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›Muttertag‹<br />
Muttertag ist etwas Herrliches. Er beginnt<br />
schon ganz früh, eigentlich schon im allergrauesten<br />
Morgengrauen damit, dass die<br />
Mutter durch ungewohnte Geräusche aus<br />
der Küche geweckt wird. Der Vater kann es<br />
nicht sein, er schnorchelt friedlich neben ihr<br />
im Schlaf und hat – wie immer – nichts gehört.<br />
Doch nicht etwa ein Einbrecher?<br />
Jetzt wird die Küchentür geöffnet, die Aktivitäten<br />
verlagern sich in die Essdiele. Eifriges<br />
Hin und Her kleiner Füße, Regieanweisungen<br />
des Großen, dazwischen schwache<br />
Proteste der Schwester. Auch den Kleinen<br />
kann man deutlich jammern hören, er will<br />
seiner Mutter endlich das Gedicht aufsagen.<br />
Jetzt noch nicht, bestimmt energisch<br />
der Bruder, die Mama darf heute ganz lange<br />
schlafen.<br />
Der Wohnzimmerschrank quietscht, um<br />
Himmelswillen, sie werden doch nicht.......<br />
Doch, sie haben es, das alte, das geerbte<br />
Geschirr. Die Mutter hält es nicht länger<br />
im Bett, Panik überkommt sie. Schon sitzt<br />
sie auf der Bettkante, ihre Zehen angeln<br />
nach den Hausschuhen. Nein, sie darf jetzt<br />
den Kindern den Spaß nicht verderben.<br />
Außerdem wäre das ganz unpädagogisch.<br />
Man muss ihnen auch mal etwas zutrauen,<br />
schließlich kann es ja auch gut gehen.<br />
Sie legt sich wieder hin und versucht es mit<br />
autogenem Training. Der linke Arm wird<br />
schwer, dann der rechte.... Jetzt haben sie<br />
die Kanne! Lieber Gott, beschütze bitte<br />
die Kaffeekanne, lass sie lieber eine Tasse<br />
zerschmeißen! Der Kaffee muss auf´s Stövchen,<br />
entscheidet die Tochter. Sie kippt, sie<br />
kippt, kreischt laut der Kleine und bricht<br />
in hysterisches Gelächter aus. Das linke<br />
Bein wird schwer, sagt sich die Mutter laut<br />
vor, während sie fühlt, dass ihr der Angstschweiß<br />
aus allen Poren dringt. Aber wie<br />
durch ein Wunder geht alles gut, in der Essdiele<br />
kehrt wieder Ruhe ein.<br />
Jetzt entspannt sie sich<br />
wirklich und beschließt,<br />
sich auf ihre Ehrung<br />
zu freuen.<br />
Die Zimmertüre springt auf,<br />
dreistimmiger Gesang erfüllt das<br />
Schlaf- Zimmer. Viel Glück und<br />
viehiel Seeegen..... Etwas sehr Unfreundliches<br />
murmelnd schmeißt sich<br />
der Vater krachend auf die andere Seite und<br />
zieht sich die Decke über die Ohren. Aber<br />
schließlich geht ihn Mutter- tag ja auch gar<br />
nichts an.<br />
Der Gesang ist verstummt, jetzt folgen die<br />
Gedichte. Jedenfalls sollten sie folgen. Alle<br />
Augen sind auf den Kleinen gerichtet, aber<br />
der schweigt beharrlich, die Lippen fest aufeinander<br />
gepresst.<br />
Zuerst wollte er sein Gedicht aufsagen, da<br />
durfte er nicht, jetzt mag er nicht mehr.<br />
Er bekommt einen rüden Stoß in die Seite,<br />
aber es nützt nichts. Heulend wirft er sich<br />
zur Mutter aufs Bett und drückt seine nasse<br />
Nase in ihr Nachthemd. Er hat genug vom<br />
Muttertag, jetzt will er nur noch Mutter.<br />
Der Große ist empört, er hatte sich alles so<br />
schön ausgedacht, und nun lassen ihn die<br />
Statisten im Stich!<br />
Die Mutter rettet die Situation, indem sie<br />
einen Mordshunger vorgibt. Eifrig reicht<br />
man ihr den Bademantel, wie eine Königin<br />
wird sie an den Tisch geleitet.<br />
Das dämmrige Esszimmer mit den geschlossenen<br />
Gardinen hat etwas seltsam<br />
Weihnachtliches an sich, vielleicht kommt<br />
das aber auch nur daher, dass die Mutter<br />
die halb abgebrannten Adventskerzen auf<br />
dem Tisch zu erkennen glaubt. Um ihren<br />
Teller herum sind Gänseblümchen und Ehrenpreis<br />
drapiert, sie ist sehr gerührt. Dann<br />
muss sie Platz nehmen, den Kleinen auf<br />
dem Arm.<br />
Der Kuchen, den sie am Vortage für den<br />
Besuch bei der Oma gebacken hatte, ist in<br />
viele kleine Stückchen zerschnitten. Falls<br />
sie noch ein paar Eier findet, wird sie gleich<br />
nach dem Frühstück einen neuen backen.<br />
Jetzt kommt sozusagen der Höhepunkt des<br />
heutigen Tages, es kommen die Geschenke.<br />
Etwas verlegen überreicht ihr der Große<br />
ein Päckchen, es enthält einen Eierpiekser.<br />
(Eierpiekser faszinieren ihn, daher hat<br />
sie auch schon drei.) Die Mutter bedankt<br />
sich artig und tröstet die Tochter, die ihr<br />
eine selbst- getöpferte Giraffe überreicht,<br />
allerdings ohne Kopf. Der Kopf ist beim<br />
Einwickeln abgebrochen, man kann ihn<br />
wieder ankleben,<br />
und<br />
überhaupt hat<br />
sich die Mutter<br />
schon immer eine<br />
selbstgetöpferte<br />
Giraffe gewünscht.<br />
Der Kleine quengelt,<br />
seit 5 Uhr musste er sein<br />
Gedicht üben, jetzt ist er rechtschaffen<br />
müde.<br />
Die Hoffnung auf nochmaliges Einschlafen<br />
endgültig aufgebend, hat sich der Vater zu<br />
ihnen gesellt. Tapfer trinken die beiden den<br />
Kaffee, den ihnen die Tochter immer wieder<br />
einschenkt. Sie hat den Messlöffel nicht<br />
gefunden und stattdessen 6 Eierlöffel voll<br />
Kaffeepulver genommen. Man kann nicht<br />
gerade sagen, dass er die Krönung dieser<br />
schönen Stunde ist, auch das Verwöhnaroma<br />
hat er nicht drin, aber jeder weiß ja,<br />
dass schwacher Kaffee viel gesünder ist als<br />
starker.<br />
Weißt du noch, fragt der Vater, dass wir<br />
früher auch schon vor 6 Uhr gefrühstückt<br />
haben?<br />
Ja freilich, das war, als beide noch nach<br />
München zur Arbeit fuhren, also schon vor<br />
12 Jahren?<br />
Stimmt nicht, meint er, als wir letztens nach<br />
Südtirol wollten, war es noch früher.<br />
In ihre Überlegungen hinein erklärt der<br />
Große fachmännisch die Mechanik des<br />
neuen Eierpieksers. Es ist dies ein ganz<br />
neues Modell, mit den anderen praktisch<br />
überhaupt nicht zu vergleichen. Die Mutter<br />
nicht ihm zu, ein Gähnen unterdrückend.<br />
Der Kleine ist auf ihrem Schoß eingeschlafen.<br />
Ganz vorsichtig öffnet sie seine Faust<br />
und befreit daraus ein paar zerknickte<br />
Gänseblümchen, die sie in den leeren Eierbecher<br />
stellt. Dann gibt sie ihm einen kleinen<br />
Kuss auf seine sorgenvolle Babystirn.<br />
Ach ja, Muttertag ist etwas Herrliches, besonders<br />
für Kinder!<br />
Gunda Schutkin