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E_1933_Zeitung_Nr.062

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Bundesfeier'Sondernummer<br />

Bern, Freitag, 28. Juli <strong>1933</strong><br />

J IL!E^J^^ttt^^^Re^lm^<br />

Bundesfeier<br />

Wieder ist die Stunde nahe, da das<br />

Schweizervolk den Geburtstag seiner Heimat<br />

begeht. Hell flammend werden es die<br />

vielen Feuer von Berg zu Berg, von Hügel<br />

zu Hügel künden, klingend wird der<br />

Schall der Glocken über das sommerselige<br />

Land hin schwingen, über Städte und<br />

Dörfer, Felder und Wiesen, Bäche und<br />

Seen, hinan bis an die roten Flühe und<br />

weissglitzernden Firnen. Unzählige Jahre<br />

sind in den Strom der Vergangenheit hinabgerauscht,<br />

die Menschen kamen und<br />

gingen, neue Reiche entstanden, aber der<br />

einst in schwerster Not beschworene Bund<br />

der Eidgenossen wuchs, trieb neue Zweige<br />

und wurde gross. Heute steht er stolz und<br />

kraftvoll da, eine grossartige, unerschütterliche<br />

Schicksalsgemeinschaft.<br />

Es liegt dem Wesen des Schweizers<br />

ferne, aus der Geburtstagsfeier seines Va-<br />

„ terlandes eine pompöse Angelegenheit zu<br />

machen. Im tiefsten Wesensgrunde ist ihm<br />

der Blick auf die still lodernden Feuer<br />

und der Klang der heimatlichen Glocken,<br />

die nie schöner als am 1. August tönen<br />

können, lieber als aller künstliche Feuerzauber<br />

und alle pompöse Verkitschung.<br />

Für jeden Menschen ist der eigene Geburtstag<br />

ein Ereignis, das zu feiern er<br />

alle Berechtigung hat. Nicht anders verhält<br />

es sich mit der Bundesfeier; beiden<br />

aber widerspricht jede Veräusserliohung.<br />

Nur wer an solchen Tagen sich still besinnt,<br />

innerlich sich über Dinge wieder<br />

klar wird, die er im Gehaste des Alltags<br />

zu vergessen drohte, hat den tiefsten Sinn<br />

solcher Augenblicke voll erfasst.<br />

Und es will uns scheinen, dass die Zeiten<br />

nie mehr Selbstbesinnung gefordert<br />

haben, als gerade heute. Die vergangenen<br />

Jahre zeichneten sich kaum durch starke<br />

nationale Selbstbesinnung aus, im Gegen-<br />

- teil, es Hess sich von einer grossen Apathie<br />

des Volkes reden. Inzwischen haben<br />

sich ausserhalb unserer Grenzen Dinge<br />

von so unfasslich grosser, weltgeschichtlicher<br />

Bedeutung vollzogen, dass der<br />

Sturmwind jenseits der Grenzpfähle auch<br />

bei uns als frische Bise zu spüren ist. Und<br />

•dazu kommt noch, dass unser Volk, wie<br />

alle andern, von einer unheimlichen, würgenden<br />

Krise geschüttelt wird, die angstvoll<br />

nach Rettung ausschauen lässt. In<br />

diese innere und äussere Verwirrung fällt<br />

dieses Jahr die Bundesfeier, so dass man<br />

das Recht, ja die Pflicht hat, ernsthafte<br />

Besinnung auf das eigene Wesen der Heimat<br />

zu fordern und sich der Verantwortung<br />

bewusst zu werden. Mit schönen Reden<br />

und grossen Gesten ist es nicht getan,<br />

nur der einzelne kann selbst von sich aus<br />

zur Klärung und Rettung beitragen.<br />

Wenn am Abend des ersten August die<br />

Feuer auf den Bergen lohen und sich in<br />

der Seele jedes innerlich wahrhaften Vaterlandfreundes<br />

ein eigenes Gefühl regt,<br />

dann mögen die Gedanken rückwärts<br />

schweifen in graue, längst vergangene<br />

Zeiten, zu jenen durch Sage und Geschichte<br />

überlieferten Männern der Innerschweiz,<br />

die mit ihrer wahrhaft heroischen<br />

Befreiungstat von fremdem Joch<br />

den Keim zur Entstehung des Schweizerbundes<br />

legten. Ihr höchstes Gut, das sie<br />

zu verteidigen hatten, das der Freiheit,<br />

stand in Gefahr, und um seinetwillen<br />

schlössen sie sich zusammen. Der Impuls<br />

der Freiheit beflügelte ihre Tat und<br />

führte sie zum Siege. Diese Freiheit wurde<br />

zum tragenden Sinn des Bundes, der<br />

kraftvoll aus kleinen Anfängen emporwuchs.<br />

Die Männer sind lange tot, ihre Gebeine<br />

sind Staub, nur ihre Namen leben fort.<br />

Was aber ewig lebendig bleibt und bleiben<br />

wird, bleiben muss in unserer Heimat,<br />

ist die hohe Idee der Freiheit, die unsere<br />

Ahnen beseelte. Der Sinn dieses Rück-<br />

0 mein Heimatland! 0 mein Vaterland!<br />

Wie so innig, feurig Heb' ich dich!<br />

Schönste Ros', ob jede mir verblich,<br />

Duftest noch an meinem öden Strand!<br />

Als ich arm, doch froh, fremdes Land<br />

durchstrich,<br />

Königsglanz mit deinen Bergen mass,<br />

Thronenflitter bald ob dir vergass,<br />

Wie war da der Bettler stolz auf dicht<br />

An das Vaterland<br />

Gottfried Keller.<br />

bhckes kann und darf aber kein äusseres<br />

Zurückkehren zu alten Sitten und Gebräuchen<br />

sein, sondern nur ein Vorwärtsdringen<br />

und Verwandeln des Geistes, wie ör<br />

die Väter beseelte, zu neuer Tat. Der Gedanke<br />

der Freiheit und Gerechtigkeit ist<br />

das edelste Erbe, das wir von den Ahnen<br />

übernahmen. Noch immer tönt der Schrei<br />

der in Materialismus und wildem Heidentum<br />

festgefahrenen Menschheit nach diesen<br />

Gütern, aber nur wenn die innere Bereitschaft<br />

und der Wille zum Einsatz lebendig<br />

sind, wird sich Grosses ändern lassen.<br />

Entscheidend bleibt doch immer nur<br />

der einzelne, ob er die Kraft zur Wandlung<br />

in sich trägt. Nur wenn eingesehen<br />

werden kann, dass über allem äussern Gejage,<br />

über allen Erfolgen, allen Errungenschaften<br />

ein Höheres steht, dem man in<br />

erschütterndster Weise entfremdet wurde,<br />

lässt sich die Welt wahrhaft wandeln. Die<br />

Idee der Freiheit, die immer noch unsere<br />

Demokratie trägt, ist ein wahrhaft hohes<br />

Als ich fern dir war, o Helvetia!<br />

Fasste manchmal mich ein tiefes Leid;<br />

Doch wie kehrte schnell es sich in Freud,<br />

Wenn ich einen deiner Söhne sah!<br />

0 mein Schweizerland, all mein Gut und<br />

" Hab!<br />

Wann dereinst mein banges Stündlein<br />

kommt,<br />

Oh ich Schwacher dir auch nichts<br />

gefrommt,<br />

Nicht versage mir ein stilles Grab!<br />

Werf ich von mir einst dies mein<br />

Stäubgewand,<br />

Beten will ich dann zu Gott dem Herrn:<br />

*Lasse strahlen deinen schönsten Stern<br />

Nieder auf mein irdisch Vaterland!»<br />

Gut, und es der Menschheit nahezubringen<br />

auch die eigentliche Mission der<br />

Schweiz. Im Zeichen der Freiheit wurden<br />

die grössten Taten vollbracht, wuchsen<br />

und gediehen bedeutende Menschen und<br />

Leistungen. Wer ihren Sinn in ihrem letzten<br />

Gehalt erfasst hat, setzt sich selbst<br />

ein moralisches Gesetz, ist aus innerer<br />

Freiheit gut und wahrhaft und damit<br />

wirklich Mensch. Nur der aber wird zu<br />

solcher innerer Freiheit kommen, der<br />

nicht lediglich im Materialismus verhaftet<br />

bleibt, sondern dessen Sinn nach einer<br />

Welt über ihm- gerichtet ist.<br />

Selbstbesinnung soll zur neuen, durch<br />

. frische Impulse und Vorsätze erfüllten<br />

Tat führen. Viel Unfriede und Not werfen<br />

auch in unserem Lande Schatten; zu spät<br />

ist es aber nicht, um aus neuer Erkenntnis<br />

heraus zu ändern, was sich als morsch<br />

erwies, zu erneuern, was Hauch des Alten<br />

trägt. Stärker als je muss der Gedanke<br />

der Freiheit, der heute in der Welt eine<br />

so unerhört tragische Misshandlung er-<br />

fährt, hochgehalten werden, weil er wahrhaft<br />

edel und menschenwürdig ist, und<br />

gefestigter als je muss die Demokratie als<br />

die einzig mögliche Staatsform für unser<br />

durch Sprache und Rasse getrenntes Volk<br />

bestehen bleiben. Was heute noch durch<br />

Gräben von einander geschieden ist, das<br />

soll sich, so möge der Wunsch jedes politisch<br />

und unpolitisch Denkenden am<br />

1. August sein, in der gegenwärtigen<br />

Stunde über alles hinweg finden, im Dank<br />

für den jährhundertlangen Bestand unserer<br />

Demokratie und im Vorsatz zum Zusammenschluss<br />

der Reihen für die Zukunft,<br />

die keine Risse im Volksganzen dulden<br />

kann.<br />

Achte jedes Mannes Vaterland, aber<br />

das deinige liebe, schrieb einst Gottfried<br />

Keller, und gerade wer den Sinn der Freiheit<br />

richtig begreift, wird seine Heimat<br />

mit aller Gefühlskraft und aller Wärme<br />

lieben, ohne aber die des Nächsten geringer<br />

zu schätzen. Das letzte Ziel bleibt die<br />

Menschheit selbst, für die keine Grenzen<br />

mehr existieren. Echter Schweizer sein<br />

muss auch heissen: echter Mensch zu sein!<br />

In diesem Sinne soll der 1. August zu<br />

einem ernsten Tag der Besinnung auf das<br />

innerste Wesen unseres Staates werden.<br />

«Seid einig, einig, einig», heisst es in<br />

Schillers « Teil » in entscheidender Stunde.<br />

Am Bundesfeiertag <strong>1933</strong> möge dieses Wort<br />

neu beherzigt werden! bo.<br />

Der schweizerische<br />

Nationalfeiertag<br />

E. W. Die Geschichte unseres Nationalfeiertages<br />

ist so kurz und jung, wie die Geschichte<br />

unserer Heimat seit 1291 lang und alt ist. In<br />

meiner Jugend feierte kein Mensch den 1. August<br />

offiziell. Als Gymnasiast machte ich die<br />

erste Augustfeier mit, in meinem Geburtsort,<br />

und das war die schönste öffentliche Feier,<br />

die ich bis heute erlebte, jene ausgenommen,<br />

die ich ganz allein für mich abseits beging.<br />

Ich darf in diesem Kapitel schon ein wenig<br />

mitreden, denn seit über 20 Jahren mache<br />

ich am 1. August sozusagen aktiv mit, von<br />

Berufes wegen.<br />

Gegenwärtig erleben wir so etwas wie eine<br />

Reform der Bundesfeier. Der Rahmen will<br />

von den einen verengt, von den anderen erweitert,<br />

von beiden der geistige Gehalt im<br />

Sinne nationaler Erneuerung vertieft Werden.<br />

Dabei vergessen die Initianten leicht,<br />

dass wir, kraft unserer sprachlichen und völkischen<br />

Verschiedenartigkeit, ganz besondere<br />

Verhältnisse besitzen. Die öffentliche Feier<br />

von heute bei uns ist zweifellos eine teilweise<br />

Kopie des Auslandes. Die Franzosen, die Amerikaner<br />

u. a. m. haben als Gäste unseres<br />

Landes den Schweizern die Sache geräuschvoll<br />

und begeistert vorgemacht und da wollten<br />

die Bewohner jener Gegenden dem Beispiel<br />

nachfolgen. Dabei ist fraglich, ob der<br />

nüchterne, grüblerische; mit Vorliebe betrachtsam<br />

in sich versenkte Charakter des<br />

Schweizers überhaupt eine öffentliche Feier<br />

nötig hat. Für den Städter, für. Kurorte mag<br />

es zutreffen, für das Dorf, insbesondere das<br />

abgeschiedene, schwerlich. Wenn man früher<br />

den 1. August nicht in grossem Stile<br />

feierte — Zentenaranlässe ausgenommen —<br />

so geschah das nicht etwa aus Mangel an Respekt<br />

für die heroische Tat unserer Altvordern,<br />

im Gegenteil: Die unerhörte Freiheitsgeschichte<br />

unseres Landes, kürzlich in glucklichster<br />

Weise neu erzählt in der Neuschöpfung<br />

unseres eidgenössischen Mythos von<br />

Meinrad Inglin in « Jugend eines Volkes»,<br />

stand derart lebendig in der Erinnerung, dass<br />

eine Feier gar nicht als notwendig erachtet<br />

wurde. Der vaterländische Gedanke wurde<br />

nicht laut gepriesen, wohl aber innerlich im<br />

Hetizen getragen.<br />

Auch heute noch gehen die Meinungen über<br />

die Notwendigkeit und Art der Bundesfeiern<br />

auseinander. Und man sagt sich mit. Recht:<br />

Wenn schon, -dann mit Würde, Ernst, An-

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