E_1933_Zeitung_Nr.062
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28 ÄUTÖMOBIL-REVÜE<br />
<strong>1933</strong> - N°<br />
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welch eine Ruhe! Sie war und ist heute noch<br />
an der Appenzeller Landsgemeinde die Frucht<br />
der in Jahrhunderten gewordenen Selbstdisziplin<br />
eines auf die freiheitliche Ausübung<br />
seiner Rechte stolzen Volkes. Weil aber die<br />
vornehme Stille, mit der der tagende Souverän<br />
sich umgab, von innen heraus kam<br />
und nicht polizeilich aufrecht gehalten und<br />
behütet werden musste, weil sie nicht aus<br />
Furcht, sondern aus Ehrfurcht stammte, so<br />
hatte sie etwas so Weihevolles, dass man sich<br />
gerührt und willig unter ihr Szepter beugen<br />
musste.<br />
Zur Disziplin der Landsgemeinde gehört<br />
auch die tapfere Ruhe, mit der nach mehrfach<br />
vorgenommenen Abstimmungen der von<br />
den Männern des Stuhls als geschlagen erklärte<br />
Teil sich ins Unvermeidliche schickt.<br />
Bewundernswert ist dabei das echt republikanische<br />
Vertrauen des Volkes in seine<br />
Oberen, die, auf der Estrade stehend, das<br />
immense Heer der für oder gegen eine Sache<br />
oder Person erhobenen Hände nicht zählen,<br />
sondern die Summe derselben nur mit alles<br />
überfliegenden Augen schätzen mussten.<br />
Vertrauen! — Wolltest du, hehres Gut,<br />
doch nie unser Volk verlassen! Du wirst es<br />
auch nicht, solange die Männer, die auf jene<br />
Empore heraufgehoben wurden, die Fühlung<br />
mit den Druntenstehenden nie verlieren. Von<br />
dort unten, mitten aus dem Gewaltshaufe»,<br />
hat man sie an der Landsgemeinde direkt<br />
nach vollzogener Wahl mit Trommelschlag<br />
geholt und ehrenvoll zum Stuhl geleitet. Doch<br />
nicht, dass sie in Zukunft über dem Volke,<br />
sondern nun erst recht mit Leib und Seele<br />
in und mit ihm seien, in Freude und Leid.<br />
Von abgöttischer Verehrung der Staatsgewalt,<br />
von Magistratenverhimmelung, von<br />
ungesundem Respekt vor Bureaukraten, von<br />
Katzenbuckelei und Untertanengesinnung<br />
wollten die alten Appenzeller niemals etwas<br />
wissen. Der gerade Rücken und die erhobene<br />
Stirn, sie waren ihr Stolz. 0, dass wir<br />
Schweizer wieder Appenzeller vom alten Stile<br />
werden möchten!<br />
Nach Abwicklung der Geschäfte schwor das<br />
versammelte Volk nach alter Vätersitte den<br />
Landsgemeindeeid. Es gelobte dem Land und<br />
seiner Verfassung neue Treue. Der Mann,<br />
der den Eid vorsprach, ein alter Ratsschreiber<br />
und gewesener Pfarrer, war eine Walter-<br />
Fürstgestalt mit schneeweissem Haupt und<br />
markigen Zügen. Er sprach mit prachtvoll<br />
tiefer Stimme. Als er seines Amtes wartete<br />
und die vielen Hände im weiten Umkreis zum<br />
Schwur sich hoben, da fügte sich's, dass die<br />
Aprilsonne einen Moment durchbrach. Sie<br />
kam mir vor wie die blitzende Monstranz,<br />
unter die beim vaterländischen Hochamt ein<br />
sonst vor keinen Bildern kniendes, protestantisches<br />
Volk in der Seele sich beugte. Das<br />
feierliche Gemurmel der Männerscharen, die<br />
mit gedämpfter Stimme die Eidesformel<br />
sprachen, stieg zu dieser Monstranz empor<br />
wie der Weihrauch im Dom zum ewigen<br />
Licht. Wer das von ferne sah, dem musste<br />
ein Nachklang des Liedes durch die Seele<br />
ziehen:<br />
«Welch ein Trost, und unbegrenzt<br />
und unnennbar ist die Wonne,<br />
dass gleich einer milden Sonne<br />
mich dein Vateraug' umglänzt.»<br />
(Aus: «Aus guten sieben Jahren.»)<br />
Der Tagesfilm<br />
Fatty gestorben.<br />
Der amerikanische Filmkomiker Arbuckle,<br />
unter dem Spitznamen «Fatty» einst eine<br />
Grosse des Stummfilms, ist vor wenigen<br />
Tagen in einem New Yorker Hotelzimmer<br />
tot aufgefunden worden. Vor acht bis zehn<br />
Jahren hat die ganze Welt über Fatty Tränen<br />
gelacht. Ein grosser, massiger Körper,<br />
ein bartloses, pausbäckiges Milchgesicht,<br />
das, so wie Chaplin von einer Melone, von<br />
einem Girardihut gekrönt wurde. Er hatte<br />
eine stereotype, aber in seiner trockenhilflosen<br />
Art unfehlbar wirkende Komik,<br />
schien die Verkörperung der Harmlosigkeit<br />
und war Spezialist für gehörnte Ehemänner<br />
und betrogene Freunde. Im Jahre 1924<br />
stand er mit einem Male im Mittelpunkt<br />
einer gar nicht spasshaften Sensation. In<br />
seinem Landhause im Staate Los Angeles<br />
hatte ein ausgiebiges Zechgelage stattgefunden,<br />
nach dessen Beendigung man eine<br />
bildschöne junge Filmstatistin tot in Arbuckles<br />
Wohnzimmer auffand. Er wurde<br />
beschuldigt, das Mädchen alkoholisiert zu<br />
haben und kurzerhand in der prüden amerikanischen<br />
Oeffentlichkeit für ihren Tod<br />
verantwortlich gemacht. Obwohl die ordentlichen<br />
Gerichte keinen schlüssigen Beweis<br />
hierfür erbringen konnten, wurde er von<br />
einer höheren Instanz verfemt, von der berüchtigten<br />
Frauenorganisation Nordamerikas,<br />
die es durchsetzte, dass er seit jener<br />
Unglücksnacht in keinem Atelier mehr Beschäftigung<br />
fand. Sogar die laufenden<br />
Filme mussten in den nordamerikanischen<br />
Kinotheatern abgesetzt werden. Dieser<br />
Bann der Frauenorganisation, den seither<br />
OTT in nun frCt*Ai/*li A T3 A^irivMAMk A-f« tlim* —.•._*<br />
Bundesfeier<br />
Ernst Zahn.<br />
Mit Höhenfeuern und Gesang,<br />
mit Fahne, Kranz und andrem Tand<br />
begeht Gebirg und Tal entlang<br />
sein Jahresfest das Vaterland.<br />
Der frohe Lärm hat mich verwirrt.<br />
Mein Boot am Ufer liegt bereit.<br />
Ich rudre, nun es dunkel wird,<br />
planlos und einsam, weiss wie weit.<br />
Das Mondlicht gittert vor dem Kahn<br />
und liegt auf eines Gletschers Schnee.<br />
Ein Glöcklein hebt zu läuten an,<br />
Wer sagt mir wo, weit überm See.<br />
Das Wasser tropft vom Ruderholz.<br />
Ein Lüftlein atmet sanft und sacht.<br />
Am Berg, wo rot der Tag zerschmolz,<br />
spinnt weisses Nebelgarn die Nacht.<br />
Mir aber ist's, als spürt' ich wohl<br />
mein Herz mit einem andern gehn<br />
ganz still, ganz weit und ruhevoll,<br />
wie es zwei Wandrern mag geschehn.<br />
Mein Boot treibt wieder uferwärts,<br />
und da es Well' um Welle misst,<br />
weiss ich, dass, was mir pocht ans Herz,<br />
der Heimat dunkler Pulsschlag ist.<br />
schiedene Filmsterne als Propagandamitte]<br />
ausnützen wollten, wurde gegen den armen<br />
Fatty blutig ernst durchgeführt, hat seine<br />
Laufbahn mit einem Schlage beendigt und<br />
ihm einen Uebergang zum Sprechfilm unmöglich<br />
gemacht. Seit Jahren hörte man<br />
in den Ateliers von Hollywood nichts anderes<br />
von ihm, als dass er sich dem Trank<br />
ergeben habe. Er schlug sich mit dem Auftreten<br />
auf kleinen Varietes durch, ein Geächteter,<br />
Verfemter, von aller billigen Moral<br />
Verfolgter. Nun hat sein traurig gewordenes<br />
Gesicht für.immer das Lächeln<br />
verloren. Sie transit gloria mundi...<br />
Seltsame Testamente.<br />
Vor etlichen Jahren ereignete sich in<br />
England der Fall, dass eine Studentin der<br />
Botanik zwischen den zusammengeklebten<br />
Seiten eines nie gelesenen, langweiligen<br />
wissenschaftlichen Buches ein Testament<br />
mit der Verfügung fand, dass der Finder<br />
desselben zum Erben eines Vermögens eingesetzt<br />
wird, das der Testamentsaussteller<br />
hinterlassen hat. Dieses Erbe sollte eine<br />
Belohnung dafür sein, dass die langweilige<br />
wissenschaftliche Schwarte, deren Verfasser<br />
der Tote war, überhaupt gelesen wurde.<br />
Ein ähnlicher Fall ereignete sich kürzlich<br />
in Pittsburgh. Ein Student, namens<br />
William Spruce, der nicht gerade zu den<br />
Redlichen zählte und schon einmal wegen<br />
Diebstahls mit der Behörde in Konflikt geraten<br />
war, wollte das Erbe nach einem vor<br />
Jahren verstorbenen Sonderling L. Withmann<br />
antreten. Das Erbe war nicht gross<br />
1230 Dollar. Es fiel aber auf, wieso dei<br />
arme Student zu dem Testament kam, und<br />
es stellte sich folgendes heraus: Der Student<br />
Spruce entwendete in der Fould-Bibliothek<br />
einen alten buddhistischen Katechismus.<br />
Dieses religiöse Buch schien dem Studenten<br />
wertvoll genug, um es gegen einige<br />
Centstücke einem Antiquitätenhändler zu<br />
verkaufen. Er brachte aber das gestohlene<br />
Buch nicht an den Mann. Als er eines<br />
Abends darin blätterte, fand er zwischen<br />
zwei zusammengeklebten Seiten das ominöse<br />
Testament. Es setzt den Finder zum<br />
Erben des verstorbenen Sonderlings L.<br />
Withmann ein, machte dem Erben aber zur<br />
Pflicht, im Sinne des Buddhismus zu werben.<br />
Falls der Finder aber eine andere<br />
religiöse Ueberzeugung hätte, so sollte er<br />
das Geld einer buddhistischen Sekte überweisen.<br />
Der Student dachte natürlich weder<br />
an das eine noch an das andere. Nun<br />
wurde er verhaftet, und das Gericht wird<br />
zu entscheiden haiben, wem das Erbe<br />
rechtsmässig gehört: der Bibliothek, die<br />
eigentlich auch im Sinne dw Erblassers<br />
warb, da sie ja ähnliche Bücher führte,<br />
oder der buddhistischen Sekte. Dem Studenten<br />
Spruce aber blüht statt der Erbschaft<br />
eine kleine Freiheitsstrafe.<br />
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