E_1929_Zeitung_Nr.057
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Die kleinen Geschichten<br />
Das Ende eines berühmten Clowns.<br />
In letzter Zeit erlebte Paris mehrere gewaltige<br />
Beerdigungen. Den Marschällen<br />
Foch und Sarrail wurde unter grosser Prunkentfaltung<br />
das letzte Geleite gegeben und<br />
dann erwies man dem amerikanischen Botschafter<br />
Myron Herrick, der sich beim Leichenbegängnis<br />
Fochs ein© Lungenentzündung<br />
geholt hatte, die dem schon seit längerer Zeit<br />
kränkelnden Diplomaten den Tod brachte,<br />
die letzte Ehre mit grossem Trauengepränge.<br />
So übersah man das Begräbnis eines Mannes,<br />
der einst zu den Lieblingen des Pariser<br />
Publikums gehört hatte, des Zirkusclowns<br />
Desire Bijou, den tout Paris kannte.<br />
Bijou hatte glanzvolle Tage gesehen und<br />
sich bis zum Eigentümer eines Zirkusunternehmens<br />
emporgearbeitet. Dann aber verliess<br />
ihn sein Glück, er (geriet in Not und<br />
seine letzten Lebenstage verbrachte er in einem<br />
alten, verfallenen Wohnwagen, dem<br />
einzigen Ueberrest aus seiner ruhmreichen<br />
Zirkuszeit. Der kalte Winter, den er in dem<br />
Wohnwagen überstehen musste, wurde ihm<br />
zum Verhängnis. Er erkrankte ernstlich und<br />
vor kurzem verschied er. Zu dem Leichenbegängnis<br />
erschienen alle Pariser Clowns,<br />
mit den bekannten Fratellini an der Spitze.<br />
Sie geleiteten Büou zu seiner letzten Ruhestätte<br />
auf dem Friedhof in Pantin. Am Grabe<br />
wurden warme Nachrufe gehalten und der<br />
älteste der Brüder Fratellini, der sich väterlich<br />
des bitter weinenden Töchterchens des<br />
Verstorbenen annahm, sagte in seinem gebrochenen<br />
Italienisch-Französisch, dass er<br />
eine grosse Vorstellung veranstalten werde,<br />
deren Reinertrag der Tochter ßijous überwiesen<br />
werden solle. Auch andere Artisten<br />
machten ähnliche edelmütige Versprechungen.<br />
Das Bett des Borgia.<br />
Im Laden eines italienischen Antiquitätenhändlers<br />
stand ein Bett, das schwere Portieren<br />
und einen Baldachin hatte. Es sollte<br />
das Bett des Cäsare Borgia sein. Ein reicher<br />
Engländer entdeckte und kaufte es, und Hess<br />
es im Fremdenzimmer seiner Villa in Florenz<br />
aufstellen.<br />
Als erster zog ein befreundeter Sommergast<br />
ein, aber am nächsten Tage fand<br />
ihn der Diener, der das Frühstück bringen<br />
wollte, tot auf. Da nichts fehlte, nahm<br />
man Herzschlag als Todesursache an.<br />
Kurz darauf erkrankte die Frau des Villenbesitzers.<br />
Die Pflegerin, die der Dame des<br />
Hauses stets erreichbar sein sollte, wurde im<br />
Fremdenzimmer einquartiert. Aber auch das<br />
junge Mädchen war am anderen Morgen tot.<br />
Der Engländer entschloss sich nun, Detektive<br />
zu beauftragen. Einer der beiden Beamten<br />
wollte die Nacht in dem mysteriösen<br />
Zimmer zubringen. Am andern Morgen lag<br />
er tot im Bette.<br />
Nun wurde das Zimmer abgeschlossen, und<br />
man verdächtigte allmählich den Diener des<br />
Hauses. Der aber wollte sich rehabilitieren,<br />
legte sich in das Bett und starb ebenfalls.<br />
Endlich Hess nun der Besitzer das Prunkbett<br />
von einem Arzt untersuchen. Und es<br />
stellte sich heraus, dass die Portieren und die<br />
Polster von einer giftigen Substanz durchtränkt<br />
waren, die sich durch die Körperwärm©<br />
auflöste und sich in Dämpfe verwandelte.<br />
Es war tatsächlich das Bett Cäsare<br />
Borgias, mit dem er seine Feinde unschädlich<br />
machte, nachdem er sie fürstlich bewirtet<br />
hatte... Das Bett soll viele Jahre in kalten<br />
Lagerräumen gestanden haben. Es ist kein<br />
Geheimnis, dass man in der Renaissancezeit<br />
Gifte von derartiger Wirkung zu mischen gewusst<br />
hatte.<br />
Vorsicht beim Aulstehen!<br />
Unser Zeitalter der psycho-, physio-, biound<br />
technologischen Erkenntnisse lässt nicht<br />
mehr viel Gutes an den Gebräuchen der<br />
Menschen, wie sie von alters her geübt wurden.<br />
Aber auch moderne Sitten kommen dabei<br />
nicht immer gut weg. Das beweist die<br />
Theorie eines Amerikaners, Dr. Williams,<br />
seines Zeichens Sportlehrer an der Columbia-Universität.<br />
Dr. Williams wettert laut gegen den Unfug<br />
der Art und Weise, wie man heute aufsteht.<br />
«Die beste Methode, einen Tag falsch<br />
zu beginnen, besteht darin, dass man sich<br />
durch den Wecker aus dem Schlaf hauen<br />
lässt, dann unter die kalte Dusche rennt und<br />
schliesslich eine Serie unnützer, wenn nicht<br />
gar schädlicher Kapriolen schlägt, «Freiübungen»<br />
genannt! Allein durch dieses unsinnige<br />
Aufstehen machen sich die modernen<br />
Völker zu einer Rasse nervöser Wracks.<br />
Während des Schlafes sind sämtliche Körperfunktionen,<br />
so der Herzschlag und die<br />
Atmung, auf ein Minimum reduziert. Sich<br />
durch eine Alarmglocke wecken lassen, heisst<br />
den Organen einen wahren Peitschenhieb<br />
versetzen. Der Wecker haut uns buchstäblich<br />
zum Bett hinaus. Kalte Bäder bedeuten<br />
nicht weniger brutale Peitschenhieb© für andere<br />
Organe. Alle die angeblich anregenden<br />
und der Gesundheit zuträglichen Freiübungen,<br />
die zudem noch unangenehm empfunden<br />
werden, sind dumm, überflüssig und künstlich<br />
und ihr© Wirkung steht in direktem Gegensatz<br />
zu den Anforderungen der Zweck«<br />
mässigkeit und Wissenschaft.»<br />
«Der Grund, weshalb man einen Wecker<br />
notwendig hat, ist der, dass man zu spät<br />
schlafen geht. Wir leben überhaupt in einem<br />
Zeitalter, in dem man sich um so fortschrittlicher<br />
glaubt, 3© mehr man nutzlos herumrennt.<br />
Natürlich ist das Unsinn. Höchstens<br />
«Illiteraten der Körperpflege>, di© ihre Muskeln<br />
sonst gar nie gebrauchen würden, können<br />
von Freiübungen etwas profitieren. Aber<br />
auch dann noch wäre es viel gesünder,<br />
zweckmässiger und wirksamer, einfach zu<br />
Fuss ins Bureau zu gehen.»<br />
45,000 Kilometer im ältesten Auto.<br />
Kürzlich beendeten zwei Italiener einen<br />
Raid von 45,000 Kilometer, den sie mit einem<br />
32jährigen Auto bewältigt haben. In einem<br />
Interwiev erklärten di» sonderbaren Rekordhalter<br />
kurz vor ihrem Ziel einem österreichischen<br />
Journalisten:<br />
«Unser vierräderiger Freund wurde im<br />
Jahre 1897 geboren, steht also in dem für<br />
ein Auto sicherlich bemerkenswerten Alter<br />
von zweiunddreissig Jahren. Und doch wird<br />
dieses Auto in wenigen Tagen einen ungewöhnlichen<br />
Rekord geschlagen haben. Wenn<br />
wir Rom erreicht haben werden, sind es gerade<br />
45,000 Kilometer, die wir mit ihm zurückgelegt<br />
haben. 45,000 Kilometer, allerdings<br />
in fast zwei Jahren. Aber betrachten' Sie unser<br />
braves Auto einmal näher und sagen Sie<br />
dann, ob das nicht eine Leistung ist.»<br />
Ich unterziehe das Wunderauto also einer<br />
Besichtigung und muss schliesslich beistimmen.<br />
Mit diesem Auto wäre ich nicht einen<br />
einzigen Kilometer weit gekommen. Dann<br />
lasse ich die beiden merkwürdigen Weltreisenden<br />
— denn es sind zwei, neben Gaudenzio<br />
Uccelli noch sein Begleiter Elio Jorietti<br />
— erzählen. Wie ihr Plan zu einer<br />
Weltreis© entstand? Es war im September.<br />
1927, da (bestach sie die Idee, gerade mit diesem<br />
Auto einen neuen Rekord aufzustellen«<br />
Und am Lago Maggiore begannen sie kurz<br />
darauf ihren Trip durch drei Kontinente. Den<br />
ersten Defekt gab es sofort, wenige Meter<br />
von der Garage entfernt. Aber es war nicht<br />
viel los. Der Wind wehte nur etwas stärker<br />
und der Motor hatte nicht die Kraft, den<br />
Wagen vorwärts zu treiben. Also fuhr er<br />
rückwärts und das war doch nicht beabsichtigt.<br />
So begann die Reise entgegen dem Sprichwort,<br />
dass der erste Kilometer rasch erledigt<br />
wird, der Weg sich aber dann ziehe. Denn<br />
später ging es ganz flott, zuerst Italien, dann<br />
Spanien. Unbedeutende Zwischenfälle: einmal<br />
fiel das Auto in einen Fluss und musste<br />
von dort mit Müh© wieder auf die Strasse<br />
gebracht werden. Interessant wurde die<br />
Reise in Marokko, wo das Gefährt durch Gebiete<br />
schaukelte, in denen noch gekämpft<br />
wurde und wo man auch seinen Unterhalt<br />
nicht mehr durch den Verkauf von Ansichtskarten<br />
verdienen konnte. Denn was fragen<br />
kämpfende Soldaten nach Ansichtskarten und<br />
Autorekorden? So ging es der Küste des<br />
Mittelländischen Meeres entlang durch Afrika,<br />
dann wurde nach Asien übergesetzt. Hier<br />
kam der grosse Eklat: In Anatonen, nachdem<br />
die Reisenden vorher die heiligen Orte<br />
von Jerusalem besichtigt hatten, stahlen<br />
Räuber ihnen bei Nacht nicht bloss Gepäck<br />
und das karge Reisegeld, sondern auch noch<br />
alle beweglichen Teile des kostbaren Autos.<br />
Aber die Ansichtskarten halfen weiter. Sie<br />
kamen nach Europa, Sofia, Budapest, nach<br />
Wien. Und setzten die Reise nach Deutschland<br />
fort, immer nach der Devise, dass ein<br />
Wegkilometer gerade zwei Lire für Benzin<br />
und Verpflegung der Reisenden kosten dürfe.<br />
Dann kam England an die Reihe, Frankreich.<br />
In London gab es ein Reneontre mit einer<br />
Strassenbahn, die das greise Auto nicht achten<br />
wollte und einen Zusammenstoss provozierte.<br />
In Calais aber wurde das älteste<br />
Auto der Welt geehrt: Ein Herr, der das<br />
Zweitälteste besass, begleitete in diesem die<br />
Reisenden bis zum Kanal.<br />
Ueber die Schweiz ging es dann nach Italien<br />
zurück.<br />
Saxophone auf dem laufenden Band.<br />
Alle 40 Sekunden wird in den Vereinigten<br />
Staaten ein neues Saxophon fertiggestellt. Im<br />
vergangenen Jahr betrug die Produktion<br />
788,400 Stück, und man erwartet, dass man<br />
sie in allernächster Zeit zumindest verdreifachen,<br />
wenn nicht vervierfachen kann. Gott<br />
behüte uns!