E_1929_Zeitung_Nr.107
E_1929_Zeitung_Nr.107
E_1929_Zeitung_Nr.107
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
N° 107 — <strong>1929</strong> AUTOMOBIL-REVUE<br />
grfisst Schloss Bonndorf. Lenzkirch, das alte<br />
Städtchen am Eingang des Schwarzwaldes,<br />
nimmt uns freundlich auf und weist von weitem<br />
schon auf die mannigfachen Kehren, die<br />
zur Höhe des Schluchsees führen. Mählich<br />
gelangen wir tiefer in den Forst. Mitten drin,<br />
wie in einem unübersehbaren Räume, machen<br />
wiT halt.<br />
Es ist etwas Eigenartiges, weit und breit<br />
Ruhe und Stille — der Wald träumt. Es wird<br />
Abend. Feierlich klingt aus der Ferne die<br />
Glocke eines Bergkirchleins. Wir lauschen<br />
ihren Klängen.<br />
Ueber die Höhe des Feldberges steigt der<br />
Mond. Wie von einer unsichtbaren Hand angezündet,<br />
flammt Licht an Licht auf und<br />
übergiesst den Wald, als ob sich am heimatlichen<br />
Christbaum die Kerzen entzünden<br />
würden. Der Wald feiert heilige Nacht. Unendlich<br />
erscheinen sie, die riesigen Weihnachtstannen<br />
der Natur. Sachte ziehen Wolken<br />
darüber hin — Schemen aus einer andern<br />
Welt — den Dunst der Nacht mit sich tragend.<br />
Auto-Philosophie<br />
Aber natürlich gibt es eine Philosophie<br />
des Autos!<br />
Sie braucht durchaus keine «mechanistische<br />
Weltanschauung zugrunde zu legen.<br />
Im Gegenteil, jeder, der einen Wagen steuert,<br />
kann ihre Weisheiten in der freien Natur<br />
konzipieren und damit zu höchst lebendigen<br />
Ergebnissen kommen!<br />
Je nachdem, ob Sie auf den holprigen<br />
löchergesegneten Landstrassen Norddeutschlands<br />
oder auf dem schwarzen Parkett<br />
schnurgerader Platanenalleen Südfrankreichs<br />
Ihre Betrachtungen anstellen, wird Ihr philosophisches<br />
System eine pessimistische oder<br />
optimistische Grundtendenz erhalten.<br />
Die einzelnen Gebiete sind noch wenig bearbeitet.<br />
Immerhin glaube ich, für die Ethik<br />
schon ein Sittengesetz aufstellen zu können;<br />
der kategorische Imperativ des Autofahrers<br />
lautet: fahre so, dass dir stets jemand entgegenkommen<br />
kann!<br />
Welche merkwürdigen Umgestaltungen sich<br />
die Logik gefallen lassen muss, wird Ihnen<br />
sicher noch in Erinnerung sein, denken Sie<br />
nur an die Argumente Ihrer Gattin beim<br />
Autokauf.<br />
Erkenntnistheoretisch kommt man zu interessanten<br />
Ergebnissen: man braucht nicht<br />
Einsteins Lehre zu studieren, um die Kategorien<br />
Raum und Zeit zu relativieren. Beim<br />
Autofahren werden sie durcheinander gemessen,<br />
der Raum erhält erst durch die Relation<br />
zur Zeit Gegenständlichkeit für unser<br />
Denken und umgekehrt. «Sehr bald werden<br />
wir in Heidelberg sein, nur noch 60 km!» sagt<br />
Ihr kartenlesendes Maskottchen, ohne zu<br />
ahnen, dass es hier zwei Anschauungsformen<br />
vermengt; «genau 17 Minuten mit Ihrem Wagen,»<br />
antwortet Ihnen der Herrenfahrer auf<br />
der Landstrasse, wenn Sie ihn um die Weglänge<br />
bis zur nächsten Tankstelle fragen!<br />
Auch die experimentelle Psychologie — wir<br />
wollen sie galanterweise als «Grenzgebiet><br />
betrachten — dürfte durch die umwälzenden<br />
Wirkungen des Autos manche Bereicherungen<br />
erfahren. Das Fechnersche Gesetz, nach<br />
dem die Reizempfindlichkeit der Sinnesorgane<br />
abnimmt, wenn der Reiz andauert<br />
oder in regelmässigen Abständen wiederkehrt,<br />
wird täglich durch unsere Ohren überprüft:<br />
hie Fechners Anhänger — sie behaupten<br />
fröhlich, dass das viele und laute Hupen<br />
sie gar nicht mehr störe, sie hören es schon<br />
nicht mehr; dort — die Antilärm-Liga!<br />
Geschichtsphilosophische Perspektiven tun<br />
sich auf. Der mittelalterliche Mensch wurde<br />
von den Aussätzigen durch Geschrei und<br />
Lärmen mit Holzklöppeln gewarnt; der Autofahrer<br />
kündet heute seine Ankunft durch Gehupe<br />
und Geräusch an. Wer will hier das<br />
Problem des Fortschritts anschneiden?<br />
Ohne Ueberschrift<br />
Die Tage sind kurz und verschwommen,<br />
Und die Abende schwer und lang.<br />
So rasch ist sie wieder gekommen,<br />
Die Zeit, die uns einst so durchdrang<br />
Mit seliger Freude und hohem Erwarten,<br />
Die wir ihrer mit stürmischer Ungeduld<br />
harrten.<br />
Die Weihnacht steht schon vor der Türe,<br />
Und wenig später auch Neujahr.<br />
Die Kinder ireun sich und ich spüre<br />
Ein leises Rühren sogar.<br />
Ja, noch heut bin ich froh und vergnügt,<br />
wenn ich denke<br />
'An den schönen Baum und die vielen Geschenke.<br />
Jetzt freilich hat sich alles verschlimmert.<br />
Kein Mensch hat sich seither um mich bekümmert.<br />
Dafür werde ich mir aber viel Süsses kaufen,<br />
Einen ganzen Haufen Schokolade.<br />
Sonst wäre es ja zum Davonlaufen...<br />
Und das, bei der Kälte, wäre schade, -en.<br />
Weihnachtsabend<br />
Dass die Aesthetik ihr Gebiet ungeheuer<br />
bereichern konnte, steht wohl ausser Frage.<br />
Ich will gar nicht von den Auto-Schönheitskonkurrenzen<br />
reden. Aber grundlegende Begriffe<br />
der Wissenschaft vom Schönen erhalten<br />
erst durch das Auto Präzision. Konnte<br />
man sich vielleicht vorher unter « schnittig »<br />
etwas vorstellen? Jetzt dagegen kostet<br />
schon jeder Sextaner bei diesem Wort mit<br />
Geniesserausdruck die Linie vom Kühler zur<br />
Spritzwand, vom Kotflügel zum Reserverad.<br />
Man sieht also, die Philosophie des Autos<br />
liegt geradezu in der Luft.<br />
Das Sorgenkind jeder Philosophie ist nun<br />
einmal die Metaphysik. Sie beginnt bekanntlich<br />
dort, wo die Erfahrung aufhört; das vernünftige<br />
Denken versagt. Im Rahmen eines<br />
streng wissenschaftlichen Artikels wie dieser<br />
hier ist natürlich kein Platz für metaphysische<br />
Erklärungen. Aber ich will sie Ihnen<br />
trotzdem nicht vorenthalten: draussen steht<br />
mein Wagen, steigen Sie ein, wir wollen 150<br />
Kilometer in der Stunde fahren!<br />
Wenn wir nach Hause kommen, werden Sie<br />
überzeugt sein, dass wirklich alle Ansätze zu<br />
einer vollständigen Philosophie des Autos gegeben<br />
sind.<br />
(Ruth Ludwig in der Frankf. <strong>Zeitung</strong>.)<br />
Die Uhr, die<br />
Sie nie aufziehen<br />
- Sie<br />
zieht sich selbst<br />
auf<br />
AUS DEM<br />
Geschenke and<br />
Beschenkte<br />
Grotesken, wie man sie erleben kann.<br />
Es war, es ist und es wird ein ewiges Problem<br />
sei-n, was man Kindern zu Weihnachten<br />
schenken soll.<br />
Der grösste- Sachverständige, J. H. Williams,<br />
der Besitzer eines Warenhauses für<br />
Kinderspielzeuge in New York, meinte einmal<br />
:<br />
«Wir sollen unseren Kindern nur solche<br />
Spielzeuge kaufen, die uns selbst Freude<br />
machen, mit denen auch wir noch spielen<br />
möchten, denn wir wollen doch nicht vergessen,<br />
dass auch wir Erwachsene eigentlich<br />
noch grosse Kinder sind.» Im vorigen Jahre<br />
wohnte ein bekannter amerikanischer Reporter<br />
der Weihnachtsbescherung einer amerikanischen<br />
Familie bei und erzählte darüber<br />
folgendes: Die grosse Familie, die ich am<br />
Weihnachtsabend beobachtete, bestand aus<br />
folgenden Personen: Eltern, Grosseltern, Onkel,<br />
Tante, einem Gast, Gouvernante, Köchin,<br />
dem dreijährigen Baby, der fünfjährigen<br />
Jessie, dem achtjährigen Jackie, dem zehn-<br />
•ULLHORN DES<br />
AHRHUNDERTS<br />
HARWOOP<br />
HÖCHSTE PRÄZISION UND ZUVERLÄSSIGKEIT<br />
Lassen Sie sich die HARWOOD-Uhr bei<br />
Ihrem Uhrmacher unverbindlich vorlegen<br />
VERTRIEB FDR DIE SCHWEIZ:<br />
HARWOOD-UHREN-AKTIENGES., GRENCHEN<br />
jährigen Harry und dem dreizehnjährigen<br />
Tomy.<br />
Ein drei Meter hoher Weihnachtsbaum<br />
stand im Zimmer. Grossmuter hatte in Paar<br />
warme Pantoffeln bekommen, Baby ein Püppchen,<br />
das sprechen und schlafen konnte.<br />
Grossvater wurde mit einer langen Pfeife<br />
beglückt, Harry mit einem Luftdruckgewehr.<br />
Mutti erhielt einen Blaufuchs, Papa ein Pyjama.<br />
Jackie bekam ein Gesellschaftsspiel<br />
«Mensch, ärgere dich nicht*. Die Gouvernante<br />
freute sich riesig über ein Grammophon,<br />
Jessie erhielt ein Märchenbuch mit<br />
zahlreichen farbigen Illustrationen. Tomy<br />
nannte eine Kegelbahn sein «igen und die<br />
Köchin bekam ein in roten Sammet gebundenes<br />
Gedenkbuch.<br />
Und wie die Geschenk© verwendet wurden?<br />
Vater, Mutter und Tante spielten bte in die<br />
späte Nacht hinein «Mensch, ärgere dich<br />
nicht»! Tante lief zum Schluss wütend fort<br />
und erklärte, Mutti habe falsch gespielt.<br />
Baby fabrizierte aus Grossvaters langer<br />
Pfeife ein Saxophon und bohrte zu diesem<br />
Zweck mit einer Schere, die sie weT weiss<br />
woher genommen hatte, Löcher in das Rohr.<br />
Jackie machte mit dem Grammophon der<br />
Gouvernante ein Kaffeegesehäft auf, schüttete<br />
gerösteten Kaffee hinein und Hess ihn<br />
mahlen.<br />
Grossvater und Onkel spielten mit Tomys<br />
Kegelbahn und zerbrachen dabei eine kostbare<br />
Kristallschale.<br />
Jessie legte Papas Pyjama an und setzte<br />
sich, in Ermangelung einer anderen Sitzgelegenheit,<br />
in die ETdbeermarmelade.<br />
Tomy, dessen Traum es war, Seemann zu<br />
werden und- der bestimmt geglaubt hatte,<br />
wenigstens ein Segelboot zu bekommen, Hess<br />
Wasser in die Badewanne und spielte mit<br />
Grossmutters Pantoffel Motorboot. Muttis<br />
Blaufuchs übernahm hierbei die Rolle eines<br />
Eisbären.<br />
Harry, der Zeichenkünstler, bemalte inzwischen<br />
das Gedenkbuch der Köchin. Die<br />
Köchin dagegen wollte gerne schiessen lernen<br />
und schoss dem Gast ins Auge. Grossmutter<br />
merkte überhaupt nicht, was vor sich<br />
ging, da sie sich in Jessies Märchenbuch<br />
vertiefte.<br />
Die Gouvernante aber herzte und kilsste<br />
Babys Püppcheo und träumte von ein«;<br />
schönen Zukunft<br />
(Lissi Alexandra in der • Mfinohenar Tel»*<br />
graimm-Zeitunsr >.)<br />
„Gibt es das Glück?"<br />
Einer, der es seit dreissig Jahren sacht<br />
In London ist ein höchst sonderbarer Reisender<br />
eingetroffen. Es ist der 85jährige<br />
Bostoner Rechtsanwalt George Tienkham,<br />
der, wie er selbst erzählt, seit dreissig Jahren<br />
dem Glück nachjagt und es noch nicht gefunden<br />
Tiat. eich will nur zehn Minuten glücklich<br />
sein>, sagt der Mann, der, um dieses Ziel<br />
zu erreichen, bereits zweimal um die Welt<br />
gereist ist. Er hat auf seiner Hetze mannigfaltige<br />
Erlebnisse und Abenteuer gehabt, er<br />
hat in Afrika und Indien wilde Tiere gejagt,<br />
er hat auf den Südseeinseln gefischt, er ist<br />
durch die bayrischen Wälder gewandert, hat<br />
das Nachtleben in Paris und Berlin genossen,<br />
in Wien getanzt, Bier in alten englischen<br />
Gasthöfen getrunken — und das Glück doch<br />
nicht gefunden. .<br />
Der alte Glücksjäger ist jetzt in London,<br />
nicht etwa, uni sich auszuruhen, im Gegenteil,<br />
wie er einem Berichterstatter erzählt,<br />
ist er mehr denn je auf der Suche nach dem<br />
Glück. Im Gespräch zieht er hunderte Photographien<br />
hervor, die ihn immer in anderer<br />
Umgebung, in einem andern Teil der Welt<br />
zeigen. Auf einem Bild liegt ein riesiger Leopard<br />
zu seinen Füssen, auf dem andern ein<br />
grosser Löwe, den er erlegt hat. Wieder andere<br />
Bilder zeigen ferne, exotische Gegenden<br />
und Städte, die er besucht hat. Wehmütig<br />
blickt er auf diese Photographien. cSie erinnern<br />
mich nicht an Triumphe, sie sind nur<br />
Andenken an Misserfolge und Enttäuschungen.<br />
Mein Geschick will es,» sagt er, «dass<br />
ich immer weiter dem Glück nachjage, aber<br />
ich kann es nicht finden. Kann denn überhaupt<br />
jemand das Glück finden?»<br />
Auf einen Einwand, dass er wohl Anfälle<br />
von seelischer Depression habe, antwortet<br />
Mister Tienkham: «Keine Spur, ich bin viel<br />
zu gesund, um unter Depression zu leiden,<br />
ich bin genau so wie alle Amerikaner in<br />
meinem Alter. Ich glaube, dass unser Klima<br />
schuld daran ist. Es ist zu anregend. Die Eng«<br />
länder arbeiten, um zu leben, wir aber müssen<br />
leben, um zu arbeiten, genau so wie ein<br />
gefrässiger Mensch lebt, um zu essen. Der<br />
Engländer ist der glücklichste Mensch in der<br />
Welt, denn sein Klima bringt das Glück mit<br />
sich. Zum erstenmal bin ich im Jahre 1888<br />
nach England gekommen, seitdem komme ich<br />
jedes Jahr, denn ich finde, dass England wie<br />
eine Erholung von dem intensiven amerikanischen<br />
Leben wirkt. Man hat mir oft vorgeschlagen,<br />
dass Ich mich in England niederlassen<br />
soll. Denn hier würde ich das Glück!<br />
finden. Aber das kann ich nicht. Denn wenn<br />
ich lange hier bin. bekomme ich Heimweh<br />
nach Amerika.»