Kulturfenster Nr. 03|2018 - Juni 2018
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Blasmusik<br />
Schon bei der „Canzona No. 1“ von Giovanni<br />
Gabrieli erfahren wir ein österliches Weiheritual<br />
der Musikkapelle Naturns, wenn hinten<br />
im Saal 20 Musiker mit den übrigen auf<br />
der Bühne einen Freudenwechsel einläuten.<br />
Dann folgt eine kurze Einführung (in jedes<br />
Stück) von 2 Musikern, so gehört sich’s, der<br />
Piccolo-Flötistin Judith Leiter und dem Klarinettisten<br />
Daniel Götsch.<br />
„Chorale and Shakers Dance“ von John<br />
Zdechlik besingt die<br />
zölibatären Shakers<br />
mit einem verinnerlichten<br />
Holzbläser-Auftakt,<br />
gestützt<br />
durch Füllmelodien<br />
des tiefen Blechs,<br />
bis im Paukenwirbel<br />
die Holzbläser zum<br />
Auftrumpfen anleiten,<br />
ehe ein dumpfer<br />
Schlag der großen<br />
Trommel die Rücknahme<br />
der hohen Bläser<br />
– toll die Trompeten<br />
– verkündet. Der<br />
erhabene Kapellmeister<br />
Dietmar Rainer<br />
dirigiert alles mit fließender<br />
Beachtung,<br />
sodass die Blechklänge<br />
von seichten<br />
Paukentrillern begleitet<br />
wie zart wehende<br />
Lüfte säuseln, wenn bei den sensibel ausgehaltenen<br />
tiefen und hohen Tönen das<br />
Trompetensolo in den Flötengesang als<br />
tiefer Blick in die Seelen der vielfach jungen<br />
Musizierenden hineindringt.<br />
Damit sind wir auch mit „Angels in the<br />
Architecture“ von Frank Ticheli beim Hauptwerk.<br />
Die Moderatoren nennen es sehr<br />
schön „ein inneres, menschliches Werk<br />
mit einem schützenden Mantel“, und der<br />
wird für den humanistischen Geist, Musiker<br />
und Dirigenten Dietmar Rainer zum<br />
unverzichtbaren Leitgedanken, wenn das<br />
Tiefsinnige auch gleichzeitig Unterhaltung<br />
„Bodenlos gut“<br />
Einzigartiges Frühlings- und Osterkonzert<br />
der Musikkapelle Naturns<br />
ist. Das Böse wird im ewigen Kampf mit<br />
dem Guten zum unermesslichen Abgrund,<br />
wenn die menschliche Gegenwart sich zwischen<br />
dem Göttlichen und Sündhaften bewegt.<br />
Das Engelhafte ist überschattet von<br />
der Dunkelheit, die sogar das hebräische<br />
Volkslied „Hevenu Shalom Alechem“ – Wir<br />
wollen Frieden für alle – verdeckt, bis im<br />
Finale in „Angel of Light“ alles zusammenfließt.<br />
Kann Musik das ausdrücken, was<br />
Österliche Freudenwechsel bot die Musikkapelle Naturns unter der Leitung von<br />
Kapellmeister Dietmar Rainer beim Frühjahrskonzert <strong>2018</strong>.<br />
z. B. die 100 israelischen Friedenssäulen<br />
symbolisieren? Sie kann’s, und wie!<br />
Teresa Putzer singt jugendlich mädchenhaft<br />
mit schönen Höhen, dann faszinieren<br />
die Glockenspieler, ja, das gesamte Schlagwerk<br />
mit rhythmisch höllisch Gehacktem,<br />
bis der Choral, erst tief, dann hoch versunken,<br />
ausbalanciert wird, ehe das sehr<br />
schöne Flötensolo wieder rhythmische Salven<br />
entflammt, auf die die Schlagzeuger<br />
allgemeinen Wahnsinn wachrütteln, den<br />
dann alle Instrumente bis zum finalen Akkord<br />
auflodern. Doch nach diesem todbringenden<br />
Niemandsblick lebt auch die<br />
Besonderheit in beseelt und fein vorgetragenen<br />
Soli der Flöte, Klarinette oder Fagott<br />
sanft eingerahmt vom tiefen Blech,<br />
ehedem nach dem vollweinenden Oboensolo<br />
alles feierlich überflutet, was tief berührt,<br />
wie auch der aufreißende Glockenklang<br />
im Hagel der großen Trommel. Aber<br />
es wird leise, schön leise wie anfangs mit<br />
der hingebenden Stimme der Teresa Putzer.<br />
Überwältigender Applaus.<br />
Eine Musik der Stille ist die bombastische<br />
Zwischenmusik „Festive Interlude“ nicht, jedoch<br />
allgewaltig ist das jüdische „Rikudim“<br />
von Jan van der Roost. Bestens orchestriert,<br />
hören wir im Voraus die Holzbläser als makellos<br />
eingefärbten Tanz mit verlockend gespielten<br />
Passagen, dann folgt umfassendes<br />
Aufschwingen und plötzlich eine Versenkung<br />
in Klagelaute, doch dann braust es im Einheitsklang<br />
weiter mit Flötentrillern, die viel<br />
Wehmut erbitten.<br />
Und, sobald mit<br />
herrlichen Läufen<br />
alle frohlocken,<br />
dann spielt hier<br />
Sonderklasse, die<br />
bei „Eine kleine<br />
Yiddische Ragmusik“<br />
(Adam Gorb)<br />
nicht nur mit dem<br />
Kornett eine tolle<br />
Melodieführung<br />
einbringt, sondern<br />
wo nach dem rühmenswerten<br />
Saxofon-Solo<br />
tiefe<br />
Bässe, Liegetöne,<br />
schnelle Läufe,<br />
lauter Getrillertes<br />
auch mit der<br />
Schnelle sich musikalische<br />
Herzhaftigkeit<br />
einquartiert.<br />
„Nehmen Sie diese österliche Stimmung<br />
mit“, sagt uns Judith Leiter vor dem totalsten<br />
Einsatz bei „Benny Goodman Memories!“<br />
Liebend gern, denn, was sich da abspielt,<br />
ist bodenlos gut: Der Kapellmeister macht’s<br />
ohne Taktstock, die Solisten spielen ausgelassen,<br />
frech im Stehen, während 2 Schlagzeuger<br />
auf Trommeln mit bloßen Händen<br />
im Teufelstempo ununterbrochen bis zum<br />
schrankenlosen Aufschrei des aufschnappenden<br />
Publikums drauflos dröhnen!“<br />
C. F. Pichler<br />
(veröffentlicht in der Tageszeitung „Dolomiten“ am 05.04.<strong>2018</strong><br />
– mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion)<br />
<strong>Nr</strong>. 03 | <strong>Juni</strong> <strong>2018</strong> 27