VorhangAuf_114_KT
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„Vorteil Nummer zwei!" lobte die doppelgescheckte klappernde<br />
Riesenschlange. „Das hättest du mit deiner Knollennase<br />
niemals gekonnt. Findest Du nicht, dass die Sonne sehr<br />
heiß brennt?" „Richtig", gab das Elefantenkind zu; und bevor<br />
es wusste, was es tat, hatte es eine Ladung Schlamm von den<br />
Ufern des großen graugrün-schlammigen Limpopostromes<br />
in seinen Rüssel geladen und klatschte sie sich auf den Kopf,<br />
machte sich so eine kühle Schlammütze, aus der es hinter<br />
seinen Ohren herabtröpfelte.<br />
„Vorteil Nummer drei!" pries die doppelgescheckte klappernde<br />
Riesenschlange. „Das hättest du mit deiner Knollennase<br />
niemals gekonnt. Möchtest du nicht einmal wieder eins<br />
übergezogen bekommen?" „Entschuldigung!" sagte das Ele -<br />
fantenkind, „aber das möchte ich ganz und gar nicht." -<br />
„Aber würdest du vielleicht jemand anderem gern eins überziehen?"<br />
fragte die doppelgescheckte klappernde Riesenschlange.<br />
„Das würde ich von Herzen gern tun!" antwortete<br />
das Elefantenkind. „Schön", meinte die doppelgescheckte<br />
klappernde Riesenschlange, „deine neue Nase wird dir sehr<br />
nützlich sein, wenn du jemandem eins überziehen willst."<br />
„Danke sehr", sagte das Elefantenkind, „das will ich mir merken<br />
- und jetzt will ich nach Hause gehen zu all meinen teuren<br />
Verwandten und will es gleich ausprobieren."<br />
So wanderte das Elefantenkind heim durch ganz Afrika und<br />
schwenkte lustig seinen Rüssel. Wenn es Appetit auf Früchte<br />
hatte, riss es sich die Früchte vom Baum, statt wie früher<br />
zu warten, bis sie herabfielen. Wenn es Lust bekam Gras zu<br />
fressen, rupfte es sich das Gras vom Boden ab, statt wie früher<br />
sich mühselig niederzuknien. Wenn die Fliegen es stachen,<br />
brach es sich eine Zweig ab und benutze ihn als Fliegenwedel.<br />
Da machte es seinen Rüssel lang und warf zwei seiner lieben<br />
Brüder zu Boden. „Bananen und Melonen!" riefen alle, „wo<br />
hast du diesen Kniff gelernt! Und was hast du mit deiner<br />
Nase gemacht?" „Ich habe vom Krokodil an den Ufern des<br />
großen graugrün-schlammigen Limpopostroms eine neue<br />
Nase bekommen", erwiderte das Elefantenkind; „ich fragte<br />
es, was es zu Mittag speist, und es gab mir dies hier als Andenken."<br />
„Es sieht hässlich aus", meinte sein wolliger Onkel der Pavian.<br />
„Das ist wahr", gab das Elefantenkind zu, „aber es ist sehr<br />
nützlich", und es packte mit dem Rüssel seinen wolligen Onkel,<br />
den Pavian, an einem seiner wolligen Beine und schlenkerte<br />
ihn in ein Hornissennest. Darauf zog das unartige Ele -<br />
fantenkind all seinen lieben Verwandten etwas Ordentliches<br />
über, bis ihnen die Hut brannte und sie höchst erstaunt waren.<br />
Auch trompetete es seinen fetten Onkel, das Nilpferd,<br />
an und spritzte ihm Wasser ins Ohr, wenn er gerade sein<br />
Mittagsschläfchen hielt – aber niemals erlaubte es, dass jemand<br />
den Vogel Kolokolo anrührte<br />
Schließlich wurde die Lage für all seine teueren Verwandten<br />
so gefährlich, dass einer nach dem andern sich eilig aufmachte<br />
nach dem großen graugrün-schlammigen Limpopostrom,<br />
an dessen Ufern überall Fieberbäume stehen, um<br />
sich vom Krokodil neue Nasen zu holen. Nachdem die Elefanten<br />
zurückgekehrt waren, ließ einer den anderen in Ruhe.<br />
Und warum wohl? Seit jener Zeit haben alle Elefanten auch<br />
einen solchen Rüssel wie das unersättlich neugierige Elefantenkind.<br />
TEXT: NACH RUDYARD KIPLING. BILDER: MONIKA OBSER.<br />
An einem dunklen Abend traf das Elefantenkind all seine<br />
teuren Verwandten wieder, und es rollte seinen Rüssel ganz<br />
dicht zusammen und rief: „Wie geht's, wie geht's?"<br />
Alle waren erfreut, es wiederzusehen, und sagten sogleich:<br />
„Komm her, wir wollen dir für deine unersättliche Neugier<br />
eins überziehen." - „Pah", prahlte das Elefantenkind, „ihr habt<br />
keine Ahnung! Das könnt ihr ja nicht, aber ich kann es, und<br />
ich will es euch zeigen."<br />
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