E_1948_Zeitung_Nr.048
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10 AUTOMOBIL REVUE<br />
MITTWOCH, 10. NOVEMBER <strong>1948</strong> - Nr. 4i<br />
wird festgestellt, ob sie ein geordnetes Leben<br />
führen, wie sie mit ihrem Ehegatten auskommen,<br />
welchen Liebhabereien sie nachgehen und<br />
wie sie mit ihrem Beruf zufrieden sind. Auf<br />
Grund dieser Untersuchungen arbeitet die Klinik<br />
zuhanden des Verkehrsgerichtes ein Gutachten<br />
aus, in dessen Würdigung das Gericht bei der<br />
Entscheidung der Frage, ob entweder eine Strafe<br />
zu verhängen oder eine psychiatrische Behandlung<br />
des Delinquenten anzuordnen sei, völlig<br />
frei ist.<br />
Selbstverständlich ist nicht jeder, der «aus<br />
unerklärlichen Gründen • ein schlechter Fahrer<br />
ist, deshalb auch geisteskrank. Oft genug hat die<br />
Klinik festgestellt, dass verhältnismässig leichte<br />
Neurosen des Uebels Wurzel darstellen. Es<br />
scheint festzustehen, dass die meisten schlechten<br />
Fahrer das Auto nicht als ein Verkehrsmittel<br />
benutzen, sondern als ein Instrument, um ihre<br />
Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Der<br />
Arzt, dem die Klinik untersteht, äussert sich<br />
dahin, dass die schlechten Fahrer<br />
« das Auto als Mittel zur Lösung ihrer<br />
persönlichen Probleme ><br />
ansehen.<br />
An sich haben wir es hier mit einer psychologischen<br />
Binsenwahrheit zu tun; das ganze<br />
Phänomen ist verblüffend einfach zu erklären.<br />
Der kleine Angestellte (man darf nicht vergessen,<br />
dass in den USA sehr viele kleine Angestellte<br />
ihr eigenes Auto besitzen) braucht nur<br />
gehörig auf den Gashebel zu treten, um die elegante<br />
Limousine seines Chefs zu überholen; er<br />
kann seinen Sisiphuskomplex abreagieren, wenn<br />
er die Dame der Gesellschaft von oben bis unten<br />
mit Kot bespritzt und der ganzen Welt dafür<br />
heimzahlen, dass er es im Leben nicht weiter<br />
gebracht hat. (Oft genug kommt zu diesen Vergeltungsaktionen<br />
auch noch der Selbstmordtrieb<br />
hinzu.)<br />
Zahlreiche Beispiele für ein solches neurotisches<br />
Verhalten sind durch die Klinik ans Licht<br />
gebracht worden. Vielleicht am erstaunlichsten<br />
ist der Fall eines jungen Mannes, der verhaftet<br />
wurde, als er auf der Lehne seines Sitzes sass<br />
und sein Auto mit den Füssen lenkte. Bei der<br />
Untersuchung stellte sich heraus, dass sein linkes<br />
Bein infolge spinaler Kinderlähmung stark<br />
atrophiert war. Bei seinen Kollegen hatte er sich<br />
jedoch gebrüstet, seine Beine seien so gut wie<br />
die jedes anderen; er könne sogar Kunststücke<br />
damit vollbringen. Das versuchte er dann auch,<br />
verursachte aber, als er das Steuerrad zwischen<br />
den Zehen hielt, einen Verkehrsunfall.<br />
Noch wichtiger, weil schwerer zu erkennen,<br />
sind die nicht durch körperliche Defekte bedingten<br />
Exzesse, die von Fahrern begangen werden.<br />
So wurde der Klinik ein junger Mann zugewiesen,<br />
dessen Intelligenz überdurchschnittlich war,<br />
der sich aber, sowie er hinter dem Steuer sass,<br />
fast augenblicklich in einen « Raser » verwandelte.<br />
Rechenschaft über die Veränderung, die<br />
m ihm vorging, konnte er sich nicht geben. Erst<br />
der Psychiater förderte den tieferen Grund zutage:<br />
Der junge Mann hatte, einen schweren<br />
Schock erlitten, als er erfuhr, dass er nur das<br />
Adoptivkind seiner Eltern war. In diesen Zusammenhang<br />
gehören noch folgende Fälle: Ein<br />
Mann der sich seiner homosexuellen Neigungen<br />
schämte und durch forsches Fahren immer<br />
wieder seine Männlichkeit beweisen wollte; ein<br />
junges Mädchen, das von seinem Vorgesetzten<br />
schikaniert wurde; ein « verzogener Junge »; ein<br />
26-Jähriger, der zum rücksichtslosen Fahrer<br />
wurde, als seine von ihm innig geliebten, Eltern<br />
sich scheiden Hessen.<br />
Immer wieder ist in dieser Aufzählung von<br />
jungen Leuten die Rede. Auf die Altersgruppen<br />
von 20 bis 29 entfällt denn auch das Hauptkontihgent<br />
der Verkehrssünder, obwohl gerade<br />
sie in körperlicher und geistiger Beziehung den<br />
Aelteren überlegen sein sollten. Eine genauere<br />
Analyse zeigte jedoch eindeutig, dass der Prozentsatz<br />
von « Personen mit seelischen Nöten ><br />
in dieser Altersklasse ausserordentlich hoch lag.<br />
62 % davon waren nicht verheiratet, es fehlte<br />
ihnen der stabilisierende Einfluss, den die Ehe<br />
mit sich bringt. 75 % kannten überhaupt kein<br />
Familienleben.<br />
Ein weiterer überraschender Schluss, wozu<br />
die Klinik auf Grund ihrer Untersuchungen gelangte,<br />
war der, dass schlechte Fahrer im allgemeinen<br />
unterdurchschnittlich intelligent sind.<br />
Wer es versteht, sich mit Höchstgeschwindigkeit<br />
durch eine Lücke hindurchzuschlängeln, mag<br />
zwar «schlauer » sein als andere Fahrer, aber<br />
bei wissenschaftlichen Intelligenzprüfungen stellt<br />
sich fast immer heraus, dass er die Norm nicht<br />
ganz erreicht. Dabei bleibt die Frage offen, ob<br />
er, weil er ohnehin schon unterbegabt ist, deshalb<br />
auch nicht gut fährt, oder ob er schlecht,<br />
d. h. « forsch » fährt, um seinen dunkel empfundenen<br />
Mangel an Intelligenz durch Rücksichtslosigkeit<br />
auszugleichen.<br />
Was soll geschehen?<br />
Bei all diesen Erkenntnissen ist die Klinik<br />
nur in minimstem Masse über das Stadium der<br />
Diagnose hinausgekommen. Den tausend Fahrern,<br />
die sie Jahr für Jahr untersucht, stehen<br />
die mehr als vierzig Millionen gegenüber, die<br />
in den USA einen Führerausweis besitzen. Zudem<br />
kann die Klinik nicht einmal prophylaktisch<br />
wirken, denn ihre Aerzte bekommen den<br />
Patienten erst zur Behandlung, nachdem der<br />
Unfall geschehen ist. Eine Lösung des Problems<br />
lässt sich nur schwer erzielen, wenn es eine<br />
Lösung überhaupt gibt. Im Grunde geht es um<br />
die Frage, wie man Menschen, die das ihnen<br />
von der Gesellschaft tatsächlich oder vermeintlich<br />
zugefügte Unrecht vergelten wollen, indem<br />
sie das Auto als Mittel hierzu benützen, rechtzeitig<br />
helfen kann, d.h., bevor man ihnen einen<br />
Führerschein in die Hand drückt. Manche Vorschläge<br />
laufen darauf hinaus, für sämtliche Kandidaten<br />
bei der Fahrprüfung eine psychiatrische<br />
Untersuchung anzuordnen. Aber abgesehen davon,<br />
dass die Kosten dieses Verfahrens ausserordentlich<br />
hoch wären, müsste dessen Durchführbarkeit<br />
schon daran scheitern, dass es in<br />
den USA einfach nicht genug Psychiater gibt.<br />
Ein Kompromissvorschlag sieht vor, dass Lehrer,<br />
Eltern, Lehrmeister und sonstige Aufsichtspersonen<br />
das Augenmerk der Behörden auf « verdächtige<br />
» Fälle lenken sollten — ebenfalls ein<br />
Weg, der sich aus naheliegenden Gründen- als<br />
ungangbar erweist. Was geschehen muss, lässt<br />
sich heute nicht recht erkennen, aber dass etwas<br />
geschehen muss, ist allen Beteiligten klar.<br />
Ernst Behrendt<br />
Von leeren Taxis, mangelndem Treibstoff und enttauschten Hoffnungen<br />
(Von unserem Korrespondenten)<br />
(wbg.) Sinn und Widersinn des Automobildirigismus<br />
und der schematischen Uebertreibung<br />
bürokratischer Planwirtschaft wurden selten so<br />
deutlich, wie in diesen schönen Herbsttagen nach<br />
dem Automobilsalon. Wir haben in unserer letzten<br />
Nummer bereits darauf hingewiesen, welch<br />
ungewohntes Bild im Pariser Strassenverkehr<br />
die langen Reihen leerer Taxi bedeuten, die<br />
meist vergeblich auf einen Fahrgast warten.<br />
Man erfährt erst jetzt, dass die Taxi-Chauffeure<br />
die 80prozentige Erhöhung der Fahrpreise, die<br />
ihnen zugebilligt wurde, gar nicht wollten, dass<br />
vielmehr der Pariser Gemeinderat der Meinung<br />
FRANKREICH<br />
Pariser Brief<br />
war, man könne die Tarife des Metro und der<br />
Autobusse unmöglich verdoppeln, ohne gleichzeitig<br />
auch die Taxitarife entsprechend heraufzusetzen,<br />
da sonst eine Abwanderung der Fahrgäste<br />
von den Autobussen zu den Taxi unvermeidlich<br />
sei. Dieser Versuch eines Ausgleichs ist<br />
gescheitert. Das Publikum ist zwar von den Taxi<br />
in die Autobusse abgewandert, aber diese selbst<br />
haben in den ersten beiden Wochen nach der<br />
Anfang Oktober erfolgten allgemeinen Tariferhöhung<br />
eine entsprechende Anzahl von Fahrgästen<br />
an den Metro verloren. Indessen zeigt die<br />
Statistik des französischen Konjunkturinstituts<br />
ebenso deutlich, dass auch die Billettpreisschraube<br />
der Untergrundbahn allzustark angezogen<br />
wurde. Im Endergebnis hat also die Tariferhöhung,<br />
sowohl im Kollektivverkehr (Metro<br />
und Autobusse) als auch in der Taxifrequenz<br />
den Verkehr abgebremst, eine heilsame Lehre,<br />
die man hoffentlich in Zukunft beherzigt!<br />
Die Einführung des vielgerühmten « Doppelsektors<br />
» in der Treibstoffzuteilung scheint vorläufig<br />
verschoben werden zu müssen. Einerseits<br />
hat man sich wohl auch bei den Behörden überlegt,<br />
dass eine solche Massnahme (mit zweierlei<br />
Preisen!) lediglich dem Benzinschwarzhandel<br />
weiter Vorschub leisten und niemanden recht zu<br />
befriedigen vermag, weder die «Prioritäre •<br />
noch die «Nichtprioritäre ». Vor allem fehlt es<br />
aber bis auf weiteres am Notwendigsten, nämlich<br />
am Benzin. Der Kohlenstreik erforderte eine<br />
Steigerung der Importe an amerikanischer und<br />
anderer in harter Währung zu bezahlender<br />
Kohle. Wie immer wird auch hier das Automobil<br />
die Kosten dieser wirtschaftlichen Katastrophe<br />
insofern zu bezahlen haben, als die Einfuhr<br />
an Rohöl gedrosselt und damit auch die<br />
Tätigkeit der französischen Raffinerien entsprechend<br />
eingeschränkt werden muss. Es Wird<br />
in diesem Winter noch weniger Benzin geben als<br />
im letzten, und die bisher beim Treibstoffbezug<br />
bevorrechtigten Automobilisten müssen froh<br />
sein, wenn ihnen* die kärgliche Ration von 30<br />
bis 40 Liter pro Monat weiter erhalten bleibt.<br />
Lediglich im « internationalen » Sektor, der sich<br />
als höchst devisenbringend für den Stabilisierungsfonds<br />
der Bank von Frankreich erwiesen,<br />
soll vorläufig keine Kürzung eintreten.<br />
Der Kohlenstreik hat aber für die französische<br />
Verkehrswirtschaft, ganz abgesehen von<br />
seinen Wirkungen auf den Eisenbahnverkehr,<br />
noch eine andere, höchst ungefreute Folge. Die<br />
Stahlproduktion, die bereits im September um<br />
etwa 20 % abnahm, wird in den Monaten Oktober<br />
und November aus Koks- und Kohlenmangel<br />
noch weiter zurückgehen und das auf dem Papier<br />
stehende Versprechen des Industrie- und<br />
Handelsministers, auf je drei exportierte Wagen<br />
einen zur freien Inlandsverfügung abzuzweigen,<br />
kaum wahrscheinlich aus Mangel an Eisen- und<br />
Stahlzuteilungen von keinem der grossen Werke<br />
verwirklicht werden. Mit der Freiheit des Binnenmarktes<br />
scheint es also vorläufig nichts zu<br />
sein.<br />
Der andere Teil des « Neuprogramms », nämlich<br />
die Erhöhung der Wagenpreise, ist allerdings<br />
inzwischen harte Wirklichkeit geworden.<br />
Was für Irrwege die französische Bürokratie<br />
geht, veranschaulicht der Umstand, dass man<br />
die Preise seit 1. Oktober um ca. 10—15 % heraufgesetzt<br />
hat und jetzt ernstlich daran denkt,<br />
sie aus sogenannten psychologischen Gründen<br />
wieder um 5 % zu reduzieren. Für den Inlandsinteressenten<br />
wie für den ausländischen Käufer<br />
französischer Wagen gibt jedoch die Tatsache<br />
den Ausschlag, dass alle französischen Personenwagen<br />
um mindestens 10 % teurer sind als bisher.<br />
Für Last- und Personenwagen<br />
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