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6 KULTUR JOKER THEATER<br />

Ästhetische Ausgrabung und bezaubernder Blockbuster<br />

„Beatrice Cenci“ und „Carmen“ werden bei den Bregenzer Festspielen bejubelt<br />

Die Opferkerzen auf dem breiten<br />

Glas-Sarkophag brennen, die<br />

Goldmünzen im Inneren glänzen.<br />

Zu den wuchtigen Klängen der<br />

Ouvertüre von Berthold Goldschmidts<br />

1950 komponierter Oper<br />

„Beatrice Cenci“ zur Eröffnung<br />

der Bregenzer Festspiele schafft<br />

Regisseur Johannes Erath mit<br />

seiner Bühnenbildnerin Katrin<br />

Connan zu Beginn ein starkes<br />

Bild für die Verbindung von religiöser<br />

Inbrunst und grenzenlosem<br />

Reichtum. Die Geistlichen kombinieren<br />

ihre zwischen Pink, Violett<br />

und Orange gehaltenen Soutanen<br />

mit Sonnenbrillen. Dekadenz<br />

spricht aus jedem Rockzipfel (Kostüme:<br />

Katharina Tasch).<br />

Die Oper erzählt die wahre<br />

Geschichte des brutalen, von der<br />

Kirche gedeckten Machthabers<br />

Francesco Cenci im Rom der<br />

Spätrenaissance. Die von ihm<br />

vergewaltigte Tochter Beatrice<br />

und die ebenfalls von Francesco<br />

gepeinigte zweite Ehefrau Lucrezia<br />

lassen den Tyrannen ermorden<br />

– und werden am Ende selbst hingerichtet.<br />

Berthold Goldschmidt<br />

(1903-1996) hatte die Oper 1950<br />

im Londoner Exil komponiert,<br />

in das der jüdische Dirigent und<br />

Komponist 1935 aus Nazideutschland<br />

geflohen war. Zuvor war die<br />

Berliner Premiere seiner 1932 in<br />

Mannheim uraufgeführten ersten<br />

Oper „Der gewaltige Hahnrei“<br />

durch die Nationalsozialisten<br />

verboten worden. Anders als in<br />

seinem Opernerstling zeigt sich<br />

Goldschmidt in „Beatrice Cenci“<br />

milder. Der Brutalität der Vorlage<br />

geht er aus dem Weg. Seine immer<br />

noch tonal gebundene Musik<br />

mäandert zwischen Monumentalität<br />

und kammermusikalischer<br />

Intimität, zwischen kontrapunktischen,<br />

eher spröde klingenden<br />

Barockallusionen und spätromantischer<br />

Üppigkeit, zwischen<br />

dunklen Orchesterfarben und<br />

süßlichen Violinsoli. Damit war er<br />

in der vom Serialismus geprägten<br />

Herausgeber:<br />

Helmut Schlieper (V.i.S.d.P.)<br />

Verlag:<br />

Art Media Verlagsgesellschaft mbH<br />

Auerstr. 2 • 791<strong>08</strong> Freiburg<br />

Redaktionsleitung:<br />

Christel Jockers<br />

Redaktion:<br />

Cornelia Frenkel<br />

Peter Frömmig<br />

Annette Hoffmann<br />

Marion Klötzer<br />

Manuel Kreitmeier<br />

Nike Luber<br />

Fabian Lutz<br />

Georg Rudiger<br />

Claus Weissbarth<br />

Friederike Zimmermann<br />

Terminredaktion:<br />

Valentin Heneka<br />

„Beatrice Cenci“ (Foto oben u. rechts), „Carmen“ (Foto links) bei den Bregenzer Festspielen<br />

Nachkriegs-Avantgarde ein Außenseiter<br />

und verfiel in ein langes<br />

kompositorisches Schweigen, ehe<br />

er Ende der 1980er-Jahre wieder<br />

entdeckt wurde. 1992 wurde<br />

„Der gewaltige Hahnrei“ in Berlin<br />

aufgeführt, 1994 folgten Aufführungen<br />

von „Beatrice Cenci“ in<br />

Berlin (konzertant) und Magdeburg<br />

(szenisch) in der englischen<br />

Originalfassung.<br />

Für die österreichische Erstaufführung<br />

im Bregenzer Festspielhaus<br />

entschied man sich erstmals<br />

Layout :<br />

Christian Oehms<br />

Telefon: 0761 / 72072<br />

Fax: 0761 / 74972<br />

e-mail: grafik@kultur<strong>joker</strong>.de<br />

redaktion@kultur<strong>joker</strong>.de<br />

Anzeigen:<br />

Tel.: 0761 / 72072<br />

Druck:<br />

Rheinpfalz Verlag und Druckerei<br />

GmbH & Co. KG, Ludwigshafen<br />

Das Copyright für vom Verlag gestaltete<br />

Anzeigen und Artikel liegt beim Verlag.<br />

Nachdruck, auch nur auszugsweise, nur mit<br />

schriftlicher Genehmigung des Verlages.<br />

Für unverlangt eingesandte Manuskripte,<br />

Fotos, Vorlagen und für Programmhinweise<br />

kann keine Garantie übernommen werden,<br />

sie sind aber herzlich willkommen.<br />

für die vom Komponisten angefertigte<br />

deutsche Textversion.<br />

Allerdings vermag auch sie nicht,<br />

dem Stoff klarere Konturen zu<br />

geben. Es fehlt den Figuren vor<br />

allem an musikalischer Identität.<br />

Dramatische Entwicklungen<br />

werden abgebrochen, bevor sie<br />

sich überhaupt entfalten können.<br />

Die Abgründe bleiben verborgen<br />

oder sind seltsam distanziert. Als<br />

Belcanto-Oper hatte der Komponist<br />

sein Werk bezeichnet und<br />

damit die gesanglichen Linien<br />

gemeint, mit denen er die Hauptpartien<br />

gestaltete. Diese können<br />

auch in stratosphärische Höhen<br />

reichen, die Gal James als Beatrice<br />

sicher bewältigt. Ihr zunächst<br />

zu eindimensionaler, stark vibrierter<br />

Sopran gewinnt im Laufe<br />

des Abends mehr Zwischentöne.<br />

Trotzdem bleibt diese geschändete<br />

Frau mit ihrer roten Perücke und<br />

dem Puppenkleid seltsam distanziert.<br />

Christoph Pohl schenkt<br />

dem dauergeilen, brutalen Vater<br />

weiche Kantilenen und selbstbewusste<br />

Posen. Dieser selbstgefällige<br />

Francesco Cenci mit<br />

seinem nackten Oberkörper und<br />

dem goldenen Penisschutz erhält<br />

noch am ehesten Profil. Dshamilja<br />

Kaiser gefällt als Stiefmutter Lucrezia<br />

mit sattem, farbenreichem<br />

Mezzo. Michael Laurenz singt<br />

den intriganten Prälaten Orsino<br />

mit leuchtendem Tenor, Christina<br />

Bock macht aus Beatrices Bruder<br />

Bernardo einen ebenfalls puppenhaften<br />

Leidensgenossen. Per Bach<br />

Nissen ist ein klangmächtiger, in<br />

der Tiefe schwachbrüstiger Kardinal.<br />

Regisseur Johannes Erath<br />

versucht es erst gar nicht, den<br />

Figuren Leben einzuhauchen,<br />

sondern stellt sie in ästhetischen,<br />

aber nur selten zwingenden Bildern<br />

zusammen. Eine Abendmahlsszene<br />

wird zur Orgie, ein<br />

Kerzentisch zum gläsernen Sarg.<br />

Da sorgt auch das runde, an ein<br />

Kameraobjektiv erinnerndes<br />

Bühnenzentrum, in dem sich<br />

Beatrice und Lucrezia verlieren,<br />

für zu wenig Tiefenschärfe. Diese<br />

fehlt auch den Wienern Symphonikern<br />

unter ihrem Dirigenten Johannes<br />

Debus. Zwar widmet sich<br />

das Orchester durchaus mit hoher<br />

klanglicher Qualität und einer<br />

guten Balance der vielschichtigen<br />

Partitur, aber mitunter fransen<br />

die Ränder aus und sind Einsätze<br />

nicht zusammen. Die Musik<br />

entwickelt keine Sogwirkung,<br />

was aber auch der zwischen den<br />

Stilen changierenden, häufig auf<br />

der Stelle tretenden Komposition<br />

anzukreiden ist. Wenn Dmitri<br />

Schostakowitsch ein Xylophon bei<br />

Ausdruckshöhepunkten verwendet,<br />

dann erzeugt es Gänsehaut –<br />

bei Goldschmidt eher ein Schulterzucken.<br />

Am Ende schreitet der<br />

Prager Philharmonische Chor in<br />

schwarzen 20er-Jahre-Kostümen<br />

aus der Tiefe des Raums nach vorne<br />

und stimmt ein Requiem für<br />

die beiden exekutierten Frauen<br />

an. Ein Quantum Trost beschließt<br />

den düsteren, rätselhaften Abend<br />

– und Bernardo zündet eine letzte<br />

Kerze an.<br />

„Carmen“<br />

Im letzten Jahr saßen die Premierenbesucher<br />

von „Carmen“<br />

auf der Bregenzer Seebühne im<br />

Regen und konnten sich unter<br />

ihren knisternden Capes nur mit<br />

viel Fantasie das hitzige Geschehen<br />

in Sevilla vorstellen. Bei der<br />

Wiederaufnahme der mit 193 000<br />

Fotos: Karl Forster<br />

Besuchern höchst erfolgreichen<br />

Produktion des Jahres 2017<br />

stimmt alles. Der Himmel ist an<br />

diesem lauen Sommerabend so<br />

rosa wie die 20 Meter hohen, tätowierten<br />

Arme, die neben den<br />

fliegenden Spielkarten die Bühne<br />

von Es Devlin prägen. Auch<br />

die von Regisseur Kasper Holten<br />

überarbeitete Personenführung<br />

wirkt noch schlüssiger bis zum erschütternden<br />

Ertränken Carmens<br />

im Bodensee. Dirigent Antonino<br />

Fogliani wählt bei einzelnen<br />

Nummern wie der Habanera gemäßigtere<br />

Tempi als Paolo Carignani<br />

im Vorjahr, ohne dabei den<br />

musikalischen Fluss der Wiener<br />

Symphoniker zu verlieren. Der<br />

neu besetzte Kostas Smoriginas<br />

als kräftiger, aber nicht dröhnender<br />

Escamillo und Cristina<br />

Pasaroiu als durchaus selbstbewusste<br />

Micaëla überzeugen. Nur<br />

Daniel Johansson (Don José)<br />

kämpft sich mit wechselndem Erfolg<br />

und immer wieder forcierter<br />

Stimmgebung durch den Abend.<br />

Dafür ist Gaëlle Arquez erneut<br />

eine überragende, vielschichtige<br />

Carmen, die viele Nuancen auf<br />

die Seebühne zaubert.<br />

Bregenzer Festspiele, noch bis<br />

20. August <strong>2018</strong>, Tickets unter<br />

www.bregenzerfestspiele.com<br />

Georg Rudiger

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