E_1949_Zeitung_Nr.027
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fc.27-IEM.1S.Jmim!<br />
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Wir fahren nach Ungarn<br />
Nachdem der Krieg schon so lange zu Ende<br />
ist, sollte man meinen, eine Fahrt mit dem Auto<br />
in ein benachbartes Land sei wieder ohne besondere<br />
Komplikationen möglich. Nun, dem ist leider<br />
nicht so. Hat man Reisepass mit Ausreiseund<br />
Wiedereinreise-Sichtvermerk, Visum, Autopapiere<br />
und Kraftstoffvorrat für eine Reise nach<br />
Ungarn endlich beschafft, so stellt sich einem<br />
als letztes, schier unüberwindliches Hindernis<br />
das Problem der Valuta in den Weg. Nach einer<br />
schlaflosen Nacht geht es in aller Eile zur Nationalbank;<br />
Ergebnis: 200 Forint sind bewilligt (die<br />
ungarische Nationalbank wechselt zu dem sehr<br />
ungünstigen Kurs von 50 Ft. für 100 österr. Seh.<br />
um). Damit plus 100 Schilling Ausfuhr-Freibetrag<br />
sollen zwei kalorienbedürftige Oesterreicher<br />
sowie ein an und für sich anspruchsloser<br />
DKW drei Wochen auskommen; einfach unmöglich<br />
— aber wir fahren doch! Wir haben da<br />
unten am anderen Ende Ungarns, dort, wo die<br />
Drau in die Donau fliesst, liebe Verwandte, und<br />
dort wollen wir hin.<br />
An einem herrlich, schönen Sonntagvormittag<br />
verlässt ein kleiner DKW mit zwei festlich gestimmten<br />
Menschen an Bord in Süd-Südost-<br />
Richtung die Wiener Stadt. Auf guter Asphaltstrasse<br />
geht es über Laxenburg, Ebreichsdorf in<br />
Richtung Oedenburg. Gleich hinter dem letzten<br />
Haus von Klingenbach verschliesst eine<br />
Schranke uns den Weg: Oesterreichische Grenze.<br />
Eine korrekte, aber peinlich genaue Kontrolle<br />
folgt. Nach einer halben Stunde geht der Schlagbaum<br />
hoch, und wir fahren hinein ins Ungewisse.<br />
Erster Eindruck: Furchtbar schlechtes<br />
Strassenstück. Am rot-weiss-grünen Schlagbaum<br />
nur ein Posten, der nach einem kurzen Blick in<br />
unsere Pässe mir zu verstehen gibt, dass hier<br />
bloss eine Vorköntrolle stattfindet; die Hauptabfertigung<br />
geschieht beim Zollhaus, das ein<br />
gutes Stück hinter der Grenze liegt. Dort stürzen<br />
sich gleich zwei Beamte über unsere Papiere.<br />
Gepäckkontrolle gibt es hier keine; was<br />
sollen wir auch schon aus Oesterreich nach Ungarn<br />
mitnehmen, vielleicht Esswaren? Aber<br />
hier muss ich meine ersten Forints auf den Tisch<br />
legen: einmalige Ablösegebühr für die Strassenmaut,<br />
die von ungarischen Wagenlenkern bei der<br />
Durchfahrt durch grössere Städte zu erstatten<br />
ist. Nach einer guten halben Stunde sind wir<br />
auch hier abgefertigt, und es geht auf noch immer<br />
schlechter Strasse nach Oedenburg (Sopron).<br />
Man staunt, wieviel schon wieder aufgebaut<br />
wurde; diese alte, vertraute Stadt hat durch<br />
die Kriegsereignisse starken Schaden erlitten.<br />
Wir können es natürlich trotz dem grossen Zeitverlust<br />
an den beiden Grenzzollämtern nicht<br />
unterlassen, unsere neugierigen Blicke in die<br />
Schaufenster zu richten. Leider ist ein Teil durch<br />
Rolläden verschlossen; es ist ja Sonntag, aber<br />
wir sehen schon hier ein recht grosses Warenangebot,<br />
vor allem eine reiche Auswahl an Lebensmitteln.<br />
Zum langen Verweilen bleibt uns<br />
keine Zeit; es ist schon Mittag geworden, und<br />
der Plattensee ist noch weit... Von Sopron<br />
führt eine herrliche Betonstrasse südostwärts.<br />
Hoffentlich bleib's so, denke ich, aber schon<br />
nach ca. 8 km im nächsten Ort « Köphäza » ist<br />
mein Traum zu Ende. In kühner Linksschleife<br />
wendet sich meine Betonstrasse in Richtung<br />
Györ (Raab), und ich steuere meinen DKW<br />
über Stock und Stein in die Richtung, die mir<br />
der Wegweiser mit der Aufschritt «Särvär<br />
50 km » zeigt<br />
Hier einige Worte zum Kapitel « Wegweiser<br />
und Ortstafeln ». Schon vor dem Krieg ist dieses<br />
Problem in Ungarn in vorbildlicher Weise ge-<br />
Von Hans Szalay.<br />
löst worden. Als Ortstafeln dienen weisse,<br />
schwarz umrahmte rechteckige Tafeln mit<br />
schwarzer Schrift; darunter, in einem kleinen,<br />
separaten Feld, steht die Nummer der Strasse.<br />
Angenehm empfindet der ausländische Motorist<br />
die grossen und sehr übersichtlichen Vorankündungstafeln<br />
bei Strassenkreuzungen oder -abzweigungen.<br />
Man spart sich dadurch das<br />
lästige Anhalten am Abzweigpunkt. Während<br />
meiner Fahrt habe ich kaum einen Ort ohne Namentafel<br />
gesehen; desgleichen sind die Strassen,<br />
wenn ihr Zustand auch noch so mörderisch ist,<br />
gut durch Wegweiser markiert.<br />
Der Strassenzustand scheint sich in Richtung<br />
Särvär noch zu verschlechtern; es ist eine<br />
Schotterstrasse, reich besät mit Schlaglöchern<br />
und teilweise von Wellen durchzogen. Als Folge<br />
davon muss ich mein Reisetempo erheblich drosseln.<br />
Wir sind die einzigen Verkehrsteilnehmer<br />
auf weiter Flur; nur hin und wieder huscht ein<br />
Radfahrer oder Bauernwagen in der Gegenrichtung<br />
vorüber. Oder wir überholen ein mit<br />
fröhlich singenden Menschen vollgepfropftes<br />
Lastauto, das in den nächsten grösseren Ort<br />
fährt. Obwohl wir nun schon ein schönes Stück<br />
im Ungarland drin sind, zeigt das Landschaftsbild<br />
links und rechts der Strasse nicht den typischen,<br />
ungarischen Tiefebene-Charakter; man<br />
könnte sich ebensogut irgendwo in Nieder-<br />
Ungarn 1948.<br />
Strassenbaustelle am Ortsanfang von Simontornya.<br />
Oesterreich wähnen. Särvar ist ein nettes ungarisches<br />
Städtchen; das herrliche Wetter hat<br />
die Einwohner auf die Strasse gelockt, und so<br />
wandeln sie, sonntäglich gekleidet, durch die<br />
kleine Stadt. Neugierige Blicke streifen unsern<br />
Wagen, der durch ein grosses Wappen auf der<br />
Windschutzscheibe als ausländischer Wagen gekennzeichnet<br />
ist. Im allgemeinen spielt sich der<br />
Fremdenverkehr der Motoristen entlang der<br />
grossen internationalen Durchgangsstrasse Wien<br />
—Raab—Budapest—Szeges und auf der Strasse<br />
Budapest — Stuhlweissenburg — Plattensee ab.<br />
Gleich hinter Särvär führt die Strasse über die<br />
Raab, jenes kleinen steirischen Flusses, der bei<br />
Könnend ungarischen Boden betritt und als<br />
Hauptfluss durch Westungarn zieht. Der andauernd<br />
schlechte Straßenzustand lässt kein<br />
gutes Reisetempo zu. Ueber Jänoshäza und<br />
Sümeg führt uns die Strasse durch eine stellenweise<br />
recht abwechslungsreiche Landschaft nach<br />
Tapolca, einem wichtigen Strassenknotenpunkt.<br />
Von hier ist es nur noch rund 15 km bis zum<br />
Plattensee.<br />
In Tapolca frage ich nach dem besten Weg<br />
zum See. Bereitwillig bemühen sich einige Passanten,<br />
meinem in deutscher Sprache vorgebrachten<br />
Wunsch gerecht zu werden. Wenn es<br />
auch nicht ganz leicht geht, so bekomme ich<br />
doch um so herzlicher Auskunft und erfahre,<br />
dass der bessere Weg diesmal nicht auch der<br />
kürzere ist. Wir fahren also nach Badacsonytomaj.<br />
Da steigt die Strasse plötzlich an, und<br />
von der Höhe aus bietet sich uns ein wunderbarer<br />
Blick: Dort unten liegt im Glänze der<br />
untergehenden Sonne das Herz Westungarns, der<br />
Plattensee (Balaton); wie ein breites, silbernes<br />
Band schimmert er uns aus der Ferne entgegen.<br />
Aller Aerger über die schlechten Strassen ist<br />
nun vergessen, und ich beeile mich, rasch die<br />
Uferstrasse zu erreichen.<br />
In Badacsonytomaj rollen wir zu unserer<br />
grössten .Freude über die mit erstklassigem<br />
** J*<br />
«t»<br />
i<br />
Raab (Gyor) 1948. Rathaus mit Sowjetstern.<br />
Asphalt versehene Balaton-Uferstrasse. Ich bin<br />
von *där eigentümlichen Schönheit dieses grössten<br />
und wärmsten Sees Mitteleuropas entzückt.<br />
Ina der FremHenverkehrsv^erbuhg für Ungarn<br />
spielt der Plattensee keine j! geringe Rolle, bietet<br />
er äoeh alle" erdenklichen Möglichkeiten für<br />
Wasser- und Schwimmsport. Der See hat die<br />
beträchtliche Länge von rund 75 km und eine<br />
Breite" von 4—13 fcm. Weniger aufregend ist<br />
seine- Tiefe, die im Höchstmass 11 m beträgt.<br />
Der See ist an vielen Stellen vom Ufer bis einige<br />
100 m weit weg so-seicht, dass man auf dem<br />
Grunde gehen kann. Der Fischreichtum des Plattensees<br />
spiegelt sich in den Speisekarten der<br />
Restaurants und Csardas' (~ Rasthaus) rund um<br />
den See in Form von FiSchgulyas, auf ungarisch<br />
Haläsle, und diversen anderen Fischspeiseh wieder.<br />
Eine Reihe von Kurorten liegen an der<br />
Uferstrasse, so am Nordufer Balatonfüred, am<br />
Westend Keszthely und am Südufer Siöfok, unser<br />
Tagesziel.<br />
Die herrliche Betonstrasse führt manchmal<br />
bis hört an den See heran, um dann aber wieder<br />
weiter äuszübiegen. Ueber Revfülöp und Zänka<br />
geht es zu der weit in den See hineinragenden<br />
Halbinsel Tihany. Sie teilt den See in zwei ungleiche<br />
Hälften. Von der Inselspitze bis zum<br />
gegenüberliegenden Ufer ist die engste Stelle des<br />
Sees, und hier verkehrt auch die einzige Fähre<br />
für Fahrzeuge in einstündigen Intervallen.<br />
Wir rollen auf die Fähre, nachdem meine<br />
Geldbörse um 9 Forint für die Fährgebühr erleichtert<br />
wurde, und « schwimmen » sanft über<br />
das «ungarische Meer». Nach einer halben<br />
Stunde sind wir am Südufer. Noch 18 km, und<br />
wir werden Siöfok erreichen. Die Strasse läuft<br />
hier ein schönes Stück schnurgerade, ich trete<br />
nun tüchtig aufs Gas; das scheint auch unserem<br />
DKW nach der langen Bummelei nur recht zu<br />
sein, denn er schnurrt lustig dahin. In Siöfok<br />
heisst es, ein nettes Hotel zu finden. Das fällt<br />
uns weiter nicht schwer, denn es sind nur ganz<br />
wenig Kurgäste hier. Es ist keine Saisonzeit, und<br />
Ungarn 1948: Päppelallee vor Sümeg.<br />
ausserdem macht sich die politische Umstellung<br />
Ungarns auch im Fremdenverkehr bemerkbar.<br />
Die Gäste aus dem Westen, die vor dem Krieg<br />
recht zahlreich vertreten waren, fehlen nun. Wir<br />
sind wohl nicht nur in unserem Hotel, sondern<br />
auch in ganz Siöfok die einzigen Ausländer. Das<br />
Hotel, nicht ganz billig (ein Doppelzimmer kostet<br />
40 Forint pro Tag), dafür sauber, ist durch<br />
unsere Ankunft richtig in Aufregung geraten;<br />
wir freuen uns, dass man sich überall bemüht,<br />
Uns in deutscher Sprache Auskunft zu -geben!<br />
Der Abend sieht uns in einem netten Restaurant<br />
bei gutem Essen und feurigem Badacsony-<br />
Wein. Dazu die einschmeichelnden Klänge der<br />
Geige des Zigeunerprimas. Unsere Stimmung ist<br />
angeregt. Auch der Tanz kommt zu seinem<br />
Recht; meine Reisegefährtin versucht einen<br />
Csardas mit dem Herrn des Hauses, einem ziemlich<br />
beleibten, gemütlichen Ungarn. Es gibt eine<br />
Doppelüberraschung für mich: einmal das<br />
schlichtweg vollendete Csärdastalent meiner lieben<br />
«Sozia», dann das schier unglaubliche<br />
Drehvermögen dieses, wie gesagt, nicht ganz<br />
schlanken Herrn. Erst nach Mitternacht fallen<br />
wir todmüde ins Bett.<br />
Am folgenden Tag scheiden wir von Siöfok.<br />
Kaum aus dem Ort herausgekommen, holpert<br />
der gute DKW wieder über eine scheusslich<br />
schlechte Schotterstrasse, über und über mit<br />
Riesenlöchern gespickt. Beiderseits der Strasse<br />
dehnen sich fruchtbare, weite Felder aus. Fleissig<br />
arbeiten die Bauern und blicken nur kurz<br />
von ihrer Arbeit auf, wenn wir rajt einer mäch- V<br />
tigen Staubwolke hinterher vorüberrauschen.<br />
Ueber Daränypuszta, Tamäsi erreichen wir<br />
Högyesz. Kurz vorher fahren wir über .eine Notbrücke,<br />
da die Strassenbrücke über die Kapos<br />
gesprengt ist Noch liegen unten am Ufer und<br />
im Wasser die Trümmer der alten Brücke als<br />
Mahnmal an eine furchtbare Zeit. Nach Högyesz<br />
passieren oder, besser gesagt, jonglieren wir über<br />
eine längere Strassenreparaturstelle. Da" keine<br />
Umleitung vorgesehen ist, müssen wir wohl oder<br />
übel durch die frisch aufgeschütteten und noch<br />
nicht festgewalzten spitzen Schöttersteine fahren.<br />
Nachher aber ist die Strasse bedeutend<br />
besser, und es geht in flotter Fahrt unserem Ziel,<br />
Fünfkirchen, entgegen.<br />
An die Stelle der weiten, fruchtbaren Ebene<br />
sind nun kleine, liebliche Hügel getreten. Die<br />
Dörfer haben hier nicht magyarischen Charakter,<br />
sondere sind typische Schwabensiedlungen,<br />
blitzsauber mit schneeweiss getünchten Häusern.<br />
Wir sind bereits im Siedlungsgebiet der Fünfkirchner<br />
Schwaben. Als letzten grösseren Ort vor<br />
unserem Endpunkt erreichen wir Bonyhäd, den<br />
Hauptort des deutschen Siedlungsraumes in<br />
Westungarn, eine recht nette, kleine Stadt. Diese<br />
bis zum Kriegsende fast rein deutsche Stadt ist<br />
heute beinahe ganz magyarisiert. Alles was Haus<br />
und Hof hatte, wurde ausgewiesen. So findet<br />
man dort nur noch Volksdeutsche, die entweder<br />
unentbehrliche Fachkräfte sind oder mittellose.<br />
Eine halbe Stunde später haben wir unser<br />
Ziel erreicht. Herrliche Tage voll Frohsinn,<br />
Sorglosigkeit und Faulenzerei folgen.<br />
Dann ging es zurück zum Balaton, aber diesmal<br />
über Kaposvär und von hier auf guter<br />
Schotterstrasse nach Balatonboglär. Auch hier<br />
wieder die herrliche Beton-Asphaltuferstrasse.<br />
Wir fahren nun um die Westseite des Sees über<br />
Balatonkeresztür nach Keszthely. Die Orte ent-<br />
•ariapest I94S: Blick von der neuen Kossurhbrücfce auf die Ueberreste d»r Szichenyi-Lonchid (Kettenbrücke}« rechts die<br />
königliche Burg; im Hinlergrund der G6ilertberg mit der Zitadelle.<br />
Budapest 194t: Das Parlamentsgebäude.