Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Biografie von Ernst Nathan (1871-1942)<br />
Ernst Nathan wurde am 3.4.1871 in Lorsch<br />
in Hessen geboren. Er war der Sohn des<br />
Kaufmanns Emanuel Nathan und seiner<br />
zweiten Frau Auguste Ehrmann. Er bekam<br />
den Vornamen Nathan, sodass Vorund<br />
Nachnamen identisch waren. Daher<br />
nannte sich Nathan Nathan später Ernst<br />
Nathan. Noch vor seiner Einschulung ist<br />
die Familie nach Worms umgezogen.<br />
Den im Stadtarchiv Worms archivierten<br />
Jugenderinnerungen von Moritz Nathan,<br />
von Jan Neißl, Klasse 8s<br />
Schillerstraße in Bruchsal, 1920er Jahre. Der Pfeil<br />
zeigt auf das Haus Nr. 17. Foto: Stadtarchiv Bruchsal.<br />
dem jüngeren Bruder von Ernst Nathan, ist es zu verdanken, dass ein wenig bekannt ist<br />
über die Jugendzeit in Worms: „Ich bin im Jahre 1877 in Worms am Rhein geboren, in<br />
einem Hause in der Römerstraße gegenüber der alten 118er Infanteriekaserne. Das Haus<br />
gehörte damals meinem Vater, der ein kleines Kolonialwarengeschäft darin betrieb. Er verlor<br />
Haus und Vermögen durch eine Bürgschaft für einen guten Freund, musste von da an in bescheidensten<br />
Verhältnissen seine Familie durchbringen, und damit ist bereits die Art meiner<br />
Jugendzeit angedeutet. Meine Mutter muss in ihrer Weise eine Künstlerin gewesen sein, mit<br />
den schwachen zur Verfügung stehenden Mitteln ihren Kindern eine anständige Erziehung<br />
und eine gute Schulbildung auf den Weg geben zu können.“ Die Familie scheint sich zu den<br />
eher strenggläubigen Juden gezählt zu haben, und der Vater agierte als Vorbeter im Privatbetsaal<br />
der wohlhabenden Familie Guggenheim.<br />
Ernst Nathan besuchte nach der Volksschule das Gymnasium in Worms. Dort hat er<br />
auch sein Abitur gemacht und wurde Zigarrenfabrikant. Er war als Teilhaber der Firma<br />
„S. Cahnman’s Nachfolger“ in Bischweiler im Elsass zu erheblichem Vermögen gekommen.<br />
Weil alle Deutschen das Elsass 1919 verlassen mussten, lebte Ernst Nathan mit seiner<br />
Familie 1919 bis 1940 in der Schillerstraße 17 in Bruchsal.<br />
Ernst Nathan gründete am 16.1.1920 in Bruchsal die Firma „E. Nathan OHG (Offene<br />
Handelsgesellschaft)“. Es war eine Zigarrenfabrik. Sein Bruder Moritz Nathan war ab dem<br />
5.5.1920 hälftiger Mitinhaber. Dieser hatte nach der Volksschule und dem Besuch des<br />
Gymnasiums in Worms bei der Weinhandlung „Langenbach und Söhne“ eine kaufmännische<br />
Lehre gemacht und trat danach in Bruchsal in die Firma W. Katz ein, wo er 1920<br />
Bürovorstand war. Er wohnte 1911 bis 1936 in Bruchsal, zuletzt zusammen mit seiner Frau<br />
in der Friedrichstraße 62 in einer Sechs-Zimmer-Wohnung.<br />
Im Dezember 1920 kauften die beiden Brüder Nathan das Haus Kegelstraße 15 von der<br />
Witwe Josefine Kretz, die dort eine Wirtschaft mit Kegelbahn und Gartenwirtschaft betrieben<br />
hatte. Es gab nach geringfügigem Umbau dort acht Räume für Büro und Buchhaltung<br />
und etwa zehn weitere Räume für die Herstellung der Zigarrenkisten, für Lagerplatz und<br />
Versandbüro. Neben Ernst und Moritz Nathan waren noch sechs weitere Personen im<br />
Büro beschäftigt. Der Sohn von Moritz, Wilhelm Emanuel Nathan, arbeitete nach seiner<br />
Lehre (1929-1931) bei W. Katz und bis zu seiner Auswanderung 1934 auch noch im Betrieb<br />
als kaufmännischer Angestellter mit Reisetätigkeit. Das Obergeschoss war als Wohnung<br />
vermietet, allerdings eventuell erst in den 1930ern. Es gab eine Zigarrenfabrik in<br />
Stettfeld sowie eine Wein- und Zigarrenfabrik in Zeutern. Dort waren jeweils etwa 50-60<br />
Leute mit der Herstellung der Zigarren beschäftigt. Es gab ein Lohnfuhrwerk, das nur für<br />
die Firma Nathan arbeitete und mehrmals täglich die Zigarren aus Stettfeld und Zeutern<br />
nach Bruchsal brachte, wo sie verpackt und versandt wurden.<br />
Der Cousin Richard Bär („Leder-Bär“) schrieb 1956, Familie Moritz Nathan „habe immer<br />
ein Dienstmädchen gehabt, gingen regelmäßig im Sommer und im Winter in Ferien und<br />
ließen ihrem Sohn die beste Erziehung angedeihen. Die Firma hatte einen ausgezeichneten<br />
Ruf und war sehr angesehen, auch in Bankkreisen“ – so jedenfalls hatte er es von Julius Bär,<br />
dem Direktor der Süddeutschen Bank in Bruchsal, gehört. Bruder Moritz verließ Bruchsal<br />
zusammen mit seiner Frau Paula am 10.12.1936. Sie wanderten nach New York aus. Zuvor<br />
war Moritz am 16.11.1936 aus dem Handelsregister gelöscht worden. Ernst Nathan wurde<br />
Alleineigentümer der Zigarrenfabrik. Die Firma wurde am 18.3.1938 endgültig aus dem<br />
Handelsregister gelöscht. Die Zigarrenfabrik in der Kegelstraße 15 musste an Karl Haas,<br />
Blechnermeister, und seine Frau verkauft werden. Haas schrieb dazu: „Nachfrage wegen<br />
zu vermietender Werkstätte führte dazu,<br />
dass mir Hr. Nathan das Gebäude zum Kauf<br />
anbot.“ Der Kaufvertrag trägt das Datum<br />
23.9.1937. Der Kaufpreis betrug 16500 RM,<br />
9000 RM gingen in bar an Ernst Nathan<br />
und ab da monatliche Raten auf Nathans<br />
Konto, ab 1942 an das Finanzamt direkt.<br />
Ernst Nathan besaß außerdem noch eine<br />
zweistöckige Zigarrenfabrik incl. einstöckigem<br />
Wohngebäude in Hockenheim, Untere<br />
Hauptstr. 20. Diese war im Besitz von Ernst<br />
Nathan seit 1920 und gehörte ihm bis 1942,<br />
dann wurde er enteignet.<br />
Ernst Nathan besaß ein gut gefülltes Bankkonto<br />
und hatte noch 1939/40 ein sehr großes<br />
Wertpapierdepot. Dieses wurde allerdings<br />
vom Staat beschlagnahmt. Zwischen<br />
Dezember 1938 und November 1939 musste<br />
er allein 21.500 RM als „Judenvermögensabgabe“<br />
bezahlen. Ob er zusammen<br />
mit seiner Familie eine Auswanderung anstrebte,<br />
ist nicht bekannt.<br />
Franz-Bläsi-Str. 17, früher Schillerstr. 17. F.: F. Jung<br />
26 27