blu Juli 2018
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MUSIK<br />
INTERVIEW<br />
YEARS & YEARS<br />
„Ich bin froh, dass ich das tun kann!“<br />
2015 war „King“ eine extrem<br />
erfolgreiche Single, und der<br />
Erfolg kam, wie heute so oft, aus dem<br />
Nichts. Sänger Olly Alexander sieht es<br />
als Segen – nur, dass er die Nummer<br />
wieder und wieder singen muss,<br />
beginnt zu nerven, aber: „Jetzt lass<br />
ich ihn einfach das Publikum singen“,<br />
lacht er. Damals bezeichnete NME<br />
Years & Years als die wichtigste Pop-<br />
Band, vor allem weil Olly ohne Angst<br />
von seinem Leben sprach – ob über<br />
sein Schwulsein, seine Probleme mit<br />
Depressionen oder den Kampf gegen<br />
Angstzustände. Doch wenn man mit<br />
ihm in der Sonne Berlins über das<br />
neue Album spricht, wirkt er zunächst<br />
selbst wie ein Sonnenschein.<br />
Drei Jahre zwischen zwei Veröffentlichungen<br />
sind eine lange Zeit heutzutage.<br />
Oh ja. Du denkst dir, ein Album sind 45<br />
Minuten, zehn Songs – wie schwer kann<br />
das sein? Aber das ist herausfordernder, als<br />
man meint. Ich kann auch nicht gut schreiben,<br />
wenn ich unterwegs bin, ich bin gern<br />
allein mit meinem Piano. Doch vor allem<br />
brauchte ich neue Erfahrungen – man kann<br />
nicht über den Touralltag singen.<br />
Wie war denn die erste große Tour?<br />
Wir haben alle ein wenig den Verstand<br />
verloren. Ich war an so vielen Orten, aber<br />
ich erinnere mich an nichts. Wir waren nur<br />
auf den Bühnen, spielten die Shows und<br />
verschwanden wieder.<br />
Ich höre einen ziemlichen „junger<br />
Justin Timberlake“-Vibe auf einigen<br />
Tracks, besonders „Karma“. Zufall<br />
oder Absicht?<br />
Absicht! Ich liebe diese Ära des Pop – die<br />
frühen Neptunes und Timberland, Britney<br />
und Christina …<br />
„Karma“ klingt auch glatt wie eine<br />
zweite Single für mich …<br />
Es wurde diskutiert. Die researchen ja alles<br />
aus den Liedern, um herauszufinden, was<br />
die risikoloseste Single ist. Es ist ein bisschen<br />
deprimierend – aber anderseits mag<br />
ich alle Songs, darum ist es auch wieder in<br />
Ordnung.<br />
Wenn man bedenkt, wie offen du<br />
über alles sprichst, hätte man erwarten<br />
können, dass sich das auch direkt<br />
in deinen Texten widerspiegelt …<br />
Egal wer du bist und was du tust, es ist<br />
automatisch politisch. Besonders als ein<br />
offen schwuler Künstler, der einfach nur<br />
aus seinem speziellen schwulen, queeren<br />
Blickwinkel schreibt – auch wenn ich das<br />
nicht direkt thematisiere. Wenn ich Musik<br />
mache, kann ich nicht anders, als das<br />
Persönliche zu übersetzen, all das, was<br />
mir durch den Kopf geht, ob Dinge aus<br />
meiner Kindheit, aus meinen Beziehungen,<br />
meine geistige Gesundheit – das alles<br />
hat seinen Weg auf das Album gefunden.<br />
Aber nicht explizit, nicht als deutliches<br />
Statement. Ich möchte in meine Lieder<br />
flüchten können.<br />
Fühlst du mittlerweile eine Verantwortung,<br />
die du vielleicht gar nicht<br />
wolltest?<br />
Ich bin froh, eine Plattform zu haben.<br />
Offen über meine geistige Gesundheit zu<br />
reden, hat mir geholfen, damit umzugehen<br />
und meinen Platz in der Welt besser zu bestimmen.<br />
Für mich war es einfach hilfreich.<br />
Und ich glaube auch: Ja, ich habe jetzt ein<br />
gewisses Maß an Verantwortung, weiter<br />
darüber zu sprechen. Ich bin froh, dass ich<br />
das tun kann – ich meine, du kannst auch<br />
nur bis zu einem gewissen Punkt immer<br />
nur darüber reden, wie es im Studio war.<br />
Das interessiert doch die meisten nicht!<br />
(lacht)<br />
*Interview: Christian K.L. Fischer