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E_1949_Zeitung_Nr.001

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10 AUTOMOBIL REVUE MITTWOCH, S. JANUAR <strong>1949</strong> - Nr. 1<br />

MARTINI<br />

Schluss von Seite 1<br />

Der Zufall- wollte es, dass der Vorjahressieger,<br />

der ja dieses Rennen in die Schweiz gebracht<br />

hatte, bei der Auslosung Start-Nr. 1 erhielt<br />

Während allen drei Umfahrten lag M. von<br />

Martini an der Spitze, der ständig auf der ganzen<br />

Strecke von grossen Zuschauermengen begeistert<br />

bejubelt wurde. M. von Martini versichert,<br />

dass dieses Rennen zu den schönsten Erinnerungen<br />

seiner sportlichen Karriere zählte.<br />

Die Strecke war vorbildlich abgesperrt, und da<br />

ja ausschliesslich Herrenfahrer konkurrierten,<br />

•war auch der sportliche Geist von echter Ritterlichkeit<br />

erfüllt. Als Sieger ging ein Peugeot-<br />

Fahrer hervor, und der Pokal wanderte wieder<br />

nach Frankreich zurück. Für die Bewertung fand<br />

nämlich eine ziemlich komplizierte Formel Anwendung,<br />

die neben der Fahrzeit auch den Benzin-<br />

und Wasserverbrauch, die Regelmässigkeit,<br />

die Geschwindigkeit am Berg und in der Ebene<br />

und sogar noch den Chassispreis berücksichtigte.<br />

Und all das geschah im Kanton Zürich, der während<br />

20 Jahren ein generelles Rennverbot<br />

kannte, das erst im Frühjahr 1946 aufgehoben<br />

wurde!<br />

In der zweiten Julihälfte 1904 unternahmen<br />

M. von Martini und Kapitän Deasy mit zwei<br />

französischen und einem englischen Journalisten,<br />

die täglich spaltenlange Reportagen schrieben,<br />

eine zwölftägige Parforcetour über 3000 km:<br />

Neuenburg —Vaux —Martigny—Forclaz—Kl. St.<br />

Bernhard —Turin —Valloirs — Cesanne — Susa—<br />

Turin — Cab—Pignerole—Nizza—Barcelonette—<br />

Lauterat—Grenoble—Genf und befuhren 29 Pässe.<br />

Am Steuer sass fast die ganze Zeit, namentlich<br />

bei den Passfahrten, M. von Martini, der sich<br />

noch genau daran erinnert, dass sämtliche fünf<br />

Insassen bei dieser ununterbrochenen Berg- und<br />

Talfahrt und durch den raschen Klimawechsel<br />

regelrecht von der Bergkrankheit befallen wurden.<br />

Bei diesem Anlass wurde die Forclaz, ein<br />

schmales Strässchen von kaum 2,5 m Breite mit<br />

engen und steilen Kurven, erstmals von einem<br />

Automobil befahren, und zwar heimlicherweise!<br />

Die zuständigen Behörden in Martigny verweigerten<br />

die Bewilligung, und sie Hessen sich auch<br />

nicht durch das Angebot, einige hundert Franken<br />

zugunsten der Armen zu stiften, erweichen,<br />

eine Ausnahme vom bestehenden Fahrverbot zu<br />

gestatten. Nun, die Equipe machte um 2 y? Uhr<br />

nachts Tagwacht, bemühte sich, den Wagen möglichst<br />

ohne Lärm in Gang zu setzen und nahm<br />

einen wegkundigen Führer mit, der, wie eine<br />

Quittung beweist, geradezu fürstlich honoriert<br />

wurde.<br />

Im Winter 1904 zeichnete sich ein Martini<br />

neuerdings bei einer 4000-km-Zuverlässigkeitsfahrt<br />

in England aus, und zwei Wagen belegten<br />

bei der einst sehr bekannten deutschen Herkomerfahrt<br />

im Jahre 1905 die ersten beiden<br />

Ränge ihrer Klasse.<br />

Die Produktion betrug 1903 ca. 100 Stück und<br />

1904 ca. 130 Wagen.<br />

Die Firma Martini & Co. AG. in Frauenfeld<br />

verkaufte anÄtigs 1906 die Niederlassung in<br />

St-Blaise an eine englische Gesellschaft, die unter<br />

dem Namen Martini Automobiles Co. Ltd.<br />

zuerst zwei Modelle von 20—24 und 30—40 PS<br />

herausbrachte. Bei beiden Typen war eine Metallkupplung<br />

vorhanden, und die vierte « Geschwindigkeit<br />

» stand im direkten Eingriff. Das<br />

neue Unternehmen veranschlagte die Jahresproduktion<br />

auf 220 Stück. Im nächsten Jahr sind<br />

drei Vierzylinder von 90X120 mm (3053 cm»<br />

Hubraum), 100X130 mm (4084 cm 8 ) und von<br />

126X150 mm (7481 cm 8 ) hergestellt worden. Je<br />

zwei und zwei Zylinder wurden paarweise zusammengegossen.<br />

Die Regulierung der Tourenzahl,<br />

welche einen Bereich von 200—1200 U/min<br />

hatte, erfolgte durch einen auf dem Steuerrad<br />

angebrachten Drosselhebel. Eine Rotationspumpe<br />

bewirkte die Kühlwasserzirkulation. Die Ventile<br />

waren symmetrisch auf beiden Seiten der Zylinder<br />

angeordnet. Der Vergaser hatte automatische<br />

Luftzufuhr, ausserdem wurde er durch<br />

das Kühlwasser vorgewärmt. Die grösseren Modelle<br />

besassen eine auf die Differentialwelle<br />

wirkende Fussbremse mit Wasserkühlung; die<br />

Hinterräder hatten Innenbremsen.<br />

Am 30. Januar, 1908 konstituierte sich die Societe<br />

Nouvelle des Automobiles Martini (Neue<br />

Martini Automobil Aktiengesellschaft) zum<br />

Zwecke der Erwerbung der Fabriken, welche<br />

der Martini Automobiles Company Limited<br />

gehörten. Das Gesellschaftskapital betrug Fr.<br />

2 160 000.<br />

Für den Grand Prix der Voituretten 1908 in<br />

Dieppe meldeten die Martini-Werke eine Dreiermannschaft.<br />

Die speziell hergerichteten Fahrzeuge<br />

besassen Vierzylindermotoren von 62 mm<br />

Bohrung und 90 mm Hub, Kopfventile mit Königswellensteuerung,<br />

Dreiganggetriebe und Kardanantrieb.<br />

Nach dem Bericht der «AR » erzielten<br />

die Martini von allen Vierzylindertypen<br />

mit 60 km/h für 400 km den besten Durchschnitt.<br />

Von der Equipe belegte Sonvico den 7., Beck<br />

den 8. und Richard den 10. Rang. Dieses Trio gewann<br />

den Regularitätspreis der Mehrzylinder,<br />

denn die Differenzen betrugen in den einzelnen<br />

Runden im Maximum 14 Sekunden. Als zweite<br />

Auszeichnung erhielt Martini den Delage-Preis,<br />

und Kegelräder. Weitere Merkmale waren<br />

Schneckenlenkung und zwei Bremsen. Die Fussbremse<br />

wirkte am Umfang einer hinter dem Getriebe<br />

gelegenen Scheibe, die Handbremse auf<br />

die Radnaben. Vom Typ 12 PS gab es noch ein<br />

sogenanntes leichtes Chassis, 80X130 mm, 30 PS<br />

und 760 kg. Das Modell 15-PS-Sport zeichnete<br />

sich durch eine Monobloc-Konstruktion, vier<br />

Ventile pro Zylinder, halbkugelförmigen Verbrennungsraum,<br />

obenliegende Nockenwelle und<br />

Bandkupplung aus. An Nutzfahrzeugen wurden<br />

zwei Lieferwagen für 500 kg (12 PS) und 1000<br />

kg (18 PS) sowie ein 3,5-Tonnen-Camion mit<br />

Kettenantrieb fabriziert.<br />

Für die dritte Tour de France (1.—25. März<br />

1914), die in 12 Tagesetappen über 5070 km<br />

führte und verschiedene Geschwindigkeitsprüfungen<br />

enthielt, liess Martini einen Vierzylinderwagen<br />

von 85X132 mm herrichten, dessen<br />

Motor 16 statt 8 Ventile hatte. Der Fahrer Albert<br />

Guyot erzielte beim eingelegten La-Barraque-<br />

Bergrennen die beste Tageszeit von 33 Konkurrenten.<br />

An der Landesausstellung in Bern fanden die<br />

drei Modelle 1914 verdiente Beachtung. Martini<br />

baute damals einen 8'22-Monobloc-Motor mit 80<br />

mm Bohrung und 120 mm Hub, einen Vierzylinricht<br />

um eine Stundung nachsuchen musste.<br />

Eine ausserordentliche Generalversammlung beschloss<br />

am 14. Dezember 1911, das Prioritätskapital<br />

von Fr. 1 260 000 auf Fr. 126 000 zu reduzieren<br />

und das Stammaktienkapital von Fr.<br />

900 000 gänzlich abzuschreiben.<br />

Es wurde ein neues Aktienkapital von Fr.<br />

830 000 gebildet; davon zeichnete ein Konsortium,<br />

das die Forderung der Volksbank in Biel<br />

in Liquidation an die Martini AG. im Betrage<br />

von über 1,4 Mill. Fr. übernommen hatte, in bar<br />

Fr. 300 000; ihm wurden ausserdem Fr. 404 000<br />

Aktien überwiesen. Den Prioritätsaktionären<br />

blieben Fr. 120 000 überlassen; an Stelle der<br />

Stammaktien traten 7200 Genußscheine. Gegen<br />

diese Transaktion erhob sich eine starke Opposition<br />

der Kleinaktionäre, doch erfuhr der Vertrag<br />

mit 7567 gegen 267 Stimmen seine Ratifikation.<br />

Der Verwaltungsrat bildete sich neu mit<br />

Emile Lambelet als Präsident und S.Graf als<br />

Delegierter. Zum technischen Direktor wurde<br />

der Franzose Ing. Emil Fochier, der bei Mors<br />

und bei Zedel in Pontarlier tätig gewesen war,<br />

gewählt; die kaufmännische Leitung hatte der<br />

Schweizer Georges Walther inne.<br />

Gute Zelten.<br />

Die erste Sanierung scheint sich gerechtfertigt<br />

zu haben. Durch die Anschaffung neuer<br />

Werkzeugmaschinen Hessen sich viele Bestandteile<br />

rationeller anfertigen, und die Belegschaft<br />

stieg auf 250 Köpfe. Schon Mitte Juli 1912 verkündete<br />

eine Notiz, die Firma Martini habe an<br />

einem Wettbewerb in Paris für die Lieferung<br />

von 53 Motorwagen nach Südamerika als einzige<br />

Marke sämtliche Bedingungen erfüllt und einen<br />

Auftrag von Fr. 600 000 erhalten. Das erste Geschäftsjahr<br />

nach der finanziellen Rekonstruktion<br />

schloss denn auch nach reichlichen Abschreibungen<br />

mit einem Reinertrag von Fr. 46 657 ab,<br />

welcher die Ausschüttung einer Dividende von<br />

5 % gestattete.<br />

Das Programm für 1913 umfasste vier Typen:<br />

12 PS 15 PS 18 PS 25 PS<br />

Sport VentHlos<br />

Bohrung mm 80 85 90 100<br />

Hub mm 120 132 140 140<br />

Brems-PS 26 48 40 40<br />

Radstand mm 2820 2866 3 134 3 240<br />

Spurweite mm 1300 1280 1350 1350<br />

Chassis-Gewicht kg 800 720 980 1000<br />

Preise m. Pneus Fr. 8600 9800 11200 13 500<br />

Bei den 12- und 18-PS-Typen steuerte eine<br />

auf der Auspuffseite gelegene Nockenwelle die<br />

stehenden Ventile. Wasserkreiselpumpe und<br />

Elektromagnet sassen auf einer Transversalwelle.<br />

Eine von der Steuerwelle mittelst Exzenter<br />

angetriebene Kolbenpumpe presste das Oel<br />

durch ein Netz von Röhren zu jedem Kurbelzapfen,<br />

den Nockenwellenlagern und an das Gehäuse,<br />

von wo aus Kolbenbolzen und Zylinder-<br />

Details der Martini-Personenwagen aus dem Jahr 1910. Im<br />

Motorenbau strebte man damals «glatte Formen> an.<br />

der für diejenige Marke bestimmt war, deren<br />

Wagen den ausgesprochenen Tourenmodellen am<br />

nächsten kamen. Sonvico wurde die Coupe Gregoire<br />

für den schnellsten Mehrzylinder zugesprochen.<br />

Im Jahre 1910 erschien ein neuer 16/24-PS-<br />

Typ, ein Vierzylinder von 90X130 mm (3308<br />

cm 8 ), der bei 1400 U/min 28 Brems-PS entwikkelte.<br />

Der Ventilmechanismus war vollständig<br />

eingekapselt. Weitere Neuerungen waren eine<br />

Oelpumpe für die Schmierung, eigener Vergaser,<br />

Boschmagnet, Hinterradbremsen mit Ausgleich.<br />

Die Spurweite betrug 1,35 m, der Radstand<br />

3,040 m.<br />

Nach dem Rapport des Verwaltungsrates<br />

wurden im Geschäftsjahr 1909'10 — abgeschlossen<br />

auf 30. September — 260 Chassis hergestellt,<br />

197 Wagen im Fakturabetrag von Fr. 1 553 179<br />

geliefert und Bestellungen für 209 Stück entgegengenommen.<br />

Die Sanierung von 1911.<br />

Durch den Zusammenbruch der Bieler Volksbank<br />

geriet die Fabrik in finanzielle Schwierigkeiten,<br />

so dass sie im Dezember 1910 beim Gewandungen<br />

geschmiert wurden. Der Druck des<br />

Oeles liess sich durch ein Umlaufventü einstellen<br />

und an einem am Spritzbrett montierten Manometer<br />

kontrollieren. Die Kraftübertragung erfolgte<br />

durch ein Vierganggetriebe, Doppelkardan<br />

AUS MARTIN!« RKOSSER<br />

7rr<br />

Ein Rennwagen aus dem Jahr<br />

1910 mit Albert Guyot am<br />

Steuer. Der Wagen hatte einen<br />

Vierzylindermotor von 85 mm<br />

Bohrung und 132 mm Hub (Kolbengeschwindigkeitl).<br />

der mit gleicher Bohrung, aber 130 mm Hub und<br />

den 18-PS-Typ. Dazu kam dann noch ein kleiner<br />

Zweiplätzer, 4 Zylinder, 60X120 mm, hinzu.<br />

Dieses Wägelchen, dessen zweisitziges Torpedo<br />

mit Lederpolsterung und Verdeck komplett<br />

ausgerüstet nur Fr. 5300.— kostete, besass eine<br />

Konuskupplung und ein Getriebe auf Kugellagern.<br />

Die Dimensionen lauteten: Spurweite<br />

1150 mm, Radstand 2400 mm, Gewicht mit Karosserie<br />

625 kg.<br />

Der 2,5—3-t-Lastwagen von 2200 kg Leergewicht<br />

wurde mit einem Vierzylindermotor von<br />

90X150 mm ausgerüstet, der bei 1000 U/min<br />

22 PS abgab. Ein solches Chassis ist u. a. von der<br />

finnischen Polizei als Mannschaftstransportwagen<br />

verwendet worden.<br />

Am 6. Juli 1915 wurde durch eine Statutenrevision<br />

das Aktienkapital auf Fr. 1250 000<br />

Erhöht (10 000 Stück ä Fr. 125.—). Gleichzeitig<br />

stimmten die Aktionäre folgenden Anträgen<br />

zu: Die Fabrik in Frauenfeld soll an<br />

eine neu unter dem Namen «Motorwerke<br />

Frauenfeld AG. » zu gründende Gesellschaft verkauft<br />

werden. Das Aktienkapital soll Fr. 200 000<br />

betragen, je die Hälfte wird von der Martini AG.<br />

und der Berna AG. aufgebracht. Beide Unternehmungen<br />

legen die Aktien der neuen Gesellschaft<br />

ins Portefeuille und üben eine Kontrolle<br />

über sie aus.<br />

yon der guten Konjunktur des ersten Weltkrieges,<br />

die in einer gesteigerten Ausfuhr zum<br />

Ausdruck kam, profitierte auch der Betrieb in<br />

St-Blaise. Im Jahre 1916 haben 265 Arbeiter 276<br />

Wagen gebaut, und der Fabrikationsertrag erreichte<br />

fast eine Million Franken, das Kapital<br />

konnte zu 8 % gegenüber 6 % im Vorjahr verzinst<br />

werden, „<br />

Durch Beschluss der ordentlichen Generalversammlung<br />

vom 2. Juni 1917 wurden 6000 neue<br />

Aktien ausgegeben, um das Kapital auf 2 Millionen<br />

Franken zu bringen. Der Präsidialbericht erwähnte,<br />

dass sich vier Typen in Konstruktion<br />

befinden; die Arbeiterzahl war auf 325 Mann<br />

angewachsen; es wurden 345 Wagen abgeliefert,<br />

und zwar fast ausschliesslich ins Ausland, das<br />

gute Offerten einreichte. Ende 1917 lagen noch<br />

Bestellungen für 200 Chassis vor. Während des<br />

gleichen Jahres ging die technische Leitung an<br />

Direktor Furrer über.<br />

Verlustjahre setzen ein.<br />

Dann aber erschütterten schwere Rückschläge<br />

das Unternehmen, dessen weiteres Schicksal<br />

sich fortan hauptsächlich im Handelsteil der<br />

<strong>Zeitung</strong>en wiederspiegelt. Wohl wies die Rechnung<br />

für 1918 noch einen kleinen Aktivsaldo von<br />

Fr. 74 731 auf, der in die Reserve gelegt wurde.<br />

Wegen der niedrigen Valuten stockte die Ausfuhr<br />

1919 fast gänzlich, und der einheimische<br />

Markt wurde mit billigen ausländischen Erzeugnissen<br />

überflutet. Zur Vereinfachung der Fabrikation<br />

beschränkte man sich auf ein Modell, und<br />

im Oktober wurde Ing. Brettauer als technischer<br />

Direktor engagiert.<br />

Die Betriebsergebnisse 1919 und 1920 zeitigten<br />

Defizite von zusammen Fr. 860 000.—, wozu<br />

der Verwaltungsrat bemerkte:<br />

«Obschon die Behörden die Schutzbedürftigkeit<br />

der schweizerischen Automobilindustrie<br />

anerkannt haben, konnten sie<br />

sich zu keinen die Ueberschwemmung des<br />

schweizerischen Marktes durch ausländische<br />

Automobile hindernden Massregeln entschliessen.<br />

Die Verteuerung aller Rohmaterialien<br />

und der Arbeitslöhne haben zusammen<br />

mit den Absatzschwierigkeiten' stärkere<br />

Betriebsmittel erfordert, als sie dem Unternehmen<br />

zur Verfügung standen. Verschiedene<br />

Verwaltungsratsmitglieder sind in starkem<br />

Masse mit persönlicher Hilfe eingesprungen.<br />

Gegen Ende des Jahres 1920 hat<br />

sich die Situation verschärft, weil einige<br />

Gläubiger mit' ihren Zahlungsbegehren so<br />

sehr drängten, dass sich die Gesellschaft<br />

Ende Januar veranlasst sah, die Bilanz beim<br />

Gericht zu deponieren und um ein Moratorium<br />

nachzusuchen. Die Verwaltung hatte<br />

das sichere Vertrauen, dass mit einer Besserung<br />

der allgemeinen Situation auch die<br />

Lage des Unternehmens besser wird; es<br />

fehlte nur an den nötigen Betriebsmitteln,<br />

die durch eine Sanierung der Bilanz gewonnen<br />

werden sollten. »<br />

Gemäss Antrag des Verwaltungsrates wurde<br />

in einer ausserordentlichen Generalversammlung<br />

vom 30. April 1921 das Aktienkapital von<br />

2 Mill. Fr. auf 0,8 Mill. Fr. reduziert und die<br />

Neuausgabe von Prioritätsaktien im Betrage von<br />

1,2 Mill. Fr. beschlossen.<br />

Als erstes Nachkriegsmodell brachte Martini<br />

1921 den Typ FN-18/45-PS, einen soliden Vierzylinder,<br />

heraus. Das Chassis kostete mit moderner<br />

Ausrüstung Fr. 17 000.—, der Tourenwagen<br />

Fr. 21 000. Mit dem gleichen Motor wurde eine<br />

Camionnette für 1,5—2 t Tragkraft ausgerüstet.<br />

Ferner wurde ein Traktor für Eisenbahnen,<br />

Industrie und Landwirtschaft entwickelt, doch<br />

bestellte die SBB nur eine kleine Serie. Die Armee<br />

gab Auftrag für zehn Zweiliter-Chassis, die<br />

bekannten « Martineli >.<br />

An der Zusammenkunft der Aktionäre vom<br />

15. November 1922 mussten diese vernehmen,<br />

dass es nicht gelungen sei, das neue Prioritäts-<br />

Aktienkapital von 1,2 Mill. Fr. zu beschaffen.<br />

Nun erwarb der in der deutschen Automobilindustrie<br />

tätig gewesene schweizerische Ingenieur<br />

W. Steiger die Aktienmajorität. Der Verwaltungsrat<br />

setzte sich ab Juni 1924 aus Walter<br />

und Robert Steiger in Flawil, Otto Suhner (Herisau),<br />

L. Huguenin und G. Ducommun, beide in<br />

Le Locle, zusammen. Der Bericht für jenes Jahr<br />

stellte fest, dass die Nachbarstaaten, denen vor<br />

dem Kriege 50 % der Produktion verkauft worden<br />

waren, den schweizerischen Fabriken gänzlich<br />

verschlossen seien. Im folgenden Jahr wurde<br />

die Fabrikation in reduziertem Umfang betrieben<br />

und ein neues 6 - Zylinder - 3 - Liter - Modell<br />

vorbereitet, das dank einem grundpfandversicherten<br />

Bankkredit von einer halben Million<br />

Franken, der zur Installation neuer Werkzeuge<br />

und Maschinen diente, im Herbst 1926 in Fabrikation<br />

genommen werden konnte. Der Motor<br />

entwickelte bei 3000 U'min 70 PS; das Chassis<br />

war mit Vierradbremsen versehen.<br />

Inzwischen hatten die Jahre 1924—1928 bei<br />

allerdings stark verminderten Umsätzen den Kapitalverbrauch<br />

zeitweilig aufgehalten, worauf im<br />

April 1928 eine ausserordentliche Generalversammlung<br />

den Verwaltungsrat ermächtigte, das<br />

Aktienkapital wieder von 0,8 Mill. Fr. auf 2 Mill.<br />

Fr. hinaufzusetzen. Im ersten Halbjahr normaler<br />

Produktion wurden 150 Chassis hergestellt und<br />

85 zum Teil karossiert verkauft. Von der 300<br />

Stück betragenden Jahresproduktion waren bereits<br />

200 fest abgenommen.<br />

Die öffentliche Subskription entsprach jedoch<br />

nicht ganz den Erwartungen, und das Aktienkapital<br />

konnte lediglich um eine Million erhöht<br />

werden. Das Geschäftsjahr 1928 erbrachte neuerdings<br />

einen Verlust von über einer Viertelmillion<br />

Franken.<br />

Letzte Rettungsversuche und Auflösung-<br />

Arn Martini-Stand am Genfer Salon 1929<br />

wurden zwei Sechszylinder von 15 und 20<br />

Steuer-PS mit stehenden Ventilen gezeigt, deren<br />

Preise jedoch mit Fr. 18 000 und Fr. 25 000 für<br />

die Limousinen ziemlich hoch lagen. Ende Oktober<br />

des gleichen Jahres wählte eine^ausserordentliche<br />

Generalversammlung einen neuen<br />

Verwaltungsrat, der « sich auf national schwei- '<br />

zerischen Boden stellte ». Diese Deklaration hat<br />

aber die neue Leitung nicht davon abgehalten,<br />

die Lizenz des 2,5-Liter-6-Zylinder-13/50-PS-<br />

Wanderer zu erwerben, « um die grossen Konstruktions-<br />

und Versuchsspesen, welche die Erbauung<br />

eigener neuer Modelle erfordert, zu verringern<br />

». Der Volksmund taufte dieses fremde,<br />

jedoch mit dem Martini-Zeichen geschmückte<br />

Produkt trefflich «Deutsche Helvetia », und<br />

diese Geschäftspolitik scheint den Untergang<br />

noch beschleunigt zu haben. Für 1929 belief sich<br />

der Verlust auf Fr. 570 000 und für 1930 auf<br />

Fr. 940 000. Eine auf den 27. August 1930 einberufene<br />

ausserordentliche Aktionärversammlung<br />

musste erneut die Herabsetzung des Aktienkapitals<br />

von 1,8 Mill. Fr. auf Fr. 720 000 beschliessen,<br />

um durch die freiwerdenden 1,08 Mill.<br />

Fr. den Passivsaldo abzutragen. Wiederum blieben<br />

die Bemühungen, durch eine Subskription<br />

das Aktienkapital auf 1,5 Mill. Fr. zu erhöhen,<br />

erfolglos. Ja, nachdem bereits Arbeitszeitverkürzungen<br />

und Personalentlassungen vorgenommen<br />

worden waren, sah sich kurz darauf die Aktionärversammlung<br />

gezwungen, das Aktienkapital<br />

von Fr. 720 000 auf Fr. 180 000 abzuschreiben<br />

und neue Aktien bis zu Fr. 800 000 auszugeben.<br />

Im Frühjahr 1931 wurde der letzte Versuch<br />

mit zwei neuen Modellen* gewagt. Der Typ NF<br />

hatte einen Sechszylindermotor in Blockkonstruktion<br />

von 4379 cm 8 , ein Vierganggetriebe<br />

(davon zwei Gänge geräuschlos), Schneckenantrieb<br />

der Hinterachse, Lockheed - Vierradbremsen<br />

und Zentralschmierung. Das aus dem<br />

Wanderer abgeleitete und verbesserte Modell<br />

FUN wies folgende Merkmale auf: 6 Zylinder,<br />

3097 cm 8 , 70 PS, Einscheibenkupplung, Vierganggetriebe,<br />

Perrot-Vierradbremsen mit Westinghouse-Servo-Apparat,<br />

Zentralschmierung.<br />

Eine zweite, am 20. Mai 1931 durchgeführte<br />

Generalversammlung pflichtete den Richtlinien<br />

des Verwaltungsrates bei, wonach die Fabrikation<br />

neuer Wagen unterbleiben soll, weil eine<br />

starke Ueberproduktion an Automobilen und die<br />

daraus entstandene Absatzstockung eine Verschärfung<br />

des Konkurrenzkampfes im Autohandel<br />

brachte. Der letzte Geschäftsbericht pro, 1933<br />

lautete:<br />

« In diesem Jahr sind noch 60 Chassis<br />

und Automobile verschiedener Modelle verkauft<br />

worden, wofür Fr. 334 510 gelöst werden<br />

konnten. Für die Gesellschaft bedeuteten<br />

diese Preise einen Verlust. Versuche, mit<br />

andern Automobilfabriken in Verbindung zu<br />

treten, um eine Weiterbeschäftigung sicherzustellen,<br />

schlugen fehl. »<br />

An der Generalversammlung vom 12. Juni<br />

1934 fassten die Aktionäre einstimmig den Beschluss,<br />

das Unternehmen aufzulösen und zu liquidieren.<br />

So nahm die älteste und bekannteste schweizerische<br />

Personenwägenfabrik ein wenig ruhmreiches<br />

Ende, und es ist bezeichnend für unsere<br />

Verhältnisse, dass auf der Strasse eigentlich nur<br />

noch einige unverwüstliche Martini-Camionnetten<br />

und -Lastwagen die Erinnerung an eine<br />

Marke wachhalten, die doch während eines Vierteljahrhunderts<br />

ein tragender Pfeiler dev<br />

schweizerischen Automobilindustrie gewesen war

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