E_1948_Zeitung_Nr.049
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Hr.4S - BERN, 17. Nov. <strong>1948</strong><br />
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Italienfahrt en miniature<br />
Nein, aus unserer erträumten, richtigen Auslandsfahrt<br />
wurde auch dieses Jahr noch nichts...<br />
Wir hatten nur wenige Tage, während deren<br />
wir den hier sprichwörtlich gewordenen Regenfluten<br />
und der Kühle dieses Sommers entfliehen<br />
konnten, und diese wenigen Tage erlaubten kein<br />
Südfrankreich, keine Riviera, keine Toscana.<br />
Menaggio am Comersee.<br />
Aber wozu auch? Unser Land hört ja glücklicherweise<br />
nicht bei den Alpen auf, und wir<br />
haben die Möglichkeit, ohne jegliche Formalitäten<br />
nach wärmeren Regionen zu ziehen. Und<br />
ist etwa ein Bad an der Cöte d'Azur erfrischender<br />
als im Lago Maggiore oder im Ceresio? — Ist<br />
die toskanische Landschaft üppiger und ihre Luft<br />
durchsichtiger als die im Mendrisiotto? Wozu<br />
denn eine Auslandsfahrt? Wir haben uns diese<br />
Frage auf unserer Reise immer wieder gestellt.<br />
Nein, schöner als in unserer Heimat kann es<br />
nirgends sein. Und doch lebt die Sehnsucht nach<br />
der Ferne in uns allen, die Sehnsucht nach Niegesehenem,<br />
die Sehnsucht nach den vielen kleinen,<br />
spezifischen Abenteuern, die nur eine Reise<br />
in fremdem Lande mit sich bringt.<br />
Das war es wohl, was uns veranlasste, nicht<br />
die ursprünglich gedachte Route über den San<br />
Bernardino zu wählen, als wir nach einigen<br />
wundervollen Tagen in Locarno ins Bündnerland<br />
fahren wollten. Wir hatten natürlich keine Pässe<br />
bei uns, aber dies erwies sich als belanglos. Die<br />
Kantonspolizei in Lugano stellte uns auf Grund<br />
unserer Fahrausweise liebenswürdig und rasch<br />
Passierscheine aus, und beim ACS erhielten wir<br />
innert einem halben Tag das Triptyque für den<br />
Wagen.<br />
Und weiteres stand unserer kleinen Auslandsfahrt<br />
nicht mehr im Wege, und wir fuhren erwartungsvoll<br />
an Gandria vorbei, dem Zoll entgegen.<br />
Für Grenzneulinge — und ein bisschen fühlen<br />
wir uns nach den langen Jahren der Abgeschlossenheit<br />
alle als solche! — ist schon das<br />
Dorfplatz in Domaso.<br />
Passieren unter dem sich hebenden Schlagbaum<br />
und die Zollabfertigung ein aufregendes Ereignis.<br />
Ob wir Zigaretten hätten? — auch keinen<br />
Kaffee? — und die Photo- und Filmkameras<br />
müssten registriert und beglaubigt und gezeich-<br />
?n<br />
net sein, und der Inhalt des kleinen mitgefuhrten<br />
Benzinkanisterchens müsse in den Tank geleert<br />
oder verzollt werden.<br />
Während Pierce mit den Kameras und einem<br />
der Koffer im Zollgebäude verschwand, trat ein<br />
schwarzschnauziger Zollbeamter zu mir an den<br />
Wagen und fragte noch einmal eindringlich nach<br />
eventuell vorhandenen Zigaretten. Da ich eben<br />
eine rauche, seien doch wohl noch mehr vorhanden?<br />
Ich bin ein sehr naiver Grenzneuling,<br />
und merkte absolut nicht, dass er vielleicht über<br />
die Zollgebühr hinaus interessiert war. Als ich<br />
durchaus nicht begreifen wollte, zeigte er mir<br />
ein Päckchen North State, die er von einem<br />
Schweizer erhalten habe. Schliesslich sah er ein,<br />
dass ich hoffnungslos blöd sei und öffnete die<br />
Wagentür, um kraft seiner zöllnerischen Autorität<br />
wenigstens meine Beine anzusehen. Da wir<br />
aber noch auf unserer Seite der Barriere standen,<br />
schlug ich die Türe kraft schweizerischer<br />
Hoheitsrechte wieder zu und er entfernte sich<br />
achselzuckend, um eine eben angekommene<br />
Velofahrerin nach Schmuggelware abzutätscheln.<br />
Zunächst war natürlich auch nach der Barriere<br />
alles ähnlich schön wie davor, die vorläufig<br />
noch prächtig ausgebaute Strasse führt dem<br />
gleichen Bergzug, den gleichen Ufern entlang,<br />
bis Porlezza, dem Städtchen am obern Ende<br />
des Luganersees. Wir vermissten unsere klaren,<br />
blauweissen Ortsbezeichnungen Und Wegweiser,<br />
manchmal brauchte es eine gehörige Dosis Intuition,<br />
um herauszuspüren, wo wir uns befanden.<br />
Nach Porlezza wurde die Strasse so schlecht,<br />
dass wir glaubten, auf einem falschen Weg zu<br />
sein und beinahe umgekehrt wären, wenn nicht<br />
eben der von der Karte verheissene kleine See<br />
bei Molino aufgetaucht wäre. Die Landschaft<br />
aber ist herrlich. Sie hat den ungemeinen Reiz,<br />
der sich aus der Verbindung jäher Bergabstürze<br />
und dem lieblichen südlichen Talgrund ergibt,<br />
wie er uns auch im Tessin immer wieder entzückt.<br />
Bei Menaggio führt die Strasse an den Comersee,<br />
den man zuerst aus der Höhe in einer prachtvoll<br />
weiten Aussicht erblickt. Menaggio ist eine<br />
Ferienstadt mit — durch die Lage am See —<br />
ähnlichem Gepräge wie Lugano. An einem elegant<br />
gedeckten Tisch im Freien, mit dem Blick<br />
auf den See, genossen wir dort eine echt italienische<br />
Mahlzeit. Die übrigens ••— nebenbei bemerkt<br />
— mit Schweizer Geld bezahlt werden<br />
kann, wie man auf der ganzen Strecke sehr wohl<br />
Chiavenna.<br />
ohne Lire auskommt, da alles auf die vielen<br />
durchfahrenden Schweizer eingestellt ist. Am<br />
Anfang und Ende der Städtchen und Dörfer am<br />
Comersee, sieht man der Strasse entlang immer<br />
wieder Marktstände, wo die beliebtesten Italienandenken,<br />
wie Seidentücher und Angorapullover<br />
feilgeboten werden.<br />
Diese Einstellung auf die an schönen Tagen<br />
oft kolonnenweise vorüberziehenden Autos<br />
spricht aber auch aus weniger angenehmen Dingen.<br />
Wir erfuhren dies einerseits in Domaso, wo<br />
wir, nachdem wir anhielten, sofort von einem<br />
Schwärm Kindern umringt waren, die ihre Händchen<br />
ausstreckten und einander zu übertönen<br />
suchten mit ihrem « Cioccolataü Sigarette per il<br />
papä! », wo — nachdem Pierce nicht widerstehen<br />
konnte, einem grässlich verwahrlosten<br />
Bettler etwas in: die Hand zu drücken — aus allen<br />
Palazzo Salis in Soglio.<br />
Richtungen plötzlich ein weiteres halbes Dutzend<br />
ähnlich verwahrloster alter Männer auftauchte.<br />
Ein weltgewandter Kellner, der die Szene beobachtet<br />
hatte, hielt uns dann in rollendem<br />
Französisch und mit rollenden Augen einen aufklärenden<br />
Vortrag: die da draussen glaubten<br />
eben, alle Schweizer seien reich und fahren das<br />
ganze Jahr im Auto umher und niemand denke<br />
daran, dass man drüben hart arbeite, um sich ein<br />
paar Tage Ferien leisten zu können. Die da<br />
draussen machen das ganze Jahr lang Ferien,<br />
erklärte er unter heftigem Gestikulieren.<br />
Und dann andererseits der Trick, auf den<br />
jeder Automobilist, der kein Herz aus Stein hat,<br />
hereinfallen muss, auch wenn er ihn halb ahnend<br />
Chiavenna.<br />
durchschaut: ein Camion und zwei traurige<br />
Burschen stehen weit abseits aller menschlichen<br />
Behausung am Wegrand, stoppen uns und bitten<br />
in einem nett gelernten deutschen Sätzchen um<br />
zwei Liter Benzin, da sie keinen Meter mehr<br />
weiterfahren könnten. Und als Pierce achselzuckend<br />
fragte, wie die Transfusion von Tank<br />
zu Tank zu geschehen hätte, zückten sie eilfertig<br />
eine bereitliegende Chiantiflasche und einen<br />
Schlauch, mit dem sie recht geübt zu manipulieren<br />
wussten.<br />
Oberhalb des Comersees weicht das Liebliche<br />
der Landschaft rasch und immer mehr dem wild<br />
Romantischen. Die Berge werden höher und zerklüfteter,<br />
die Luft weht herber. In Chiavenna<br />
machten wir einen letzten Halt und bummelten<br />
zu Fuss durch die malerische kleine Stadt an<br />
der Mera, die den Knotenpunkt von Splügenund<br />
Malojastrasse bildet.<br />
Abends spät langten wir wieder auf Schweizer<br />
Boden an und fuhren nach Soglio hinauf, wo<br />
wir im alten Palazzo Salis übernachteten, um<br />
am nächsten Morgen durch das Bergell nach<br />
Maloja und in eine andere Welt — das Engadin<br />
— zu gelangen. D. H.<br />
So sah Henri Durernois:<br />
Die Mondäne am Steuer<br />
Die Ferienzeit war für Odette besonders<br />
schrecklich. Mehr noch als die « Vergnügungsfahrt<br />
» in die Normandie zum Weekend fürchtete<br />
sie die Spazierfahrt im Auto. Dieses Auto, das<br />
während des ganzen Winters im Ruhestand war,<br />
gehörte dem Onkel Edmond, der es für 1500 Fr.<br />
gekauft hatte. Das Aussehen dieses seltsamen<br />
Fahrzeugs, recht und schlecht zusammengeflickt<br />
und mit abblätternder Lackfarbe, rief immer die<br />
Heiterkeit des Publikums hervor. Edmond empfand,<br />
wenn er auch ganz gut fuhr, solange es<br />
eben und grade ging, unüberwindliche Schwierigkeiten,<br />
um zu manövrieren. Da er Dichter<br />
war, fasste er Unfälle mit Sorglosigkeit ins<br />
Auge.<br />
Aber eines Tages, auf der Strasse von Quarante-Sous,<br />
stiess das Auto ein sanftes Aechzen<br />
aus, wie ein erschöpftes Tier, das unter dem<br />
Saumsattel zusammenbricht, weigerte sich weiterzufahren<br />
und suchte in einem schattigen Graben<br />
jene Ruhe, die dem Tod vorangeht.<br />
« Wartet hier auf mich, ich werde einen Wagen<br />
zum Abschleppen holen », sagte Onkel Edmond.<br />
In diesem Augenblick bemerkte Odette,<br />
die mit im Auto sass, einen überholenden Wagen,<br />
in dessen Fahrerin sie eine Klientin des<br />
Hauses erkannte, Mme Fredit. Diese hielt an:<br />
« Sie haben eine Panne? » fragte sie.<br />
« Genau das », antwortete der Onkel, « und<br />
wir sind in grosser Verlegenheit. •<br />
<br />
« Nein. »<br />
« Also, was wollen Sie? Die Tiere riskieren<br />
genau soviel wie wir... Das ist das Leben!<br />
Wenn er verwundet gewesen wäre, hätte ich ihn<br />
netterweise in den Graben gelegt, mit einem<br />
Kissen aus Gras unter dem Kopf. Ich habe ein<br />
grosses Stück Linoleum, um diese Rettungen<br />
auszuführen, ohne mich schmutzig zu machen.<br />
Und einen Sack mit einer vollständigen Apotheke<br />
... Mein Arzt hat sie mir geschenkt. Er<br />
hat sie als Reklame geschickt bekommen ... Man<br />
weiss nie, was vorkommen kann. Ich habe eine<br />
Tante, die wie ich Auto fuhr: ein bisschen schnell,<br />
aber vorsichtig. Sie ist ins Schleudern gekommen,<br />
und plautz! gegen einen Baum. Sie hatte<br />
die schönste Nase der Welt,, eine Adlernase; und<br />
jetzt sitzt sie da mit einer Kaffernnase und vier<br />
gebrochenen Zähnen. Sie hat eine Bananenniederlage,<br />
rue Coquelliere. Ich habe ihr einen<br />
Dentisten gefunden, der Bananen leidenschaftlich<br />
gern isst: er hat ihr eine glänzende Prothese<br />
angefertigt. Mit drei Kisten Früchten und mit<br />
der Angst war sie quitt... Was? man pfeift?<br />
Ja, ja, Stopp. Was gibt's, Gendarm? ... Wollen<br />
Sie den Brigadier rufen ... Brigadier, Sie erkennen<br />
mich nicht? Nein! Ich bin die Frau Ihres<br />
Unterpräfekten. Ich bin Mme Tillereau... Es ist<br />
gut, ich werde Sie nicht anzeigen, aber ein andermal<br />
keinen Uebereifer, wenn ich bitten darf;<br />
mein Mann verabscheut das ... Was für eine Geschichte!<br />
— Wollen Sie sich bitte umdrehen,<br />
kleine Freundin, und sehen, ob diese Dummköpfe<br />
die Nummer meines Wagens notieren? Nein! Allright!<br />
... Ich habe ein erstaunliches Gedächtnis.<br />
Ich habe die Namen der Präfekten und Unterpräfekten<br />
von allen Departements im Kopf,<br />
durch die ich komme... Wenn die Geschichte<br />
nicht verfangen will, bin ich gewappnet: Ich<br />
habe eine Pensionsfreundin, deren Mutter in<br />
zweiter Ehe mit einem der höchsten Tiere von<br />
der Gendarmerie verheiratet ist. Ich bin erst<br />
dreimal verpfiffen worden. Das ist nichts! Ich<br />
wette, Sie sind noch nie 130 in der Stunde gefahren?<br />
Schliessen Sie das Fenster! Gut. 80,<br />
90... 100, 110, 120. Zum Teufel, da kommt Teer!<br />
Schade, es ging so gut. Heute abend leihe ich<br />
Ihnen eine Schürze, und wir werden uns damit<br />
amüsieren, den Teer mit Butter wieder wegzubringen<br />
... Nicht wahr, ich fahre ausgezeichnet?<br />
Aber zum Beispiel das Ersatzrad anzubringen,<br />
das brächte ich nicht fertig ... Ich warte, bis ein<br />
galanter Mann vorbeikommt. Ich habe Beobachtungen<br />
anstellen können unterwegs. Die gefälligsten<br />
sind die Schweizer... Ja, die Schweizer,<br />
die schon bemerkenswert sind durch ihre Gastfreundlichkeit.<br />
Ein- Schweizer Herr hat zwei<br />
Stunden lang geschwitzt, um die Panne zu beheben;<br />
es war in der Nähe von Grenoble. Stellen<br />
Sie sich vor, meine Liebe, er trug eine weisse<br />
Hose, eine tadellose Hose, mit einer schönen<br />
Falte in der Mitte. Als er fertig war, war die<br />
Hose schwarz von Wagenschmiere, und von<br />
Falte keine Spur mehr. Ich habe gelacht wie toll!<br />
Es gibt doch noch brave Leute auf Erden! Von