzten Jahren<br />
entwickelt hat.<br />
Auch die Dunkelheit<br />
besitzt Schatten;<br />
Schattenseiten, die<br />
Gewalt, Prostitution<br />
und Verbrechen beherbergen.<br />
Die Ausstellung<br />
„Die Nacht“<br />
ist eine lohnenswerte<br />
Grenzerfahrung, die uns die<br />
Dunkelheit voller Licht und<br />
Schatten präsentiert.<br />
Museum für Kommunikation,<br />
Berlin. Bis 18. Februar <strong>2018</strong>.<br />
Infos: www.mfk-berlin.de