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THEATER KULTUR JOKER 5<br />

Eine selten schräge Show<br />

Die Freiburger „Good Company“ feierte mit dem Musical „Yeast Nation – The Triumph of Life“ von Greg Kotis<br />

und Mark Hollmann im Crash Europa-Premiere<br />

Eine Rockoper über Einzeller<br />

vor 3 Milliarden Jahren – das ist<br />

schon ziemlich verrückt. Zumal<br />

diese Mikroorganismen in weißen<br />

Togen stecken und voll epischer<br />

Inbrunst über ihr Leben,<br />

Lieben und Sterben erzählen.<br />

„Yeast Nation – The Triumph<br />

of Life“ heißt das bizarre Musical<br />

der beiden Tony-prämierten<br />

Autoren Greg Kotis und Mark<br />

Hollmann, uraufgeführt wurde<br />

es 2007 in Alaska. Jetzt feierte<br />

die Freiburger Musiktheatergruppe<br />

„Good Company“ damit<br />

Europa-Premiere und zeigte das<br />

Ganze als griechische Evolutions-Tragödie<br />

im Crash, dessen<br />

schwarz getünchter Kellersaal<br />

stickig-schummrige Ursuppen-<br />

Atmosphäre produziert.<br />

Es ist die zweite Produktion<br />

der „Good Company“: Letztes<br />

Jahr produzierte das fast vierzigköpfige,<br />

freie Ensemble<br />

um den Regisseur und musikalischen<br />

Leiter Rafael Orth<br />

schon das Musical „Urinetown“<br />

von Kotis und Hollmanns<br />

– eine mitreißende und<br />

beeindruckende Inszenierung<br />

und mit sechzehn ausverkauften<br />

Vorstellungen ein fulminantes<br />

Debüt. Zu „Yeast Nation“<br />

holte man noch mehr Profis<br />

ins Boot, im März <strong>2018</strong> gastiert<br />

die Truppe damit im<br />

Hamburger Sprechwerk.<br />

So frech und<br />

politisch wie „Urinetown“<br />

ist dieses Musical<br />

nicht und auch die<br />

meisten von der Live-<br />

Band sehr versiert begleiteten<br />

Songs sind<br />

ein gängiger, wenn<br />

auch schmissiger Mix<br />

aus Rock und Pop<br />

à la „Hair“, „Rocky<br />

Horror Picture Show“<br />

oder „Jesus Christ Superstar“.<br />

Doch es gibt<br />

sie: Lieder mit Prägnanz<br />

und Ohrwurmqualität.<br />

Ein tolles Bühnenspektakel<br />

ist „Yeast<br />

Nation“ aber unbedingt:<br />

Mit energiegeladenen,<br />

komplexen<br />

Choreografien, witzigen<br />

Regieideen und<br />

ironischen Brüchen<br />

– vor allem aber mit<br />

einem ambitionierten<br />

und quicklebendigen<br />

Ensemble (Co-Regie:<br />

Juliane Hollerbach. Übersetzung<br />

Dialoge: Rafael Orth).<br />

Dabei changiert die Geschichte<br />

im launigen Spagat zwischen<br />

Königsdrama und fantastischer<br />

Manuel Gyarmati-Buchmüller als (intriganter<br />

Königsberater) Jahn der Weise Foto: A. Goebel<br />

Comedy. Überdimensionierte<br />

Aquarium-Steinskulpturen zeigen<br />

den Meeresgrund (Bühne:<br />

Stephanie Breidenstein), eine<br />

blinde Seherin mit grauem Zulderhaar<br />

beschwört den<br />

Untergang, während<br />

Jahn der Älteste und<br />

sein Volk die Hefe-<br />

Hymne „You Are My<br />

Children“ schmettern.<br />

Dabei sind die guten<br />

Zeiten endgültig vorbei:<br />

Die Salzvorräte<br />

gehen zu Ende, es<br />

herrscht Hunger. „Vermehret<br />

euch nicht,<br />

steiget nicht auf!“ ordert<br />

der rauschebärtige<br />

Patriarch, beides hat er<br />

unter Todesstrafe verboten.<br />

Deswegen lässt er<br />

dann auch die Membran<br />

seines Sohnes<br />

platzen, lustig flattern<br />

dessen rote Plasmablättchen<br />

durch die<br />

Luft. Die Folge sind<br />

Rebellion, Intrigen<br />

und Hochverrat – und<br />

natürlich gibt es auch<br />

noch eine dramatische<br />

Liebesgeschichte.<br />

Denn Liebe und Sehnsucht<br />

nach dem Licht<br />

– das sind zwei vollkommen<br />

neue und revolutionäre Gefühle<br />

für diese Yeasts. Die sind<br />

ansonsten ganz normale Menschen<br />

mit Eigentümlichkeiten:<br />

Lecken Specki-Salzkristalle,<br />

schlafen in Schlupfwinkeln und<br />

heißen alle Jahn. An ihrem Untergang<br />

geht kein Weg vorbei,<br />

gnadenlos dreht die Uhr des<br />

Lebens weiter – wer sich nicht<br />

anpasst und verändert, ist blitzschnell<br />

Vergangenheit.<br />

Ein Dilemma: Bleibt alles<br />

wie es ist, werden die Yeasts<br />

verhungern – verlassen sie die<br />

vertrauten Gefilde wie Freiheitskämpfer<br />

Jahn der Zweitälteste,<br />

werden sich andere<br />

Kreaturen ihre Welt einverleiben.<br />

Hier sind es fleischfressende<br />

Schlangenwesen in roten<br />

Second-Skin-Anzügen, die aus<br />

jenem grünen Schwabbel-Mock<br />

weit oben auf dem Wasser entstanden<br />

sind. Zu ernst muss<br />

man dieses Wirrwarr aber<br />

nicht nehmen, stehen hier doch<br />

eindeutig Musik, Spaß und Ironie<br />

im Mittelpunkt. So gibt es<br />

lustige Schwarzlicht-Kämpfe,<br />

schnüffelnde Putzfrauen und<br />

sogar ein Biolehrbuch aus der<br />

Zukunft. Eine selten schräge<br />

Show und eine beeindruckende<br />

Ensembleleistung.<br />

Weitere Aufführungen: 15./<br />

16./17./22./23./24. Februar, jew.<br />

20 Uhr und 18. Februar 17 Uhr,<br />

im E-Werk Freiburg.<br />

Marion Klötzer<br />

Sehnsucht nach Freiheit und Heimat<br />

Das Mondo Musiktheater zeigt das Musical „Café Europa“ im Theatersaal des Augustinums in Freiburg<br />

Vor zehn Jahren wurde das<br />

studentische Mondo Musiktheater<br />

anlässlich des 550-jährigen<br />

Bestehens der Universität<br />

Freiburg gegründet, seitdem<br />

produziert ein wechselndes<br />

Ensemble unter professioneller<br />

Leitung jährlich eine Show mit<br />

Musik, Tanz und Theater. Wer<br />

Gelegenheit hatte, einige Produktionen<br />

zu sehen, weiß um<br />

die Güte der Arbeit der Regisseurin<br />

Stephanie Heine und des<br />

musikalischen Leiters Dominik<br />

Hormuth: Selten bekommt<br />

man bei einem Laien-Musical<br />

soviel sprühende Kreativität<br />

und Dynamik zu sehen, zumal<br />

Storyline, Charaktere, Texte,<br />

Arrangements und Choreografien<br />

dieses Mal von der Truppe<br />

selbst entwickelt wurden.<br />

Tresen, Sofa, Bistro-Bestuhlung<br />

– viel mehr Bühnenbild<br />

braucht es nicht beim neuen<br />

Musical „Café Europa“, das jetzt<br />

in der ausverkauften Mensabar<br />

Premiere feierte. Eingebunden<br />

in eine lustige Rahmenstory<br />

geht es hier um Europa, um<br />

Grenzen und Träume, Politik<br />

und Kapitalismus, vor allem<br />

aber um ganz unterschiedliche<br />

junge Menschen, die sich begegnen.<br />

Und wo wäre solch Aufeinandertreffen<br />

von Meinungen<br />

und Kulturen schlüssiger als in<br />

einem Café?<br />

Eben noch beseitigt die resolute<br />

Bedienung Hanna (Marie<br />

Lemor) das Vorabend-Chaos,<br />

während das konservative Bobbele<br />

Joschi (Philipp George)<br />

und Weltenbummler Gianni<br />

(Juy Chu Chak) über Heimat<br />

und Espresso schwadronieren,<br />

da wirbelt die aufgekratzte<br />

Anja aus Tschechien (Nora Marieke<br />

Pfützner) herein, die hier<br />

mit ihrem One-Night-Stand<br />

verabredet ist. Sie wird im Laufe<br />

dieses turbulenten Abends<br />

nicht die einzige bleiben, hat<br />

jener geheimnisvolle Hatch<br />

doch auch noch Jenna aus England,<br />

Jannika aus Schweden,<br />

Anaïs aus Frankreich, Joya aus<br />

Argentinien und Ivona aus Rumänien<br />

(Pia Rafalski) per SMS<br />

ins Europa-Café bestellt. Zur<br />

Freude der Barkeeperin und<br />

ihrem Chef Joe (Nassrat Rogh),<br />

die nun Zeugen eines emotionsgeladenen<br />

Spektakels werden.<br />

„Be my friend“ trällert Anja<br />

den Facebook-Song aus dem<br />

Musical „Edges“ mit ihren neuen<br />

Freunden und amüsiert sich<br />

köstlich über diese Freiburger,<br />

die mit eigenen Kaffeebechern<br />

barfuß durch die Innenstadt<br />

schlendern.<br />

Sechs junge Frauen aus ganz<br />

Europa – das ist Stoff genug<br />

für Zickenkrieg, wilde Diskussionen,<br />

Streit und Versöhnung,<br />

vor allem aber für tolle<br />

Songs und mitreißende Choreografien,<br />

von der Live-Band<br />

(Dominik Hormuth, Johannes<br />

Willrett und Heiko Schulze)<br />

mit viel Schwung begleitet. So<br />

gibt es nicht nur komplex arrangierte<br />

Medleys und Lieder<br />

aus „Cabaret“, von Weill, Piazzolla<br />

oder Bernstein, sondern<br />

auch selbstgeschriebene<br />

Songs, Raps, Slam Poetry- und<br />

Kabarett-Texte. Auch eine besonders<br />

schöne Europa-Hymne<br />

ist dabei.<br />

Überhaupt sind Niveau und<br />

Energie beeindruckend, die<br />

Rollen nicht nur kongenial besetzt,<br />

sondern auch mit allerlei<br />

kulturellen Besonderheiten und<br />

Macken ausgestattet: Susanne<br />

Reinfeld gibt ihre Miss Brexit<br />

als ebenso verschnupfte wie hysterische<br />

Lady, Sophie Hänsler<br />

ist ein skandinavischer Hippie-<br />

Abba-Verschnitt mit Klampfe,<br />

Angelina Marina Hamacher<br />

eine hinreißend-versoffene<br />

Französin, Carolina Attoumani<br />

Diaz spielt Joya mit Gefühl und<br />

Temperament.<br />

Dazwischen gibt es originelle<br />

Beatboxing- und Tanzeinlagen.<br />

Als dann noch der letztjährige<br />

Studierenden-Kleinkunstpreisträger<br />

Lukas Mak als Hans aus<br />

Tennessee auftaucht und seinen<br />

Trump-eingefärbten Senf<br />

zur europäischen Vielfalt gibt,<br />

ist längst klar, dass es hier nicht<br />

um Hatch geht, sondern um die<br />

Sehnsucht nach Freiheit und<br />

Heimat. Beides gilt es zu verteidigen!<br />

- Ein tolles Musical –<br />

und eine musikalische Liebeserklärung<br />

an ein Europa ohne<br />

Grenzen.<br />

Noch am 2. Februar, 19 Uhr,<br />

im Theatersaal des Augustinums,<br />

Freiburg.<br />

Marion Klötzer

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