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Restaurator im Handwerk – Ausgabe 4/2011 - Kramp & Kramp

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52<br />

Interview<br />

� Matthias Hoffmann-Tauschwitz ist Architekt<br />

und Kunsthistoriker und leitet seit 2004<br />

das Kirchliche Bauamt der Evangelischen Kirche<br />

Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz<br />

mit Sitz in Berlin. Das Bauamt ist zuständig<br />

für die Kirchenaufsicht über die Bauvorhaben<br />

der Kirchengemeinden und Kirchenkreise, für die<br />

landeskirchlichen Gebäude und das Immobilienmanagement,<br />

das heißt, die strategische Planung<br />

und Beratung in bezug auf den Gebäudebestand.<br />

RiH: Welche Kriterien müssen erfüllt sein,<br />

um ein Kirchengebäude einer anderweitigen<br />

Nutzung zuzuführen oder sogar zu entwidmen?<br />

MHT: Eine Entwidmung steht nur dann an,<br />

wenn ein Kirchengebäude auf Dauer nicht<br />

mehr nahe am kirchlichen Nutzungszweck<br />

öffentlich genutzt werden soll, also z. B. an<br />

Privatpersonen oder Gewerbetreibende verkauft<br />

wird. Bei der Mehrzahl der betreffenden<br />

Fälle handelt es sich jedoch um eine<br />

sogenannte Nutzungserweiterung, also eine<br />

zusätzliche Nutzung neben der kirchlichen.<br />

Hier ist eine Entwidmung nicht angezeigt.<br />

Dazu gibt es seit 2006 eine Richtlinie der<br />

Landeskirche, die sehr genau festlegt, was<br />

in einem Kirchengebäude sein darf und was<br />

nicht.<br />

RiH: Von welchen Faktoren hängt die Entscheidung<br />

über die Freigabe eines Kirchengebäudes<br />

ab?<br />

MHT: Der wesentlichste Faktor dafür, dass<br />

Kirchen aufgegeben werden, ist der demografische,<br />

also nicht nur der gegenwärtige zahlenmäßige<br />

Zustand einer Kirchengemeinde,<br />

sondern vor allen Dingen deren Entwicklung.<br />

Zwar kann die Zahl der Mitglieder durch<br />

Fusionen von Kirchengemeinden auf einem<br />

best<strong>im</strong>mten Niveau gehalten werden, das hat<br />

aber auch zur Folge, dass diese neugebildete<br />

Gemeinde über eine entsprechende Zahl an<br />

Kirchen verfügt, von denen nur noch wenige<br />

regelmäßig genutzt werden. Dann kommen<br />

natürlich Nutzungserweiterungen oder Umnutzungen<br />

in den Fokus der Überlegungen,<br />

wobei eine Erweiterung um eine kirchennahe<br />

oder -freundliche Nutzung <strong>im</strong>mer an erster<br />

<strong>Restaurator</strong> <strong>im</strong> <strong>Handwerk</strong> <strong>–</strong> <strong>Ausgabe</strong> 4/<strong>2011</strong><br />

Interview mit Kirchenoberbaurat Matthias Hoffmann-Tauschwitz<br />

Brauchen wir ein "Programm der Stilllegung"?<br />

Über die Umnutzung von Kirchengebäuden <strong>im</strong> Land Brandenburg<br />

Stelle steht. Eine Entwidmung wird nur in<br />

den Fällen in Erwägung gezogen, bei denen<br />

überhaupt kein Bedarf und keine Nachfrage<br />

mehr nach einer kirchlichen Nutzung des<br />

Gebäudes besteht und wenn es ein Gegenüber<br />

gibt, das sagt, ich möchte die Kirche in einer<br />

best<strong>im</strong>mten Weise ausschließlich weltlich<br />

nutzen. Solange es dieses Gegenüber nicht<br />

gibt, bleibt auch die Widmung bestehen.<br />

RiH: Welchen Stellenwert haben wirtschaftliche<br />

Erwägungen bei der Aufgabe<br />

eines Kirchengebäudes?<br />

MHT: Vor fast zehn Jahren haben wir etwas<br />

auf den Weg gebracht, was sich „kirchliches<br />

Immobilienmanagement“ nennt. Hier wird<br />

neben dem Abgleich von Gebäudebestand<br />

und Gebäudebedarf auch danach gefragt,<br />

was wir uns leisten können. Auch wenn wir<br />

die erweiterte Kameralistik erst in drei Jahren<br />

einführen werden, ist heute schon absehbar,<br />

dass wir uns den heutigen Gebäudebestand<br />

nicht mehr werden leisten können. Wirtschaftliche<br />

und kaufmännische Abwägungen<br />

rücken also hier zunehmend in den Vordergrund.<br />

RiH: Wie sieht das Verfahren aus, wenn eine<br />

Kirche entwidmet werden soll?<br />

MHT: Der Landessynode, also dem Kirchenparlament,<br />

und der Kirchenleitung war<br />

in dieser sensiblen Frage die allerbreiteste<br />

plebiszitäre Beteiligung sehr wichtig. Es gibt<br />

dazu ein geregeltes Verfahren in der kirchlichen<br />

Bauordnung, das alle Instanzen der<br />

Kirche miteinbezieht. Für die Entwidmung<br />

einer Kirche <strong>im</strong> Eigentum einer Kirchengemeinde<br />

ist zunächst ein Beschluss des<br />

Gemeindekirchenrates über die Absicht zu<br />

fassen. Dieser Beschluss ist der Kirchengemeinde,<br />

dem Kreiskirchenrat, der Kirchenleitung<br />

und dem Konsistorium bekanntzugeben<br />

und zu begründen. Nach einer Anhörung<br />

in der Gemeindeversammlung und nach der<br />

Stellungnahme der vorgenannten kirchlichen<br />

Instanzen kann der Gemeindekirchenrat<br />

letztendlich die Entwidmung beschließen.<br />

RiH: Bedeutet die Entwidmung einer Kirche<br />

zwangsläufig auch deren Veräußerung?<br />

MHT: Nein. Wir sind bemüht, das kirchliche<br />

Vermögen nicht zu schmälern, daher<br />

geben wir einem Erbbaurechtsvertrag den<br />

Vorzug, weil dann nach Ablauf des Vertrags,<br />

also nach 99 Jahren oder auch nach kürzeren<br />

Zeiträumen, das Grundstück mit dem Gebäude<br />

wieder an die Kirche zurückfällt. Die<br />

Veräußerung von Gebäuden wird jedoch <strong>im</strong>mer<br />

stärker in unsere Überlegungen miteinbezogen,<br />

denn die Baulast wird nach heutiger<br />

Erkenntnis in manchen Fällen auch in 99<br />

Jahren nicht zu tragen sein.<br />

RiH: Können Sie dazu Beispiele nennen?<br />

MHT: Ja, zwei Beispiele vielleicht, die durchaus<br />

gegensätzlich sind. Ein Beispiel ist die<br />

barocke Leopoldsburger Kirche in Milow,<br />

die aufgrund des ruinösen Zustandes und der<br />

Tatsache, dass die nahegelegene Dorfkirche<br />

aus der Renaissance der Kirchengemeinde<br />

ausreichte, schon zu DDR-Zeiten entwidmet<br />

wurde, ohne damals jedoch eine Perspektive<br />

für die weitere Nutzung zu haben. Den<br />

wirklichen Vollzug dieser Entwidmung gab<br />

es etwa vor zehn Jahren, als sich ein Investor<br />

für die gesamte recht große Liegenschaft<br />

interessierte, um eine Supermarktanlage zu<br />

errichten. Nicht nur bei uns, sondern auch<br />

vor allem bei der Denkmalpflege und dem<br />

Förderkreis Alte Kirchen läuteten sämtliche<br />

Alarmglocken. Hier konnte zumindest erreicht<br />

werden, dass die Kirche erhalten und<br />

mit zeitgenössischen Mitteln komplettiert<br />

wurde. Seitdem dient sie der Sparkasse als Filiale.<br />

Hätten wir damals die Nutzungsrichtlinie<br />

von 2006 schon gehabt, wäre es nicht<br />

dazu gekommen.<br />

Ein sehr moderates Beispiel ist die Dorfkirche<br />

in Briest, ebenso wie Milow in der Nähe<br />

von Brandenburg an der Havel gelegen. Es ist<br />

eine kleine Kirche aus dem 19. Jahrhundert,<br />

deren Kirchengemeinde aufgrund von Fusionen<br />

und der demografischen Entwicklung<br />

praktisch bei Null war. Da gab es einen privaten<br />

Interessenten, der die Kirche gekauft hat,<br />

um daraus ein Filmatelier zu machen. Es gab<br />

zudem die glückliche Fügung, dass die Mutter<br />

des Käufers noch <strong>im</strong> Ort lebte und hier<br />

aufgewachsen war. Daher konnte das Haus<br />

auch noch als Raum der Dorfgemeinschaft<br />

genutzt werden. Eine ideale Entwicklung <strong>im</strong><br />

Sinne unserer Leitlinie.<br />

Vielleicht noch ein ganz aktuelles Beispiel:<br />

Es steht gerade eine Entwidmung in Cottbus<br />

an, wo der eine oder andere sich fragt, warum<br />

da überhaupt entwidmet wird. Nach unserer<br />

Orientierungshilfe ist es wünschenswert, eine<br />

Kirche, die als evangelischer Gottesdienstort<br />

nicht mehr gebraucht wird, einem anderen<br />

christlichen Bekenntnis, einer Religionsgemeinschaft,<br />

die dem Arbeitskreis Christlicher<br />

Kirchen angehört, oder auch Jüdischen<br />

Gemeinden zur Verfügung zu stellen. Letzteres<br />

ist eine bewusste Ausnahme von der Re-

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