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Restaurator im Handwerk – Ausgabe 4/2011 - Kramp & Kramp

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gel, evangelische Kirchen <strong>im</strong> übrigen keinen<br />

nicht-christlichen Religionen zu überlassen.<br />

Im Fall der Schlosskirche in der Fußgängerzone<br />

in Cottbus hat die Jüdische Gemeinde<br />

Interesse angemeldet. Aller Voraussicht nach<br />

wird aus dieser Kirche eine Synagoge. Das<br />

setzt allerdings die Entwidmung voraus.<br />

RiH: Gibt es bei der Veräußerung eines Kirchengebäudes<br />

einen vertraglich geregelten<br />

Umgang mit dem Gebäude?<br />

MHT: Der Umgang mit dem Gebäude wird<br />

natürlich vertraglich geregelt, allerdings haben<br />

wir da den geringeren Anteil an den Details.<br />

Das Meiste gibt die Denkmalpflege vor.<br />

Die Inventarstücke, die dem evangelischen<br />

Gottesdienst dienen, werden in der Regel herausgenommen<br />

und an anderer Stelle weiter<br />

genutzt. Die kirchliche Einflussnahme auf<br />

die Erhaltung der baulichen Gestalt ist <strong>im</strong><br />

Falle einer Veräußerung geringer als bei einer<br />

Erbbaurechtvergabe, aber in beiden Fällen<br />

versuchen wir mit den Denkmalbehörden zusammen<br />

das Korsett so eng wie möglich zu<br />

schnüren. Einbauten sollten reversibel sein,<br />

auch wenn das ein sehr dehnbarer Begriff ist,<br />

und Ergänzungen sollten der historischen<br />

Bausubstanz untergeordnet werden.<br />

RiH: Wie ist die Situation in anderen Bundesländern?<br />

Gibt es hier gravierende Unterschiede<br />

be<strong>im</strong> Umgang mit Kirchengebäuden?<br />

MHT: Solche Unterschiede gibt es eindeutig,<br />

und es wird auch mit ziemlicher Sicherheit<br />

nicht gelingen, eine Vereinheitlichung herbeizuführen.<br />

Dazu sind das Verständnnis<br />

vom evangelischen Bekenntnis, die regionale<br />

Kirchengeschichte, das Frömmigkeitsverständnis<br />

und letztlich die Landessynoden in<br />

vielen Kernfragen zu unterschiedlich. Die<br />

Gründe dafür, dass zum Beispiel in rheinischen<br />

Regionen ernsthaft darüber nachdacht<br />

wird, in entwidmeten Kirchen auch andere<br />

Religionen wie den Islam zuzulassen, sind<br />

vermutlich auch darin zu suchen, dass man<br />

dort schon sehr viel länger mit Bevölkerungsgruppen<br />

anderer Religionen zu tun hat. Und<br />

dann sind es Gedanken, die gar nicht pr<strong>im</strong>är<br />

aus einem inneren Kirchenverständnis herrühren,<br />

sondern aus einer sozialen Verantwortung.<br />

RiH: Und wie sieht es in unseren Nachbarländern<br />

aus? Gerade in Großbritannien oder<br />

den Niederlanden gibt es ja Beispiele für einen<br />

ganz anderen Umgang mit Kirchen.<br />

MHT: In Großbritannien, den Niederlanden<br />

und Belgien, auch teilweise in Nordfrankreich,<br />

gibt es schon seit der Reformation<br />

± hier hatte der Bildersturm ganz andere<br />

Auswirkungen als in Mitteleuropa ± ein fast<br />

grundsätzlich säkulares inneres Verhältnis<br />

zur „Hardware“, also zu den Gebäuden und<br />

dem Inventar. In dieser Hinsicht sind wir als<br />

lutherisch geprägte Kirche sehr viel „katholischer“<br />

als die meisten Westeuropäer. Dass<br />

es besonders in den Niederlanden in den<br />

letzten 30 Jahren möglich war, Altenhe<strong>im</strong>e,<br />

Supermärkte und Hochgaragen in Kirchen<br />

anzusiedeln, liegt an einem seit 500 Jahren<br />

anderen Verständnis. In Frankreich gab es<br />

seit der Französischen Revolution auch Pferdeställe<br />

und Kasernen in Kirchen, also ein<br />

grundsätzlich säkulares, fast wirtschaftlich<br />

und gewerblich orientiertes Grundverständnis.<br />

Wir sind in diesem Punkt den skandinavischen<br />

Ländern sehr viel näher, also einem<br />

Staatskirchenverständnis.<br />

RiH: Ist die Haltung der katholischen Kirche<br />

zu Umnutzung und Entwidmung eine<br />

andere als die der evangelischen?<br />

MHT: Ja, hier ist die Haltung durchaus gegensätzlich.<br />

Schon der Begriff der „Entwidmung“<br />

zeigt die Unterschiede zwischen der<br />

evangelischen und der katholischen Kirche.<br />

In der evangelischen Kirche haben wir „nur“<br />

eine Ingebrauchnahme, die als Widmung<br />

bezeichnet wird. Dies ist ein Begriff nach<br />

staatlichem Recht, das heißt, die Kirche wird<br />

zu einem öffentlichen Gegenstand, der allen<br />

Menschen zur Verfügung steht soll. Durch<br />

eine Entwidmung kann das wieder zurückgenommen<br />

werden. Eine Widmung ist zwar<br />

ein kirchenrechtlicher Vorgang, aber der<br />

Begriff kommt aus der staatlichen Rechtsordnung<br />

und bedeutet, dass ein Gottesdienst<br />

und alles, was darin geschieht, öffentlich ist.<br />

In der katholischen Kirche gibt es die Weihe<br />

und die entsprechende Rücknahme der<br />

Weihe, das Gebäude und das Inventar sind<br />

heilige Gegenstände - res sacrae -. Eine katholische<br />

Kirche dient, so lange sie geweiht<br />

ist, nur dem Gottesdienst. Selbst weltliche<br />

Nutzungserweiterungen, die für uns unproblematisch<br />

sind, sind dort nicht zulässig. Auch<br />

bei einer Nutzung durch andere christliche<br />

Kirchen steht bereits eine Rücknahme der<br />

Weihe an. Die Vorschriften muten geradezu<br />

archaisch an, eine geweihte Altarmensa<br />

muss zerschlagen werden. Allerdings hat<br />

sich in den letzten Jahren gerade hier in Mitteldeutschland<br />

einiges getan. Es gibt wohl<br />

katholische Kirchengemeinden, die ± abweichend<br />

vom Kirchenreg<strong>im</strong>ent ± über Nutzungserweiterungen<br />

nachdenken. Ich glaube,<br />

dass das nicht nur wirtschaftlichen Zwängen<br />

geschuldet ist, sondern auch einer Öffnung in<br />

die Gesellschaft dienen soll.<br />

RiH: Gibt es in der evangelischen Kirche<br />

Perspektiven, Szenarien und Visionen in<br />

bezug auf den Gebäudebestand und die Gebäudenutzung?<br />

MHT: Noch ist es so, dass wir oft durch<br />

eine sinnvolle Nutzungserweiterung um die<br />

Entwidmung von Kirchen herum kommen.<br />

Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen Fördervereine,<br />

die an andere Fördertöpfe herankommen<br />

als die Kirche, sich eines Gebäudes<br />

annehmen und so zumindest weiterhin eine<br />

± wenn auch seltene ± kirchliche Nutzung<br />

ermöglichen. Das ist ein wesentlicher Hoffnungsstrang.<br />

Nur dort, wo die demografische<br />

Entwicklung erwarten lässt, dass auch das<br />

gemeinwesenhafte Interesse insgesamt zum<br />

Erliegen kommt, sind inzwischen andere<br />

Szenarien ganz behutsam in der Diskussion.<br />

Die Uckermark zum Beispiel wird ja nach<br />

EU-Maßstäben teilweise heute schon als entvölkert<br />

eingestuft.<br />

Der brandenburgische Landeskonservator,<br />

Prof. Dr. Karg, hat schon vor Jahren so<br />

etwas wie ein „Programm der Stilllegung“<br />

gefordert. Das heißt, für unsere Kulturlandschaft<br />

wichtige Kirchengebäude ± und andere<br />

Baudenkmale ± sind so zu konservieren oder<br />

gewissermaßen „einzufrieren“, dass sie Jahrzehnte<br />

ohne Nutzung überstehen können.<br />

Im Vergleich zu den letzten 20 Jahren wird<br />

es auch ganz sicher eine wachsende Anzahl<br />

von Veräußerungen geben. Hier kommt es<br />

vor allem darauf an, dass dies mit Augenmaß<br />

passiert. Allerdings habe ich die große Hoffnung,<br />

dass es uns dort, wo es überhaupt kein<br />

Interesse an einer Nutzung gibt, gelingen<br />

wird, mit einer „Low-Budget“-Stilllegung zu<br />

verhindern, dass von der Kirche in wenigen<br />

Jahren nur noch ein Schutthaufen übrigbleiben<br />

wird. Das konnte man in Brandenburg in<br />

den letzten Jahren ja schon punktuell beobachten.<br />

Zu unserer großen Überraschung hat<br />

das dann häufig dazu geführt, dass sich doch<br />

ein Förderverein gefunden hat, der nicht<br />

hinnehmen wollte, dass da eine Art „Black<br />

Box“ mit zugenagelten Fenstern mitten <strong>im</strong><br />

Ort steht, und der andere Nutzungskonzepte<br />

entwickelt hat. So geschehen in Malchow<br />

in der Uckermark, wo die Kirchengemeinde,<br />

die Gemeinde und der Landkreis gerade eine<br />

Schwerpunktnutzung entwickeln, die gemeinwesenhaften<br />

Charakter hat.<br />

Das wird uns nicht flächendeckend gelingen,<br />

wir werden jedoch auch nicht in 30<br />

Jahren durch Brandenburg fahren und acht<br />

von zehn Kirchen vernagelt vorfinden. Es<br />

gibt viel Phantasie, dieses zu verhindern. Wir<br />

haben seit dem Staatskirchentum des zweiten<br />

Kaiserreiches verlernt, dass evangelische Kirchenräume<br />

öffentliche Räume sind, also allen<br />

Menschen zur Verfügung stehen sollen und<br />

zu weit mehr dienen können als zum Gottesdienst.<br />

Darin liegt nach wie vor die große<br />

Chance für unsere Kirchen.<br />

RiH: Vielen Dank für das Gespräch.<br />

(Das Interview führte Jürgen O. Müller)<br />

E-Mail: m.hoffmann-tauschwitz@ekbo.de.<br />

Weitere Informationen:<br />

www.kirchenbau.ekbo.de.<br />

<strong>Restaurator</strong> <strong>im</strong> <strong>Handwerk</strong> <strong>–</strong> <strong>Ausgabe</strong> 4/<strong>2011</strong> 53

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