Wenn man über die Daumenschrauben der deutschen Berufsgesetze hinaus denkt, wird klar, dass wir Baustellen an ganz anderen Fronten haben, als an der Front der Berufsgesetze. Bis zum Master können Fachhochschulen alles leisten, aber dann kommt der große Graben. Wir befinden uns nun nicht mehr in der Diskussion um die Gleichwertigkeit beruflicher und hochschulischer Bildung, sondern in der Diskussion um die Durchlässigkeit unseres Hochschulbildungssystems. Die Unterschiede zwischen Fachhochschulen und Universitäten sind seit Bologna geringer geworden, aber das entscheidende Pfund bleibt in der Hand der Unis: das Promotionsrecht und damit die Generierung des wissenschaftlichen Nachwuchses für jede Disziplin. Die Pflege könnte sich jetzt zurücklehnen und sagen. Wir haben doch alles... Ich sage: Es gibt auch Daumenschrauben für Universitäten, und zwar ganz profane: z.B. das Geld. Pflege ist überall da, wo sie an Universitäten angesiedelt ist, ein Minor-Partner. Selbst innerhalb der Pädagogik, zu der sich die Länder mit der Zustimmung zum neuen KrPflG auf eine akademische Qualifizierung verpflichtet haben, gibt es die Öffnungsklausel im § 4 Abs. 4: Die Landesregierungen können durch Rechtsverordnung Regelungen zur Beschränkung der Hochschulausbildung ... auf bestimmte Hochschularten und Studiengänge treffen. Nichts leichter, als die Pflege an Universitäten wieder ab zu schaffen, wenn Ressourcen knapp werden und etablierte Wissenschaften die Mehrheit haben. Und nichts leichter, als die Physiotherapie gar nicht erst an zu schaffen. Und nichts leichter als mit Hilfe des Argumentes, dass die Akademisierung auf Bachelor-Ebene nichts anderes ist als eine 18-monatige Weiterbildung, und dementsprechend ein irgendwo angebotener konsekutiver Master auch nicht das sein kann, was ein zur Promotion befähigender Master-Studiengang sein sollte. Was ich sagen will: Akademische Qualifizierung muss sich an den Kriterien, die das Hochschulbildungssystem setzt, messen lassen können, um Akzeptanz zu finden. Die Kriterien werden von oben diktiert, nicht von unten. Fachhochschulen befinden sich qua Gesetz in der Mitte. Sie haben sich in den letzten zehn Jahren um die Akademisierung der Gesundheitsberufe in der ersten Stufe sicher verdient gemacht, aber Akademisierung hört hier nicht auf. Auch die Qualität dessen, was Fachhochschulen produzieren , muss sich an den Kriterien der nächsthöheren Instanz messen. Will man Akademisierung, muss man in den Dimensionen akademischer Bildungsabstufungen denken und entsprechende Strategien entwickeln. Nur Primärqualifizierung auf <strong>Hochschule</strong>bene beinhaltet Chancengleichheit im internationalen Kontext. Wir sind aufgerufen, die Akademisierung der Gesundheitsberufe in Deutschland nicht mit dem starren und beschränkten Blick auf die Berufsgesetze, sondern unter Berücksichtigung der Berufsgesetze mit dem Blick auf das Akademisierungsziel die Rekrutierung des eigenen wissenschaftlichen Nachwuchses, zu betreiben. Hierzu bedarf es einer Erstqualifikation auf <strong>Hochschule</strong>bene. Wenn man Pflege, Physiotherapie usw. als handlungsorientierte Wissenschaften analog der Medizin begreift und der entsprechenden Forschung, also des Betreibens dieser Wissenschaften, die Aufgabe zuerkennt, die Disziplin auch ihrem Handeln weiter zu entwickeln, erübrigt sich die inhaltliche Diskussion um 52
erufsrechtliche Anerkennung ja oder nein. Es bleibt dann nur die strategische Frage: Wie bekommen wir es gemeinsam hin, eine internationale Selbstverständlichkeit auch in Deutschland Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Literatur Statistisches Bundesamt (Hrsg.) 1998: Gesundheitsbericht für Deutschland. Stuttgart. 53