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Fortsetzung von Seite 1:<br />

Die Wände sind mit Songtexten und Plakaten behangen<br />

sern fehlt teilweise der Lack an den Türen.<br />

Je näher man dem Jugendtreff kommt, desto<br />

lebendiger wird die Atmosphäre. Lachen<br />

und vereinzelte Zurufe.<br />

Wenn man den Jugendtreff Energy betritt<br />

fällt eines sofort auf: Es ist laut.<br />

Ein renovierter heller Raum: blauer Boden,<br />

bunte Stühle, braune Möbel. Alles ist<br />

neu. Ein Billardtisch und ein Kicker stehen<br />

bereit. Hinter einem Tresen stehen zwei<br />

Mädchen die hektisch auf einem Handy<br />

herumtippen, welches an ein Mischpult angeschlossen<br />

ist.<br />

Es ist laut und der Bass dröhnt fast schon<br />

nervig in den Ohren. Zwei weitere Räume<br />

mit einem Fernseher und ein Büro mit<br />

Glasfront schließen sich an. Draußen in einer<br />

Art Anbau findet man den Bandraum.<br />

„Wir sind übrigens alle Ausländer“, merkt<br />

Alex an, „ich bin Russe, da vorne ein Türke,<br />

nur die Barbara ist eine deutsche Kartoffel.“<br />

Er lacht und verweist auf die Anderen am<br />

Tisch.<br />

Alex1 ist 19 Jahre jung, der Jugendtreff oder<br />

Juz wie er es nennt, ist Zeitvertreib für ihn.<br />

„Das ist wie unsere Bronx“, sagt er stolz und<br />

grinst.<br />

Die Jugendlichen nennen die Endorfer Au<br />

nur Endox oder Heimat.<br />

Er wendet sich dem Mischpult zu, denn er<br />

darf nun bestimmen welche Musik gehört<br />

wird. Die Lieder ähneln sich. Ein Mann<br />

mit tiefer Stimme rappt von Träumen und<br />

Ruhm. Die Jugendlichen kennen jeden Text.<br />

Mittlerweile sind knapp zwanzig Menschen<br />

im Jugendtreff. Trotz der ethnischen Unterschiede<br />

lassen sie sich alle von der gleichen<br />

Musik begeistern.<br />

Auf die Frage was das Energy für sie bedeuten<br />

würde, haben sie verschiedene Antworten.<br />

Für einige ist es<br />

Ablenkung, für Andere<br />

ein Ort um Freunde zu<br />

Treffen.<br />

Barbara Mahr ist zwanzig<br />

Jahre alt und studentische<br />

Hilfskraft im<br />

Energy.<br />

Seit einem halben Jahr<br />

leitet sie das Bandprojekt<br />

des Jugendtreffs.<br />

Zweimal in der Woche<br />

hat sie für eine Stunde<br />

geöffnet und betreut die<br />

Bands und Einzelpersonen.<br />

„Die Bands kommen wirklich oft und regelmäßig“,<br />

erklärt sie stolz. Sie spricht viel von<br />

den Red Devils, eine Mädchenband und<br />

Sky Rock.<br />

Pünktlich um 18:00 Uhr sperrt Barbara<br />

den Bandraum auf.<br />

Die Wände sind mit Songtexten und Plakaten<br />

behangen. Es gibt einen Bass, zwei E-<br />

Gitarren, ein Keyboard, ein Schlagzeug und<br />

eine Gesangsanlage. Routiniert geht sie den<br />

Raum ab, schaltet die<br />

Verstärker an, sucht die<br />

richtigen Noten heraus.<br />

Die drei Jungs von Sky<br />

Rock kommen in den<br />

Raum und lachen.<br />

Ein Junge am Schlagzeug<br />

in der linken hinteren<br />

Ecke des Raumes,<br />

ein weiterer greift sich<br />

den Bass und ein dritter<br />

nimmt sich eine<br />

Gitarre. Sie setzen sich<br />

und streichen schnell<br />

und unkontrolliert<br />

über die Saiten. Sobald<br />

Barbara sich mit einer<br />

Gitarre zu ihnen in den<br />

Halbkreis setzt ist die Unruhe beendet.<br />

Alle Bilder: SJR Rosenheim<br />

Zum ersten Mal an diesem Tag ist<br />

es komplett ruhig.<br />

Die ersten Töne zu Zombie von den Cranberries<br />

sind zu hören. Ohne große Erklärung<br />

spielen die Jungs die ersten Takte.<br />

„Ich kann es noch!“, ruft der Gitarrist erfreut<br />

aus.<br />

Obwohl Barbara selbst mitspielt, schafft sie<br />

es den Jungs durch Kopfnicken und Zurufe<br />

Anweisungen zu geben.<br />

Wenn sich einer der Jugendlichen verspielt,<br />

zeigt sie ihm die Stelle noch einmal, schiebt<br />

Finger zurecht, klatscht den Takt.<br />

Die Jungs lassen sich nicht beirren und üben<br />

solange bis es klappt.<br />

Sie spielen Seven Nation Army von The<br />

White Stripes und Smells like Teenspirit<br />

von Nirvana und jubeln sich selbst zu.<br />

In diesem Raum sind sie bereit zu träumen.<br />

„Für Außenstehende sieht es vielleicht<br />

aus als hätten sie andere Probleme aber<br />

im Grunde sind es die gleichen. Mit mehr<br />

Gewalt, lauter, anderem Umgangsmuster,<br />

aber im Prinzip bleibt es gleich. Probleme<br />

in Schulen, Prüfungsangst. Grenzen austesten,<br />

eine Grenze übertreten.“ Helge<br />

Zermen ist Sozialpädagoge im Jugendtreff.<br />

Arbeit auf Augenhöhe sei ihm besonders<br />

wichtig.<br />

Er selbst sieht in dem Jugendtreff einen<br />

Raum, wo sie über die Stränge schlagen<br />

können und nicht augenblicklich mit den<br />

Konsequenzen des öffentlichen Raumes<br />

konfrontiert werden.<br />

„Es gibt viele Familien mit wenig Berührungspunkten<br />

in der Gesellschaft. Viele<br />

Zahlreiche Instrumente stehen zur Verfügung<br />

Mütter können kaum Deutsch sprechen.<br />

Sie bringen den Kindern ihre Sprache bei.<br />

So entsteht viel Spannung“, erklärt er. Ein<br />

Aspekt, der für Konfliktpotenzial sorge.<br />

„Wir sind ein Becken und fangen das auf.<br />

Im optimalen Falle in einem Projekt. Das<br />

ist das was Barbara da macht.“<br />

Das Bandprojekt habe ganz klar etwas geändert,<br />

betont Herr Zermen. Jugendliche<br />

hätten nicht nur musikalische Fortschritte<br />

gemacht, sie wären auch verbindlicher,<br />

stellt der Sozialpädagoge fest.<br />

„Sie lassen sich ihren Raum. Normalerweise

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