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blu Oktober 2018

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MUSIK<br />

DANCING QUEEN<br />

CHER<br />

Ein sonniger Tag in Los Angeles.<br />

Am Pool des Sunset Marquis Hotels<br />

in West Hollywood tummeln sich<br />

lauter schöne Menschen mit perfekten<br />

Körpern. Im Restaurant herrscht reges<br />

Treiben. Von all dem kriegt die Sängerin<br />

und Schauspielerin Cher, die eigentlich<br />

Cherilyn Sarkisian heißt, überhaupt<br />

nichts mit.<br />

Sie hat sich in eine der Villen auf dem Hotelgelände<br />

zurückgezogen, um Interviews zu<br />

geben. In einem abgedunkelten Raum macht<br />

sie es sich auf einem Sessel gemütlich. Nicht<br />

etwa in einem glamourösen Outfit, sondern<br />

in Wohlfühlklamotten. Zur dunklen Hose<br />

trägt die 72-Jährige ein bequemes Sweatshirt.<br />

Ihr Gesicht ist nur dezent geschminkt.<br />

Sie lässt sich von ihrer Assistentin Jen einen<br />

Becher Cola bringen, dann kann das Interview<br />

beginnen.<br />

Im Gespräch braucht sich Cher nicht erst<br />

warmzulaufen. Man muss sie nur mit einer<br />

Frage anstupsen, schon fängt sie an zu<br />

erzählen. Von ABBA, die in Cher eigentlich<br />

nie einen ihrer größten Fans hatten. Kein<br />

Wunder, das schwedische Quartett hatte<br />

mit „Dancing Queen“ lediglich einen einzigen<br />

Nummer-eins-Hit in den USA.<br />

„Früher kannte ich gerade mal drei Lieder:<br />

,Mamma Mia‘, ,Waterloo‘ und ,Dancing<br />

Queen‘“, gibt Cher unumwunden zu.<br />

Erst durch den Film „Muriels Hochzeit“<br />

erwachte ihr Interesse an ABBA: „Ich habe<br />

begriffen, wie gut ihre Songs wirklich sind.“<br />

Sagte sie deshalb sofort zu, als ihr eine<br />

Rolle in „Mamma Mia! 2“ angeboten wurde?<br />

Sie lacht ihr dunkles Lachen: „Ich hatte<br />

ja gar keine Chance, abzulehnen.“<br />

Schuld daran war ihr ehemaliger Agent<br />

Ronnie Meyer. Eines Tages rief er Cher an. Er<br />

sprudelte in einem Ton, der keinen Widerspruch<br />

duldete, heraus: „Du machst ,Mamma<br />

Mia‘!“ Dann legte er einfach auf. Danach blieb<br />

Cher nichts anderes übrig, als pünktlich am<br />

Set zu erscheinen, wo sie „Fernando“ und<br />

„Super Trouper“ sang: „Das hat mir riesigen<br />

Spaß gemacht.“ So kam sie auf die Idee, für<br />

ihr Album „Dancing Queen“ ABBA-Stücke<br />

zu covern.<br />

Mit satten Beats verpasst sie Nummern wie<br />

„SOS“ oder „Gimme! Gimme! Gimme! (A Man<br />

After Midnight)“ einen frischen Anstrich und<br />

holt sie zurück auf den Dancefloor. Einer<br />

ihrer persönlichen Favoriten ist „Waterloo“ –<br />

diesen Titel wird sie auf jeden Fall während<br />

ihrer Australien-Tournee ins Programm aufnehmen:<br />

„Für mich ist ,Waterloo‘ der perfekte<br />

Livesong: so kraftvoll, so euphorisch.“<br />

Damit wird sie ihre Show richtig aufmischen.<br />

In hinreißenden Kostümen: „Ich<br />

weiß, wie sehr vor allem meine schwulen<br />

Fans meinen Glam-Look lieben.“ Die<br />

LGBTIQ*-Community zählt zu ihren treuesten<br />

Anhängern. Sie ist, das merkt man,<br />

Cher sehr wichtig. Die Amerikanerin war<br />

stets eine Verfechterin des Slogans „Gleiche<br />

Rechte für alle“. Obgleich ihre Toleranz auf<br />

eine harte Probe gestellt wurde, als sich ihre<br />

transsexuelle Tochter Chastity einer Geschlechtsumwandlung<br />

unterzog: „Das habe<br />

ich nicht so leicht weggesteckt, wie alle<br />

denken. Ich hatte wahnsinnige Angst davor,<br />

meine Tochter zu verlieren. Schließlich<br />

wusste ich nicht, wer dieser neue Mensch<br />

sein würde.“ Ihre Sorge war unbegründet:<br />

„Als Mann ist Chaz immer noch dieselbe<br />

Person. An unserem Verhältnis hat sich<br />

nichts großartig geändert.“ Höchstens zum<br />

Positiven: „Ich registriere mit Freude, dass<br />

Chaz nun so viel glücklicher als früher ist.“<br />

Ganz ähnlich dürfte es Cher selbst gehen,<br />

deren Leben bekanntlich einer Achterbahnfahrt<br />

glich. Obwohl sie zwischen 1964 und<br />

1974 mit ihrem damaligen Mann Sonny<br />

Bono als Pop-Duo Sonny & Cher Hits wie „I<br />

Got You Babe“ landete, nahm sie in dieser<br />

Zeit keiner als Künstlerin so richtig ernst:<br />

„Nicht selten kriegte ich zu hören: ,Mach deinen<br />

Job. Danach kannst du shoppen gehen<br />

und dir ein paar schöne Schuhe kaufen.‘“<br />

Diese Demütigungen trafen sie tief. Nach<br />

ihrer Scheidung musste sie erst mal lernen,<br />

auf eigenen Füßen zu stehen. Angetrieben<br />

von ihrem Ehrgeiz baute sie sich eine Karriere<br />

als Sängerin und Schauspielerin auf. Sie<br />

heimste mehrere Golden Globe Awards ein,<br />

einen Oscar, einen Grammy. Trotzdem gab<br />

es Phasen, in denen nichts mehr zu gehen<br />

schien. Filmangebote blieben aus. 2002<br />

startete Cher ihre „Farewell Tour“, weil sie<br />

sich als Musikerin von der Bühne zurückziehen<br />

wollte. Aber ihr gelang nach jeder Krise<br />

ein Comeback, was zumindest teilweise<br />

ihrer Mutter, der Sängerin und Schauspielerin<br />

Georgia Holt (92), geschuldet ist: „Meine<br />

Mum pflegte mir zu predigen: ,Du gibst nicht<br />

klein bei. Es kommt alles wieder ins Lot.‘“<br />

Diese Sätze hat Cher verinnerlicht. Sie ist<br />

eine selbstbewusste Persönlichkeit, die unbeirrt<br />

ihren Weg geht. An die Liebe glaubt sie<br />

mit über 70 nach wie vor: „Ich verliebe mich<br />

durchaus noch.“ Hat sie sich jemals zu einer<br />

Frau hingezogen gefühlt? „In meiner Jugend<br />

hatte ich mal eine Freundin, die ich ziemlich<br />

niedlich fand. Daraus hat sich allerdings keine<br />

Liebesgeschichte entsponnen.“ Bereut hat<br />

sie das nie: „Ich habe die Erfahrung gemacht,<br />

dass man als Frau zu seinen Freundinnen für<br />

gewöhnlich eine sehr enge Beziehung hat.<br />

Nur eben ohne Sex.“<br />

Nicht nur ihre Freundinnen sind ihr heilig.<br />

Cher ist eine bekennende Feministin. Dass<br />

Männer selbst im 21. Jahrhundert oftmals<br />

noch mehr verdienen als Frauen, ist ihr ein<br />

Dorn im Auge: „Ich bin für gleiche Bezahlung<br />

für gleiche Arbeit.“ Solche Sätze sagt sie,<br />

ohne zu zögern. Sie hat zu allem eine klare<br />

Meinung und keine Scheu, bei Twitter gegen<br />

Donald Trump zu wettern. Umso erstaunlicher,<br />

dass es vor dem Interview die Ansage<br />

gibt, man möge mit Cher weder über den<br />

US-Präsidenten noch über Politik sprechen.<br />

Genügend Gesprächsstoff findet sich<br />

natürlich auch so. Zum Thema Ruhm etwa<br />

hat Cher einiges zu sagen: „Es ist zwar toll,<br />

berühmt zu sein, aber man muss dafür eben<br />

auch Opfer bringen.“ Das hat sie schmerzhaft<br />

erfahren müssen, wenn sich Paparazzi<br />

auf ihr Privatleben stürzten: „Die Boulevardpresse<br />

ruinierte einige meiner Beziehungen.“<br />

Darum trauert sie manchmal der Zeit<br />

hinterher, in der nicht jeder ein Mobiltelefon<br />

mit Kamera hatte. Ohne eine Nostalgikerin<br />

zu sein. Cher steht mit beiden Beinen fest<br />

in der Realität. Von einem Projekt treibt es<br />

sie zum nächsten. Bereits jetzt fiebert sie<br />

der Broadway-Premiere ihres Musicals „The<br />

Cher Show“ im Dezember entgegen. „Ich bin<br />

ein bisschen nervös“, gesteht sie. „Aber das<br />

bringt mich nicht von meiner Überzeugung<br />

ab, dass die Aufführung großartig wird.“<br />

*Dagmar Leischow

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